Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika – seit dem Kalten Krieg lieferte dieser fortwährende Wettstreit der beiden Supermächte bereits Stoff für zahlreiche Romane und Filme und auch in Jason Matthews‘ Spionage-Thriller „Red Sparrow“ steht dieses Duell der rivalisierenden Nationen ein weiteres Mal im Fokus. Ausgetragen wird der Konflikt hier vordergründig auf dem Rücken von zwei Personen: auf amerikanischer Seite steht der aufstrebende CIA-Agent Nathaniel Nash, auf der Seite der Russischen Föderation die junge Spionin Dominika Egorowa. Dabei haben beide Protagonisten eine sehr unterschiedliche Geheimdienst-Laufbahn vorzuweisen: Nate hat für die CIA bisher fast schon eine Art Bilderbuchkarriere hingelegt und sich einen so guten Ruf erarbeitet, dass er als CIA-Offizier den Kontakt zu der vielleicht wichtigsten Quelle auf russischer Seite, einem Doppelagenten mit Codenamen MARBLE, betreut – eine Verbindung, die sich für die USA seit langem als äußerst ergiebig und von unschätzbarem Informationswert erwiesen hat. Bei einem geplanten Treffen zwischen Nate und MARBLE kommt es aber zu Komplikationen, die kurzzeitig sogar eine Enttarnung des Doppelagenten befürchten lassen. Als Folge des missglückten Einsatzes wird Nash von seinem Arbeitgeber zur CIA-Außenstelle in Helsinki abgeschoben, wo er nun sein angekratztes Ansehen wieder aufpolieren muss – für den ungeduldigen Nate ein äußerst lästiger Rückschritt auf der Karriereleiter.

Zwei junge Geheimdienstagenten in einem Katz-und-Maus-Spiel

Dominika Egorowa hingegen hat nie einen Gedanken an eine Geheimdienst-Laufbahn verschwendet, sondern schon von Kindesbeinen an ihr Leben dem Ballett gewidmet und es mit ihren Fertigkeiten sogar bis ans weltberühmte Bolschoi-Theater geschafft. Dort findet ihr Lebenstraum aber ein jähes Ende, als eine Konkurrentin für einen „Unfall“ sorgt und die daraus resultierende Verletzung eine Fortführung der Ballett-Karriere unmöglich macht – für Dominika gleich ein doppelter Schock, weil ohne das Gehalt als Tänzerin nun auch der Unterhalt ihrer kranken Mutter kaum noch möglich ist. Ihr Onkel – seines Zeichens Stellvertretender Direktor bei der Sluschba wneschnei raswedki (SWR), dem russischen Auslandsnachrichtendienst – nutzt die Notlage seiner Nichte zu seinen Gunsten und rekrutiert Dominika für den Geheimdienst. Dabei zeigt Wanja Egorow keine Skrupel und schickt seine Verwandte sogar auf eine der berüchtigten „Spatzenschulen“, wo junge (vorrangig weibliche) Agentinnen in der Kunst der Verführung unterrichtet werden, um für feindliche Agenten sogenannte „Venusfallen“ stellen zu können. Nach ihrer Ausbildung wird Dominika auf ihr erstes Ziel angesetzt: Nathaniel Nash.

Aus dem Alltag eines Spions

Jason Matthews, der Autor von „Red Sparrow“, war selbst (übrigens genauso wie seine Ehefrau Suzanne) mehr als drei Jahrzehnte für die Central Intelligence Agency, den Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten, im Einsatz und fungierte dabei offiziell als Diplomat in Europa, Asien und der Karibik. Seine tatsächliche Aufgabe war jedoch die Anwerbung und Führung ausländischer Agenten – also praktisch genau die Rolle, die auch die Figur Nathaniel Nash in Matthews‘ Roman einnimmt. Somit darf man also davon ausgehen, dass der Autor genau weiß, wovon er schreibt, und diesen Eindruck erweckt „Red Sparrow“ auch ab der ersten Seite. Wer von diesem Buch 670 Seiten voller atemberaubender Action im Stil von Jason Bourne und Kollegen erwartet, der ist hier an der falschen Stelle. Zwar gibt es auch in Matthews‘ Geschichte tödliche Kampfsituationen oder kaltblütige Attentate, allerdings sind solche Szenen eher die Ausnahme. Stattdessen zeigt der Roman auch die vergleichsweise „dröge“ Seite des Agentenlebens, die aus ereignisarmen Observierungen, scheinbar belanglosen Alltagsgesprächen bei der langsamen Anwerbung ausländischer Agenten oder routinemäßigen Vorsichtsmaßnahmen wie zum Beispiel zwölfstündigen (!) Überwachungs-erkennungsrouten zum Abschütteln unliebsamer Verfolger vor geheimen Treffen besteht.

