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Krimi- und Thrillerreihen gibt es in der Buchbranche bekanntlich wie Sand am Meer, und wohl kaum eine Stadt dürfte dabei als Schauplatz bei Autor*innen und Leser*innen gleichermaßen so beliebt sein wie London – die Heimat von Jack the Ripper, Sherlock Holmes und unzähligen anderen Schurken und Ermittlerfiguren. Das ist aufgrund der Vielseitigkeit und der bewegten Historie der englischen Hauptstadt sicherlich nicht überraschend, macht es für Schriftsteller*innen aber alles andere als leicht, sich im literarischen Großstadtdschungel der Metropole zu behaupten. Umso bemerkenswerter ist es daher, dass Tony Parsons seinen Helden, Detective Constable Max Wolfe, in „Die ohne Schuld sind“ bereits in seinen sechsten Einsatz schickt (nicht berücksichtigt sind dabei die drei zusätzlich erschienenen Novellen).

Ein Ermittler zwischen Verbrecherjagd und Familienleben

Dass DC Wolfe bei Krimifans so beliebt ist, dürfte wohl auch daran liegen, dass dessen Schöpfer neben den Kriminalfällen auch immer einen sehr starken Fokus auf das Privatleben seines Protagonisten setzt und dessen Erlebnisse mit seiner kleinen Familie, bestehend aus Tochter Scout und dem gemeinsamen Hund Stan, mindestens eine ebenso große Rolle spielen wie das Aufklären von Verbrechen. Das mag in den ersten Bänden vielleicht noch etwas befremdlich gewirkt haben und von manchen als unnötige Ablenkung empfunden worden sein, hat sich aber im Verlauf der Reihe als ein nicht unwichtiges Alleinstellungsmerkmal etabliert – was vor allem auch daran liegt, dass Tony Parsons es meistens schafft, das Zusammenspiel des Trios sehr einfühlsam und warmherzig zu beschreiben, ohne dass dieser private Teil zu aufgezwungen und künstlich wirkt oder mit Klischees nervt. In „Die ohne Schuld sind“ steht diesmal die Beziehung von Max und seiner Tochter zu Ex-Frau und Mutter Anne im Mittelpunkt und wie schwierig es vor allem für Scout ist, ohne die Fürsorge und auch die Anerkennung eines weiblichen Elternteils aufzuwachsen. Allerdings wurde dieser Aspekt auch schon im Vorgängerband „Die Essenz des Bösen“ thematisiert, zudem wird Anne vom Autor etwas arg plakativ (z.B. durch einen arroganten Auftritt in High Heels und Cocktailkleid beim Schulsportfest der eigenen Tochter) dargestellt. Hier wäre etwas weniger Schwarz/Weiß-Malerei schön gewesen, dennoch fiebert man auch diesmal wieder mit Familie Wolfe mit und sorgt sich um ihr seelisches und körperliches Wohlergehen.

Zufallsopfer oder Rachefeldzug unter Gangstern?

Doch auch „Die ohne Schuld sind“ ist in erster Linie natürlich immer noch ein Kriminalroman und hier bekommt es Max Wolfe diesmal mit der Entführung einer jungen Mutter zu tun, die unweit ihres Zuhauses und vor den Augen ihres kleinen Sohnes aus dem Auto gezerrt und verschleppt wurde. Familie und Umfeld der entführten Jessica Lyle sind geschockt und in großer Sorge, vor allem die Hintergründe der Tat geben den Angehörigen und der Polizei Rätsel auf – so war der Überfall auf Jessicas Auto offenbar detailliert geplant und wurde von Profis durchgeführt, allerdings kann sich niemand erklären, warum ausgerechnet die offenbar bei allen beliebte Frau zum Ziel solcher brutalen Entführer wurde. Es liegt eher die Vermutung nahe, dass es die Täter eigentlich auf Jessicas Mitbewohnerin Snezia Jones abgesehen hatten – zum einen fuhr das Entführungsopfer zum Tatzeitpunkt Snezias Wagen, zum anderen ist die Freundin die heimliche Geliebte eines ehemaligen Londoner Drogenbosses. Dieser gibt sich zwar seit einer Weile als seriöser Unternehmer, hat sich im Laufe seiner kriminellen Karriere aber sicher genug Feinde gemacht, um eine Entführung seiner Affäre als potenziellen Racheakt erklären zu können.

