Die Falle_Rezi

Seit 11 Jahren hat Linda Conrads keinen Schritt mehr vor die Tür gesetzt und lebt zurückgezogen von der Außenwelt in ihrer Villa am Starnberger See. Um die erfolgreiche Autorin und ihr mysteriöses Exil ranken sich seitdem zahlreiche Gerüchte, die ihrem kommerziellen Erfolg jedoch eher genützt statt geschadet haben. Kaum jemand kennt jedoch den wahren Grund für Lindas einsames Leben, denn Ursache ihrer Zurückgezogenheit ist ein schlimmer Schicksalsschlag, den sie auch nach mehr als einem Jahrzehnt immer noch nicht verarbeitet hat: Vor 12 Jahren wurde ihre Schwester Anna brutal ermordet und Linda hatte ihren Mörder am Tatort überrascht, bevor dieser geflohen ist. Der Täter konnte zwar trotz ihrer Zeugenaussage nie ermittelt werden, doch das Gesicht des Mannes hat sich seitdem unauslöschlich in Lindas Gehirn eingebrannt. So ist es für die Autorin zunächst ein Schock, als sie ausgerechnet dieses Gesicht durch Zufall im Fernsehen sieht. Zugleich bietet ihr dies jedoch auch die Gelegenheit, endlich mit ihrem Trauma abzuschließen und den Mörder ihrer Schwester seiner gerechten Strafe zuzuführen – dazu muss sie den Killer aber in die Sicherheit ihres eigenen Hauses einladen…

Wenn man sich einen Mörder ins eigene Haus holt…

Was tut man, wenn man glaubt, nach 12 Jahren plötzlich den Mörder seiner eigenen Schwester wieder gesehen zu haben, aufgrund von psychischen Problemen jedoch nicht in der Lage ist, das eigene Haus zu verlassen und die Polizei einem wegen des eigenen Zustandes wenig Glauben schenkt? Man holt sich den Mörder ins Haus und versucht ihn auf eigene Faust zu überführen – das ist in Melanie Raabes neuem Roman „Die Falle“ zumindest der Plan der 38-jährigen Romanautorin Linda Conrads, die sich nach ihrem damaligen traumatischen Erlebnis völlig zurückgezogen hat und nur noch mit Fernsehen, Internet, ihrer Haushaltshilfe und ihrem Verleger Kontakt zur Außenwelt hält. In Lindas bedauernswerter Verfassung, von der sich die Leser in den Anfangskapitel selbst schnell ein gutes Bild machen können, mag es vielleicht nicht gerade die beste Idee zu sein, es mit einem gerissenen Mörder aufnehmen zu wollen, die Autorin fasst jedoch unmittelbar nach dem Wiedererkennen des vermeintlichen Täters einen raffinierten Plan und bereitet sich ein ganzes Jahr lang gewissenhaft auf den Tag der Wahrheit vor.

Ein raffiniert konstruiertes Kammerspiel mit knisternder Spannung

Im Zentrum des Plans: Ein neuer Roman, in dem Linda Conrads offensiv den Mord an ihrer Schwester verarbeitet und der dazu dienen soll, den Täter – den erfolgreichen Journalisten Victor Lenzen – mit einem Interviewtermin ins Haus zu locken. Das Brisante an diesem Schachzug: Sollte die Autorin tatsächlich richtig liegen und Lenzen Annas Mörder sein, so weiß dieser nach der Lektüre ganz genau, dass Linda Conrads ihn als Täter entlarvt hat. Diese von Melanie Raabe clever konstruierte Ausgangssituation birgt einen enormen Reiz, obwohl das Setting für einen Thriller simpler kaum sein könnte und fast schon Kammerspiel-Charakter hat. Der Großteil des Buches ist nämlich ein reines Rededuell zwischen Linda Conrads und Victor Lenzen, in dem sich beide wie zwei Raubtiere gegenseitig belauern und nur darauf warten, das einer von beiden den ersten Fehler macht und in die Falle des jeweils anderen tritt. Dieses Psychospielchen ist brilliant geschrieben und mörderisch spannend, auch wenn streng genommen kaum mehr passiert als das zwei Menschen sich an einem Tisch gegenübersitzen und reden. Ein solch reduziertes Setting muss man sicherlich mögen, Freunde davon kommen aber hier voll auf ihre Kosten.

Packendes und hoch interessantes Psychoduell mit kleinen Schwächen

Der zweite Clou von „Die Falle“ ist das „Buch im Buch“, denn ca. ein Drittel des Romans nehmen Auszüge aus dem inhaltlich immer wieder thematisierten neuen Thriller von Linda Conrads ein. Dies bietet durch die autobiografischen Züge der Handlung Einblicke in das persönliche Trauma der Autorin und hilft auch schlicht und einfach dabei, während des Interviews zwischen Conrads und Lenzen Schritt zu halten und die jeweiligen Schachzüge und Anspielungen nachvollziehen zu können. Leider ist diese Handlungsebene aber auch der Schwachpunkt von „Die Falle“, denn im Vergleich zum raffinierten Psychoduell der Hauptstory fällt dieser mit romantischen Elementen durchzogene Krimiplot qualitativ doch recht stark ab und ist verhältnismäßig spannungsarm. Da wirkt es fast selbstironisch von Melanie Raabe, wenn sie Conrads’ neues Buch bei der fiktiven Presse-Kritik eher mäßig wegkommen lässt und Journalist Lenzen der Autorin wenig Tiefgang und schablonenhafte Charaktere vorwirft – da hat der Mann nämlich nicht ganz Unrecht. Auf mich wirkten diese „Buch im Buch“-Kapitel daher oft eher wie ein kleiner Störfaktor, der immer wieder das packende Kammerspiel der zwei Protagonisten unterbricht und einen aus dem Lesefluss reißt. Der zweite Schwachpunkt des Buches ist für mich die eher banale Auflösung, die zwar stimmig und schlüssig ist, in Sachen Raffinesse aber mit dem hochinteressanten Vorgeplänkel nicht ganz mithalten kann. Trotzdem ist „Die Falle“ aber ein sehr empfehlenswerter Roman für Fans von psychologischen Krimis mit einfachem Setting: toll geschrieben, clever konstruiert und durch die originelle Ausgangsidee und den ungewöhnlichen Erzählstil auf jeden Fall eine willkommene Abwechslung zum Thriller-Einerlei.

Die Falle
  • Autor:
  • Umfang: 352 Seiten
  • Verlag: btb
  • Erscheinungsdatum: 9. März 2015
  • Preis Geb. Ausgabe 19,99 €/eBook 15,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
8/10
Fazit:
Melanie Raabe lädt mit „Die Falle“ zum raffiniert konstruierten und packend geschriebenen Psychospiel, bei dem sich die eigentlich clevere „Buch im Buch“-Idee aber als spannungshemmender Schwachpunkt entpuppt und zunehmend als Störfaktor im ansonsten mitreißenden Kammerspiel wirkt.

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