Selbst der beste Polizist kann nicht jedes Leben retten – diese schmerzhafte Erfahrung muss auch der Kopenhagener Kommissar und psychologische Vermittler Niels Bentzon machen, als er mitten in der Nacht in die Innenstadt der dänischen Hauptstadt gerufen wird, wo eine weibliche Person kurz davor steht, von einer Brücke in den Tod zu springen. Als Bentzon am Ort des Geschehens eintrifft, findet er dort eine offenbar verwirrte oder unter dem Einfluss von Drogen stehende und zudem völlig unbekleidete Frau vor. Der Unterhändler gibt sein Bestes, um sie von ihrem Unterfangen anzubringen, findet jedoch keinen Zugang zu der Frau und muss hilflos mit ansehen, wie diese sich schließlich von der Brücke stürzt und beim Aufprall auf den Boden sofort stirbt – zum ersten Mal überhaupt ist es Bentzon nicht gelungen, einen Selbstmordversuch zu verhindern.

Der zweite Einsatz für den Kopenhagener Polizisten Niels Bentzon

Mit diesen dramatischen Szenen beginnt „Der Schlaf und der Tod“, der zweite Thriller der unter dem Pseudonym „A.J. Kazinski“ schreibenden dänischen Autoren Anders Rønnow Klarlund und Jacob Weinreich und wie schon im Vorgänger „Die Auserwählten“ stehen dabei der Polizist Niels Bentzon und die Astrophysikerin Hannah Lund im Mittelpunkt der Handlung. Zwischen dem Ende des ersten Buches und dem Beginn des Nachfolgers ist jedoch eine ganze Weile vergangen, in der die beiden Protagonisten eine regelrechte private Achterbahnfahrt durchgemacht haben – so haben Niels und Hannah in der Zwischenzeit geheiratet, stehen nach einigen Rückschlägen aber auch schon wieder vor dem Ende ihrer Beziehung und befinden sich zu Beginn des Buches beide in einer Art Sinnkrise.

Ein Fall, der eigentlich gar keiner ist

In dieser Situation trifft Niels die berufliche Niederlage mit dem vergeblich verhinderten Suizid umso härter und vielleicht ist auch das ein Grund, warum er den Tod der Frau nicht als Selbstmord akzeptieren will – auch wenn er mit eigenen Augen gesehen hat, wie diese freiwillig von der Brücke gesprungen ist. Für Bentzon gibt es einfach zu viele Ungereimtheiten: die Frau schien vor etwas Angst zu haben, hatte einen rätselhaften Drogencocktail im Blut und wurde offenbar kurz vor ihrem Suizid erst wiederbelebt – Niels ist sich sicher, dass die Tote ihr Schicksal nicht selbst gewählt hat, sondern in den Tod getrieben wurde. Diese Umstände sorgen für eine etwas ungewöhnliche Ausgangssituation in „Der Schlaf und der Tod“, denn eigentlich gibt es kein Verbrechen in klassischer Hinsicht, sondern Bentzon geht lediglich einem persönlichen Gespür nach – in einem Fall, der laut seinen Vorgesetzten und Kollegen und den nüchternen Fakten eigentlich überhaupt keiner ist.

Ein rätselhaftes Puzzle mit hoher Sogwirkung

Trotzdem erzeugen die Autoren praktisch von der ersten Szene an eine ungemeine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann, selbst wenn auf den ersten Blick eigentlich gar nicht so viel passiert. Dieser Suchtfaktor hat vor allem zwei Gründe: Zum einen teilen Klarlund und Weinreich ihre Geschichte in mehrere Handlungsstränge auf, die zu Anfang so gut wie nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, sich jedoch langsam aber stetig zu einem sehr komplexen Gesamtbild zusammenfügen und es ist faszinierend zu verfolgen, wie ein Puzzlestück zum anderen findet.

Spirituell, philosophisch, mysteriös

Der zweite Grund ist die sehr besondere Atmosphäre des Buches, denn wie schon bei „Die Auserwählten“ zeichnet sich auch der zweite Kazinski-Thriller durch einen gewissen Mystery-Faktor aus. War es im Vorgänger noch eine jüdische Legende, die der Handlung ihr Gerüst gegeben hat, so dreht sich diesmal viel um rätselhafte Nahtod-Erlebnisse. Das klingt erst einmal sehr esoterisch, mann muss aber keinesfalls befürchten, dass Niels Bentzon mit Wünschelrute und Feng-Shui-Ratgeber durch die Ermittlungen irrt, denn die beiden Autoren zwingen ihren Lesern keine vordefinierte Sichtweise auf, sondern regen lediglich zum Nachdenken an. Man muss also keineswegs selbst esoterisch angehaucht sein, um in die Thematik eintauchen zu können, es ist aber durchaus hilfreich, wenn man zumindest der gedanklichen Auseinandersetzung mit eher spirituellen oder auch philosophischen Elementen eine gewisse Faszination entgegenbringen kann. Das mag sicherlich nicht jedermanns Geschmack sein, das Autorenduo scheint mit diesem leichten Mystery-Einschlag aber sein Markenzeichen gefunden zu haben und hebt seine Thriller-Reihe damit auf jeden Fall wohltuend aus der breiten Masse heraus.

