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Eine Polizeischülerin recherchiert für eine Hausarbeit in einem über zwanzig Jahre alten ungelösten Mordfall, in den mit Beginn ihrer Nachforschungen plötzlich neuer Schwung kommt…

Spätsommer 1987: In einer Bucht auf der kleinen schwedischen Insel Nordkoster wird mitten in der Nacht eine Frau von drei Gestalten an das Ufer geschleppt und bis auf den Kopf im Schlick vergraben. Anschließend warten die Unbekannten seelenruhig auf die einsetzende Springflut und sehen eiskalt dabei zu, wie die Frau hilflos vom immer höher steigenden Wasserspiegel umschlossen wird und schließlich qualvoll ertrinkt. Nur ein kleiner Junge, der sich in sicherer Entfernung zum Ufer versteckt hat, bekommt von dem grausigen Mord etwas mit, doch seine Zeugenaussage reicht nicht aus, um Hinweise auf die Identität der Täter zu erhalten. Der Fall wird ungelöst zu den Akten gelegt.

Ein über zwei Jahrzehnte alter ungelöster Mordfall wird neu aufgerollt

24 Jahre später stößt die Polizeischülerin Olivia Rönning auf den rätselhaften Mordfall, da sie im Rahmen einer freiwilligen Hausarbeit während der Sommerferien eine Analyse einen „Cold Cases“ vornehmen soll. Aus den ihr von ihrem Dozenten vorgeschlagenen Fällen entscheidet sie sich schnell für den Nordkoster-Mord, da ihr inzwischen verstorbener Vater damals als Polizist an den Ermittlungen beteiligt war. Die Nachforschungen gestalten sich wie erwartet schwierig, zumal die Identität des Mordopfers auch zwei Jahrzehnte nach der Tat immer noch nicht bekannt ist. Zudem fällt es Olivia schwer, einen Verantwortlichen für die Ermittlungen ausfinding zu machen und zu befragen, denn der Leiter in dem Mordfall, ein Kommissar namens Tom Stilton, ist vor Jahren aus persönlichen Gründen aus dem Polizeidienst ausgeschieden und anschließend spurlos verschwunden…

Debütroman der schwedischen Drehbuchautoren Cilla und Rolf Börjlind

Das schwedische Ehepaar Cilla und Rolf Börjlind ist in der Krimibranche kein unbeschriebenes Blatt. Bereits seit Jahren sind die beiden als Drehbuchschreiber tätig und haben sich durch zahlreiche Kino- und TV-Produktionen wie die Arne-Dahl- oder Kommissar-Beck-Reihe einen Namen gemacht. „Die Springflut“ ist nun der erste gemeinsame Roman der Börjlinds und bietet überraschenderweise kein klassisches Ermittlerteam, sondern gleich eine ganze Reihe unterschiedlicher Charaktere, die an verschiedenen Fronten in Erscheinung treten und mit gemeinsamen Kräften an einer Aufklärung des ungelösten Nordkoster-Mordes arbeiten. Ausgangspunkt ist dabei die erwähnte Polizeischülerin Olivia Rönning, die in die Fußstapfen ihres verstorbenen Vaters treten will und sich aus diesem Grund in dem Cold Case festbeißt – auch um sich ihrem Vater ein wenig näher zu fühlen.

Eine Polizeischülerin und ein Obdachloser ermitteln

Weil die Suche der ehrgeizigen angehenden Polizistin aber zunächst wenig von Erfolg gekrönt ist und ihre Recherche in den ersten Kapiteln kaum vorankommt, präsentieren die Börjlinds ihren Lesern zur Abwechslung noch einen zweiten Brennpunkt. In Stockholm hat nämlich die Gewalt gegenüber Obdachlosen in den letzten Wochen dramatisch zugenommen und immer wieder landen Handyvideos der brutalen Überfällen im Internet, wo sich die Täter mit ihren feigen Anschlägen auf die wehrlosen Opfer brüsten. Die Handlung springt fortan regelmäßig zwischen den beiden Erzählsträngen hin und her, wobei bemerkenswert ist, dass keiner der beiden eine typische Polizeiarbeit schildert – auch weil die „richtige“ Polizei lange Zeit außen vor gelassen wird. Die Autoren setzen stattdessen neben Olivia Rönning auf weitere ungewöhnliche Gestalten, z.B. auf einen selbst für Schwedenkrimi-Verhältnisse in bemerkenswertem Ausmaß abgestürzten Ex-Polizisten, einen arabischen Casino-Croupier mit Geheimnissen oder die Obdachlosen selbst, welche sich gegen die ihnen geäußerte Gewalt geschlossen zur Wehr stellen.

