Ein Roman, der in London spielt und Krimi-Elemente mit Urban Fantasy vermischt – das klingt doch stark nach einem Werk von Bestsellerautor Ben Aaronovitch und seiner Reihe um Police Constable Peter Grant, der es in seinen Fällen mit viel Magie und allerlei fantastischen Wesen zu tun bekommt. „Die Seelen von London“ stammt jedoch aus der Feder der jungen Engländerin A. K. Benedict, die bereits in ihrem Debütroman „Die Eleganz des Tötens“ die Grenzen des klassischen Kriminalromans überschritt und ihre Geschichte mit Zeitreise-Elementen kombinierte. Mit ihrem zweiten Buch begibt sich die Autorin nun ins Reich der Geister und erschafft ähnlich wie Aaronovitch ein geheimes und geheimnisvolles London – billiger Abklatsch oder originell genug, um sich von dem vermeintlichen Vorbild abzuheben und auf eigene Weise zu überzeugen?

Konkurrenz für Ben Aaronovitchs Ermittler Peter Grant?

„Die Seelen von London“ beginnt zunächst einmal weitestgehend gewöhnlich und wie ein „realistischer“ Krimi oder Thriller: man begegnet Finnegan Finch, der sich offenbar mit den falschen Leuten angelegt hat und nun in London um sein Leben rennt und versucht, seinen Jägern zu entkommen. Dann trifft man die ehemals blinde Maria King, die nach einer Augenoperation eigentlich wieder sehen kann, es aber trotzdem vorzieht, mit einer Augenbinde durchs Leben zu gehen und lieber der Welt in ihrem Kopf vertraut – was sie offenbar zu einem leichten Opfer für einen wahnsinnigen Stalker macht, der Maria als die Frau seiner Begierde ausgemacht hat und mit schockierenden „Liebesbeweisen“ um ihre Aufmerksamkeit buhlt. Und dann ist da noch Detective Inspector Jonathan Dark, der den Mörder einer jungen Frau sucht, welcher möglicherweise der gleiche Täter ist, der auch Maria King im Visier hat.

Die verborgene Londoner Welt der Geister

Nach den ersten Seiten reibt man sich vielleicht ein wenig verwundert die Augen, denn „Die Seelen von London“ scheint sich eher wie ein klassischer Stalking-Thriller zu entwickeln und erweckt zunächst überhaupt nicht den Eindruck, man könnte sich in einer alternativen Fantasy-Version der im Spannungsgenre so beliebten englischen Hauptstadt bewegen. Tatsächlich setzt A. K. Benedict ihre fantastischen Elemente auch sehr dezent ein und wer ein Kuriositäten-Kabinett im Stil von Ben Aaronovitch erwartet, wird von dem überraschend bodenständigen Auftreten dieses Romans vermutlich überrascht werden. Erst nach und nach gibt die Autorin immer mehr Einblicke in die Welt hinter der realistischen Fassade und man stößt u.a. auf einen Bestatter, der seine „Klienten“ auch nach dem Tod weiter begleitet, findet heraus, dass eine der Figuren sein Ableben ebenfalls schon hinter sich hat und lernt, dass DI Dark etwas empfänglicher für übersinnliche Phänomene zu sein scheint als seine Mitmenschen.

Die Seele(n) der englischen Hauptstadt

Diese eher vorsichtige Vermengung der Genres funktioniert erstaunlich gut. Der Kriminalfall wirkt einerseits realistisch genug, um glaubwürdig zu sein, und wird mit den Urban-Fantasy-Elementen auf interessante Weise aufgepeppt, ohne dass es jedoch zu dick aufgetragen wirkt. So gibt es zwischendurch zwar auch ein paar skurrile oder amüsante Momente im Zusammenhang mit der Geisterwelt, dennoch macht das Buch über weite Strecken einen weitestgehend seriösen Eindruck. A. K. Benedicts Geister sind auch keine Spukgespenster mit Bettlaken und Ketten oder mittelalterliche Poltergeister, sondern wie es der Titel recht passend beschreibt die Seelen von Verstorbenen, die nach dem Tod mal mehr und mal weniger am weltlichen Leben hängen und sich unterschiedlich stark manifestieren. Durch diese „Seelen von London“ bekommt auch die Stadt als Schauplatz nochmal einen ganz eigenen Charakter und dazu passt auch, dass Maria King als Schlammgründlerin – eine Art Freizeit-Schatzsucherin – Tag für Tag das Themse-Ufer nach alten Gegenständen absucht, die ihr etwas über die Geschichte ihrer früheren Besitzer oder gar der Stadt selbst erzählen oder eben auch nur in ihrer eigenen Fantasie eine Vorstellung vom Leben früherer Generationen erzeugen.

Atmosphärischer Einstieg in die Welt der Urban Fantasy

Es gibt sicherlich Spannungsromane, die mehr Nervenkitzel und ein höheres Tempo bieten als „Die Seelen von London“, auch wenn der Kriminalfall durchweg interessant erzählt wird und auch einen – den Umständen entsprechend – logischen Eindruck macht. Zudem könnte es für manche vielleicht auch ein Problem sein, dass das Buch für einen Krimi zu fantastisch, für ein Fantasy-Roman aber nicht fantastisch genug ist, sodass die Zielgruppe eher genau in der Mitte liegt und die Geschichte alle diejenigen anspricht, die grundsätzlich eher zum Krimi greifen, dabei aber gerne mal etwas Abwechslung haben möchten und sich ein paar originelle und ungewöhnliche Elemente wünschen. Für diese Leser bietet A.K. Benedicts Werk einen gelungenen Einstieg in den Bereich der Urban Fantasy und punktet mit einer guten Geschichte, einer dichten Atmosphäre, sympathischen Charakteren und trotz der geschilderten Verbrechen einer letztendlich irgendwie schönen und tröstlichen Grundstimmung, die Lust auf weitere Besuche in Londons Geisterwelt macht.

Die Seelen von London – A. K. Benedict
  • Autor:
  • Original Titel: Jonathan Dark or the Evidence of Ghosts
  • Umfang: 400
  • Verlag: Knaur
  • Erscheinungsdatum: 1. Juni 2017
  • Preis Broschiert 14,99 €/eBook 9,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
8/10
Fazit:
A. K. Benedicts Londoner Urban-Fantasy-Krimi wirkt zunächst wie ein Abklatsch von Ben Aaronovitchs Peter-Grant-Reihe, schafft mit dem dezenten Einsatz fantastischer Elemente in einen ansonsten recht bodenständigen Krimiplot aber einen ganz eigenen Charakter, der mit sympathischen Charakteren und einer angenehmen Atmosphäre den Ausflug in diese Geisterwelt lohnenswert macht.

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