Komplex und psychologisch faszinierend

„Der Schlaf und der Tod“ besticht nicht durch hohes Tempo oder atemberaubenden Nervenkitzel, hat aber dafür seine eigenen Stärken und fasziniert nicht nur mit dem oben angesprochenen Mystery-Faktor, sondern hat auch auf psychologischer Ebene viel zu bieten. Das beginnt bei den beiden Hauptfiguren Niels Bentzon und Hannah Lund, die viel mit ihrer eigenen Lebenssituation zu kämpfen haben, erstreckt sich aber auch über einen Großteil der Nebencharaktere, die fast alle ihre eigene Hintergrundgeschichte haben und dadurch zu sehr interessanten Persönlichkeiten werden und nicht zu bloßen Randfiguren verkommen. In der ersten Buchhälfte wirkte es auf mich zwar stellenweise noch so, als würde Hannah als Hauptfigur des ersten Bandes mit ihrem privaten Problem nun auf Teufel komm raus auch in die Handlung des Nachfolge-Romans integriert werden müssen, im späteren Verlauf wird aber auch ihre Daseinsberechtigung erkennbar und ihre Geschichte integriert sich gut und schlüssig in die Hauptstory.

Ein ungewöhnlicher, aber äußerst packender Mystery-Thriller

Insgesamt steigern sich Klarlund und Weinreich mit ihrem zweiten Niels-Bentzon-Thriller also im Vergleich zum auch schon gelungenen Auftaktband „Die Auserwählten“ noch einmal deutlich und liefern mit „Der Schlaf und der Tod“ eine sehr spannende, atmosphärisch ungemein dichte und thematisch sehr originelle Fortsetzung ab, die nicht nur bestens unterhält, sondern mit den philosophischen und spirituellen Ansätzen auch sehr zum Nachdenken anregt. Zudem werden die beiden Hauptfiguren weiter ausgearbeitet und gewinnen noch mehr an Profil und ich bin jetzt schon gespannt darauf, wo die Reise für Niels Bentzon und Hannah Lund im weiteren Verlauf der Reihe hinführen wird. Ebenfalls nicht unerwähnt bleiben soll die erneut grandiose Lesung von Hörbuch-Sprecher David Nathan, der stimmlich perfekt zu Bentzons Figur passt und mit spielerischer Leichtigkeit zwischen ungeduldiger Gereiztheit und nachdenklicher Verzweiflung wechselt und mit dieser einfühlsamen Interpretation viel zur besonderen Stimmung dieses ungewöhnlichen Mystery-Thrillers beiträgt.

Der Schlaf und der Tod (Niels Bentzon #2)
  • Autor:
  • Sprecher: David Nathan
  • Original Titel: Søvnen og Døden
  • Reihe: Niels Bentzon #2
  • Länge: 14 Std. 57 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Random House Audio
  • Erscheinungsdatum: 19. August 2013
  • Preis 23,23 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
8/10
Fazit:
Mit „Der Schlaf und der Tod“ gelingt A.J. Kazinski eine starke Fortsetzung der Niels-Bentzon-Reihe, die trotz des vermeintlich eher unspektakulären Falls schon früh eine enorme Sogwirkung entwickelt und mit ungewöhnlichen, aber faszinierenden Denkansätzen, einer clever konstruierten Story und psychologisch gut ausgearbeiteten Charakteren überzeugt.

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2 Antworten zu diesem Beitrag

  • Ich kann kaum glauben, wie viel ich vergessen habe. Ich kann sogar nicht sagen, wie die ganze Geschichte gelöst wurde. Du musst mich daran erinnern, bevor wir die Reihe weiterhören. XD

    • Ich glaube ein bisschen erinnere ich mich noch an die Geschichte 😀

      Mein Arbeitskollege hört aber gerade Band 1 und hat sich für den Urlaub schon Band 2 heruntergeladen, dann kann er mir hinterher nochmal schön zusammenfassen worum es ging XD