Routinierter Schwedenkrimi mit spannender Story

Trotz dieser unkonventionellen Konstellation stellt sich jedoch schnell das bekannte Skandinavien-Feeling ein, denn Cilla und Rolf Börjlind lassen von Beginn an keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie ihr Metier sehr gut beherrschen. Problembehaftete Charaktere, bedrückende Atmosphäre, verregnete Szenen an einsamen Inselküsten – wer gerne Schwedenkrimis liest, wird sich auch bei „Die Springflut“ schnell zuhause fühlen. Dazu kommt eine kurzweilige Story, die den Leser geschickt auf die ein oder andere falsche Fährte führt (auch wenn die Geschichte lange Zeit sehr geradlinig und durchschaubar scheint) und trotz des großen Umfangs von fast 600 Seiten zu keiner Zeit Langeweile aufkommen lässt – weil an den vielen Baustellen nun einmal immer was passiert und auch die krass unterschiedlichen Persönlichkeiten immer wieder für sich abwechselnde Blickpunkte auf das Geschehen liefern.

Etwas zu viele Nebencharaktere

Allerdings ist es auch diese Vielzahl an Nebenfiguren, die dem Roman auf dem Weg in die ganz hohen Wertungsregionen etwas im Wege steht. Dadurch, dass die Autoren gleich so vielen Charakteren in ihrem Buch eine Bühne bieten, bleibt eigentlich bei keinem richtig Zeit, um die jeweilige Persönlichkeit genauer auszuarbeiten, sodass die Figuren häufig etwas schablonenhaft wirken und man zum Beispiel aus dem Privatleben Olivia Rönnings fast gar nichts erfährt. Außerdem übertreiben es die Börjlinds an manchen Stellen auch ein wenig mit ihrem Ermittler-Netzwerk, denn wenn dann noch Polizisten-Exfrauen, Fernsehjournalistinnen, Prostituierte und Co. immer wieder ihren Auftritt bekommen, kann man bei den vielen Gesichtern schon mal leicht durcheinander kommen – zumal sich diese auch von den Namen her teilweise sehr ähneln.

Stellenweise zu konstruiert wirkende Handlung

Der zweite kleine Schwachpunkt ist die (ohne jede Frage unterhaltsame) Story, die gerade im Schlussakt bei der Zusammenführung der losen Fäden doch sehr auf Zufälle setzt und dadurch stellenweise arg konstruiert wirkt – auch wenn das Miträtseln und das Zusammenfügen der Puzzleteile nichtsdestotrotz Spaß macht. Aber es erscheint nun mal ein wenig befremdlich, wenn 23 Jahre nach einem Mord plötzlich an unterschiedlichen Enden der Welt auf einmal zur gleichen Zeit die gleichen alten Geschichten ausgegraben werden. Zudem haben die Börjlinds ganz zum Schluss noch eine besondere Überraschung auf Lager, die man sich nun wirklich hätte verkneifen können. Dennoch ist „Die Springflut“ für Fans von skandinavischen Krimis immer noch eine Empfehlung wert. Das Autorenpaar erfindet das Genre zwar nicht neu, spielt seine Erfahrung aber gut aus und liefert mit seinem Romandebüt ein paar Stunden kurzweilliger und guter Krimi-Unterhaltung. Ich freue mich jedenfalls schon auf die Fortsetzung „Die Dritte Stimme“ und ein Wiedersehen mit den ungewöhnlichen Ermittlern.

Fazit:
Routinierter und spannend erzählter Schwedenkrimi, dessen Story manchmal etwas zu arg konstruiert wirkt, dies aber mit ungewöhnlichen und originellen Hauptfiguren ausgleicht (7/10).

Buchcover
Autoren: Cilla & Rolf Börjlind; Originaltitel: Springfloden; Umfang: 592 Seiten; Verlag: btb; Erscheinungsdatum: 26. August 2013; Preis: Gebundene Ausgabe 19,99 €/eBook 15,99 €.

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