Das Dorf_Rezi

Mehr als zwei Monate ist es her, dass Bastian Thanner zuletzt etwas von seiner Ex-Freundin Anna gehört hat, umso überraschter ist er daher, als diese ihn plötzlich anruft und ihn panisch und verzweifelt um Hilfe anfleht: Sie werde in einem kleinen Dorf gefangengehalten und fürchte um ihr Leben, doch bevor Bastian ihr nähere Einzelheiten entlocken kann, bricht die Verbindung ab. Der verdatterte Ex-Freund ist von dem kurzen Gespräch und der Angst in Annas Stimme völlig überwältigt und braucht erst einmal ein paar Minuten, um nach diesem Schock wieder klar denken zu können. Er meldet den Hilferuf der Polizei, doch da diese bei Bastians Angaben auf einige merkwürdige Ungereimtheiten stößt und sich zudem wenig aktiv zeigt, ergreift Bastian Eigeninitiative und reist gemeinsam mit seinem Freund Safi nach Mecklenburg, wo Anna ihren eigenen Worten zufolge festgehalten wird. Doch was Bastian und Safi in dem kleinen Dorf vorfinden, scheint ihre schlimmsten Befürchtungen noch zu übertreffen…

Ein Mann, ein Dorf, ein Albtraum

Es ist ein etwas gezwungen wirkenden Auftakt, mit dem Bestsellerautor Arno Strobel seinen neuesten Thriller „Das Dorf“ einleitet: Ein junger Mann erhält einen verzweifelten Hilferuf seiner Ex-Freundin, und obwohl Bastian Thanner nicht allzu lange mit Anna zusammen war und auch schon wochenlang nichts mehr von ihr gehört hat, lässt er plötzlich alles stehen und liegen und macht sich überstürzt auf die Suche ihr – was ein wenig plump und hölzern erscheint, ist aber ohnehin nur Mittel zum Zweck, denn eigentlich beginnt der Roman so richtig erst mit der Ankunft in Kissach, Annas vermeintlichem Aufenthaltsort. Schon auf dem Weg dorthin sorgen vermummte Gestalten für ein erstes ungutes Gefühl und einmal in dem kleinen Dorf angekommen wirkt es fast so, als sei man in eine andere Welt eingetaucht – eine, in der die Zeit in den letzten Jahrzehnten stillgestanden hat. Einige wenige alte Häuser, seltsam menschenleere Straßen, verschlossene Bewohner und das Fehlen fast jeglicher Hinweise auf eine moderne Zivilisation erzeugen schnell und effektiv eine unwirtliche und feindliche Atmosphäre, die einen schon nach kurzer Zeit gefangen nimmt.

Zwischen Wahnsinn und verstörender Realität

Nun stellt man sich vielleicht die Frage, wie ein solcher Ort mitten im Deutschland des 21. Jahrhunderts noch möglich ist, wer sich aber schon am merkwürdigen Setting stört, wird mit „Das Dorf“ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht viel Freude haben, denn der Schauplatz ist erst der Auftakt zu einer nicht enden wollenden Reihe an Seltsamkeiten. Menschen verschwinden plötzlich, tauchen kurz darauf ebenso unerwartet auf als wäre nichts gewesen und nicht nur Strobels Hauptfigur fühlt sich, als wäre sie in einem bizarren Albtraum gelandet. Dieser verwirrende und mysteriöse Plot kann auf nur eine einzige Weise funktionieren: mit einem unzuverlässigen Erzähler, und auch wenn sich der Autor nicht für die Ich-Perspektive entschieden hat, werden die Ereignisse doch rein aus Bastians Sicht geschildert. So weiß man nie, ob man dessen Erlebnisse als Realität betrachten kann, oder ob dieses wahre Feuerwerk an Merkwürdigkeiten nicht allein auf einen sich rasant verschlimmernden Geisteszustand des (leider etwas blass bleibenden) Protagonisten zurückzuführen sind. Die Handlung ist zwar weder besonders komplex noch originell, funktioniert aber trotzdem erstaunlich gut: So sehr man auch die Logik hinter dem Gelesenen hinterfragen möchte, so kommt man doch nicht umher, eine gewisse Neugier zu entwickeln. Durch die vielen Mysterien erzeugt „Das Dorf“ fast schon automatisch eine enorme Sogwirkung, da man gespannt auf eine Erklärung für die teilweise unmöglich scheinenden Ereignisse wartet.

Ein solider und atmosphärischer Mystery-Thriller – trotz mäßiger Auflösung

Je mehr von diesen Seltsamkeiten man erlebt, desto mehr beschleicht einen aber auch das ungute Gefühl, dass das Ende dieses Buches den immer höher werdenden Erwartungen letztlich nicht gerecht werden kann. Strobel treibt das Verwirrspiel nämlich so auf die Spitze, dass es irgendwann einfach keinen logischen Ausweg aus dem Schlamassel zu geben scheint und die Möglichkeiten zur Auflösung immer überschaubarer werden, was in gewisser Weise eine leichte Vorhersehbarkeit mit sich bringt. Und auch wenn der Autor die befürchtete totale Enttäuschung glücklicherweise doch vermeiden kann, so lässt einen das Ende des Buches dann trotzdem irgendwie unzufrieden zurück. Denn obwohl man sich lange genug darauf einstellen konnte, dass die Auflösung an der hohen Erwartungshaltung scheitern könnte – insgeheim hatte man dann wohl doch auf ein kleines Meisterstück gehofft, das aber leider ausbleibt. Dennoch ist „Das Dorf“ nach den zuletzt enttäuschenden Werken „Der Sarg“ und „Das Rachespiel“ wieder ein Schritt in die richtige Richtung und für mich Strobels bester Thriller seit „Das Skript“, auch wenn der Autor von der Rafinesse früherer Romane noch ein gutes Stück entfernt ist. Abgerundet wird der solide Gesamteindruck noch von der guten Lesung Sascha Rotermunds, der die Verwirrung und Verzweiflung der Hauptfigur gut rüberbringt und dadurch viel zur intensiven Atmosphäre des Hörbuches beiträgt.

Das Dorf
  • Autor:
  • Sprecher: Sascha Rotermund
  • Länge: 8 Std. 54 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Argon Verlag
  • Erscheinungsdatum: 18. Dezember 2014
  • Preis 20,95 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
7/10
Fazit:
Arno Strobel zeigt sich nach zwei eher enttäuschenden Romanen stark verbessert und bietet mit seinem subtil-verstörenden und sehr atmosphärischen Mystery-Thriller „Das Dorf“ wieder spannende Unterhaltung – auch wenn die Auflösung fast erwartungsgemäß nicht voll überzeugen kann.

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