Realistische und detaillierte Einblicke in die Arbeit der Geheimdienste…

Dieser hohe Realismus bringt folglich auch Licht und Schatten mit sich: zum einen ist es wirklich faszinierend, derart detailgetreue und basierend auf der Karriere des Autors vermutlich auch sehr authentische Einblicke in die Arbeit der Geheimdienste zu bekommen. So ist nicht jeder Agent ein Elitekämpfer wie James Bond und stürzt sich von einem tödlichen Gefecht ins nächste, stattdessen ist die tägliche Arbeit auch von viel Bürokratie, Diplomatie und jeder Menge Geduld geprägt und ein falsches Wort oder ein unvorsichtiger Schritt kann die mühevolle Arbeit von Monaten oder gar Jahren zum Einsturz bringen und Menschenleben riskieren. Diese Banalität des Agentenlebens wird im Buch auch sehr treffend dadurch eingefangen, dass am Ende jedes Kapitels jeweils ein kurzes Kochrezept (ja, richtig gelesen!) die Zubereitung eines zuvor erwähnten Gerichts erklärt, welches die Protagonisten bei einem ihrer zahlreichen Treffen in Restaurants oder privaten Wohnungen zu sich genommen haben. Diese Rezeptesammlung wirkt zunächst etwas befremdlich und fehl am Platze, entwickelt im Verlauf des Romans aber fast schon einen gewissen Kultfaktor.

… aber auch viel Leerlauf und eher überschaubarer Nervenkitzel

Die Schattenseite der Authentizität ist jedoch, dass auf sehr vielen Seiten dieses Buches sehr wenig passiert. Dabei kommt zwar nicht unbedingt Langeweile auf, trotzdem gestaltet sich die Lektüre zuweilen schon recht mühsam und man wünscht sich manchmal doch etwas mehr Nervenkitzel. Zudem folgt man als Leser sowohl der amerikanischen als auch der russischen Seite und während die jeweiligen Protagonisten über die Aktivitäten und Motive der Gegenseite in der Regel im Ungewissen sind, so bekommt der Leser nahezu alle Geheimnisse und Zusammenhänge frühzeitig offengelegt. Dadurch verlieren Szenen zwischen den Figuren spürbar an Reiz, als Beispiel sei hier ein prägnanter Moment genannt, in welchem zwei Charaktere einander gegenseitig ihre Tätigkeit als Doppelagent offenlegen und den jeweils anderen anwerben wollen: während die Akteure jedes Wort auf die Goldwaage legen müssen und eine falsche Gesichtsregung im schlimmsten Fall den Tod bedeuten kann, weiß der lesende Beobachter schon längst, dass beide ohne es zu wissen auf der gleichen Seite stehen, sodass die Spannung hier enorm an Intensität verliert.

Komplexe Charaktere gepaart mit typischen Russland-Klischees

Einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen auch die Charaktere selbst: viele, allen voran die beiden Protagonisten Nathaniel Nash und Dominika Egorowa, werden durchaus komplex und mit Ecken und Kanten dargestellt (beide herausragende und hochintelligente Agenten, der eine jedoch zu ungeduldig, die andere zuweilen zu impulsiv) und auch Nebenfiguren wie Nates uriges Vorgesetzten-Duo, die beiden alten Haudegen Forsyth und Gable, oder der russische Doppelagent MARBLE bringen einen gewissen Charme mit und wachsen im Laufe des Romans ans Herz. Dem gegenüber stehen dann aber auch recht klischeehafte Figuren und so werden vor allem die Vertreter Russlands pauschal als skrupellos und böse abgestempelt oder wie Präsident Wladimir Putin regelrecht karikiert, der hier im wahrsten Sinne des Wortes die Muskeln spielen lässt und oberkörperfrei und schwitzend seinen Untergebenen Befehle erteilt. Da zeigt sich, dass „Red Sparrow“ wohl auch durch die persönlichen Erfahrungen des Autors sehr amerikanische geprägt ist und zwischen der „guten“ CIA und dem „bösen“ SWR wenig Graubereiche liegen.

Ein Agententhriller mit viel Licht und ebenso viel Schatten

Insgesamt hinterlässt „Red Sparrow“ also einen etwas durchwachsenen Eindruck: Fans von John Le Carré und Co. werden die realitätsnahe Darstellung der Spionagearbeit vermutlich zu schätzen wissen, während Freunde eher actionreichen Agenten-Thriller sich hier vielleicht zwischendurch gelangweilt abwenden werden. Wer sich noch nicht sicher ist, ob er sich wirklich auf den 670 Seiten dicken Schmöker einlassen will, guckt vielleicht zunächst den Film, denn das Buch wurde 2018 unter gleichem Namen mit Jennifer Lawrence als Dominika Egorowa und Joel Edgerton als Nate Nash für die Leinwand umgesetzt. Autor Jason Matthews hat übrigens auch schon zwei Fortsetzungen der Geschichte geschrieben, „Palace of Treason“ und „The Kremlin’s Candidate“ wurden aber bisher noch nicht für den deutschen Markt übersetzt und eine filmische Umsetzung der Stoffe scheint nach dem eher mäßigen Erfolg des ersten Streifens ebenfalls fraglich.

Red Sparrow – Jason Matthews (Red Sparrow #1)
  • Autor:
  • Original Titel: Red Sparrow
  • Reihe: Red Sparrow Trilogie #1
  • Umfang: 672 Seiten
  • Verlag: Goldmann
  • Erscheinungsdatum: 19. Februar 2018
  • Preis Taschenbuch 9,99 €/eBook 8,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
7/10
Fazit:
Ex-CIA-Mitarbeiter Jason Matthews liefert in seinem Agententhriller viele interessante Insidereinblicke in die Welt der Spionage, durch die authentischen und sehr detaillierten Beschreibungen wirkt "Red Sparrow" zuweilen aber auch etwas langatmig und bietet eher selten den ganz großen Nervenkitzel.

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