Ohne Rücksicht auf die eigenen Verluste

Tony Parsons greift beim sechsten Max-Wolfe-Band wieder auf bekannte Zutaten zurück: wie schon viele der Vorgänger sind die Ermittlungen auch diesmal wieder geprägt von Figuren aus der Londoner Unterwelt und viele Szenen spielen sich an Orten ab, wo sich die harten englischen Jungs nun mal so treffen, wie z.B. in zwielichtigen Hinterhof-Boxclubs oder schmierigen Tanzlokalen mit freizügigem Unterhaltungsprogramm. Es entsteht wie so oft der Eindruck, DC Wolfe sei mit Londons Gangstern per Du und könne sich weitestgehend frei in deren Sphären bewegen – ob der Alltag eines Kriminalpolizisten in der Hauptstadt tatsächlich so aussieht, sei einmal dahingestellt. Wer die Hauptfigur der Reihe kennt weiß auch, dass sich Max bei seinen Aufeinandertreffen mit derlei Gestalten nicht immer unbedingt diplomatisch verhält und oft anscheinend auch vergisst, dass zuhause eine kleine Tochter auf ihn wartet, die ihren Vater höchstwahrscheinlich gerne unversehrt zurück hätte. So sorgt Max‘ Verhalten auch diesmal gelegentlich für Kopfschütteln und scheint mittlerweile auch auf seine Kollegen und Vorgesetzten abgefärbt zu haben, die sich immer mehr zu teilweise sehr fragwürdigem Verhalten hinreißen lassen. Das mag angesichts ihres zermürbenden und häufig frustrierenden Jobs verständlich sein, wirft aus moralischer Sicht aber nicht immer das beste Licht auf die Charaktere – unseren Protagonisten und Vorzeige-Vater leider eingeschlossen.

Spannende Fortsetzung mit altbekannten Stärken und Schwächen

Nichtsdestotrotz ist der Fall wieder einmal spannend und wendungsreich und auch das Zusammenspiel von Arbeit und Privatleben der Hauptfigur funktioniert erneut sehr gut. Manchmal wünscht man sich zwar, Wolfe und Kollegen würden zur Abwechslung mal wieder in einem „normalen“ Fall ermitteln und sich nicht ständig mit diversen Gangstern umgeben müssen, irgendwie gehört dieses Setting mittlerweile aber auch zur Reihe dazu. Erfreulich ist, dass der Autor diesmal das Lexikon der Polizeibegriffe und Abkürzungen nicht ganz so exzessiv hervorgeholt hat wie noch im direkten Vorgänger und spürbar seltener den Erklärbär raushängen lässt, was den Londoner Polizeiapparat betrifft. „Die ohne Schuld sind“ erreicht insgesamt zwar nicht die emotionale Wucht wie mancher vorherige Band der Reihe, dennoch bietet auch dieser Roman wieder spannende Unterhaltung auf der einen und Wohlfühl-Elemente aus dem Hause Wolfe auf der anderen Seite. Tony Parsons Konzept aus durchaus düsterem Kriminalroman und sympathisch-leichtem Familiendrama ist nach wie vor abwechslungsreich und auch das Setting hat sich der Autor nach und nach immer mehr zu eigen gemacht und sich inzwischen seinen ganz speziellen Londoner Mikrokosmos aufgebaut. Und auch wenn (oder vielleicht gerade weil) die obligatorischen Schwächen wie Wolfes gelegentlich durchschlagende Leichtsinnigkeit einhergehend mit einer bemerkenswerten Unverwundbarkeit wieder mit dabei sind, dürften Fans der Reihe auf jeden Fall wieder auf ihre Kosten kommen.

Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von Thalia zur Verfügung gestellt.
Dies beeinflusst jedoch in keiner Weise meine Meinung über dieses Buch.

Die ohne Schuld sind (Max Wolfe #6) – Tony Parsons
  • Autor:
  • Original Titel: #taken
  • Reihe: Max Wolfe #6
  • Umfang: 336 Seiten
  • Verlag: Bastei Lübbe
  • Erscheinungsdatum: 28. Februar 2020
  • Preis Broschiert 15,00€/eBook 11,99€
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
7/10
Fazit:
Auch der sechste Band um den Londoner Ermittler Max Wolfe liefert wieder einen unterhaltsamen Mix aus Kriminalfall und Familiengeschichte mit spannender Story und guter Atmosphäre, aber auch manchen altbekannten Schwächen.

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