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Um den tragischen Tod seines Sohnes aufzuklären, muss Journalist Henning Juul einem Sträfling helfen, der sich zu Unrecht in Haft sieht.

Auch zwei Jahre nachdem sein Sohn Jonas bei einem schrecklichen Wohnungsbrand ums Leben kann, hat der norwegische Journalist Henning Juul von der Online-Zeitung „123nyheter“ die Tragödie immer noch nicht wirklich verarbeitet. Zwar steht er nach einer zweijährigen Pause nun wieder mitten im Berufsleben, doch der Brand beschäftigt ihn nach wie vor jeden Tag. Henning ist davon überzeugt, dass Jonas nicht bei einem Unfalls ums Leben kam, sondern dass das Feuer gezielt gelegt wurde, um den Journalisten selbst zu treffen. Als der Journalist dann überraschend einen Anruf aus dem Osloer Gefängnis erhält, sieht er sich in seiner Theorie bestätigt: Der wegen Mordes verurteilte Häftling Tore Pulli gibt an, wichtige Hinweise über den Brand liefern zu können. Um diese jedoch zu erhalten, müsse Juul Pullis eigenen Fall noch einmal neu aufrollen, denn dieser behauptet nach wie vor, den ihm zu Last gelegten Mord nicht begangen zu haben…

Henning Juuls Suche nach der Wahrheit geht weiter

„Vergiftet“ ist der zweite Kriminalroman des Norwegers Thomas Enger um den Journalisten Henning Juul und obwohl das Buch eine weitestgehend eigenständige Geschichte bietet, kann es in diesem Fall nicht schaden, auch den Vorgänger „Sterblich“ gelesen zu haben. Denn bereits im Auftaktband der Reihe spielte die persönliche Tragödie Juuls eine wichtige Rolle, schilderte er doch, wie der Journalist zwei Jahre nach dem Feuertod seines kleinen Sohnes wieder zurück ins Leben gefunden und seine Tätigkeit als Reporter wieder aufgenommen hat. Die Depression ist also inzwischen weitestgehend überstanden und „Vergiftet“ wirkt bei weitem nicht so schwermütig wie Engers Debüt, trotzdem schwebt der Fall Jonas Juul nach wie vor über dem Geschehen und wird vom Autor immer wieder geschickt in den Vordergrund geholt, um zusätzliche Spannung aufzubauen.

Juuls Deal mit einem Sträfling – Täuschung oder echte Spur?

Die Ausgangssituation in zweiten Juul-Krimi ist simpel: Henning soll einem angeblich zu Unrecht verurteilten Mörder helfen, seine Unschuld zu beweisen und erhält im Gegenzug Informationen über den Tod seines Sohnes. Natürlich ist sich Juul bewusst, dass Tore Pulli Jonas möglicherweise nur als Lockmittel einsetzt, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen, doch Henning klammert sich in dieser Angelegenheit an jeden noch so dünnen Strohhalm, um endlich die erhoffte Aufklärung über die schreckliche Nacht vor zwei Jahren zu erhalten. Und als Juul dann auch noch bei ersten Nachforschungen herausfindet, dass der Fall Pulli tatsächlich einige Ungereimtheiten aufweist, ist schließlich auch sein journalistischer Ehrgeiz geweckt.

Spannend, aber sehr komplex

Wie schon der Vorgänger bietet auch „Vergiftet“ wieder spannende und intelligente Krimi-Unterhaltung, die allerdings auch ihren Preis hat. Um seiner Geschichte die nötige Glaubwürdigkeit zu verschaffen, spinnt Thomas Enger ein sehr komplexes Netz mit unzähligen Nebencharakteren und vielen kleinen Nebenplots, über das man schnell den Überblick verlieren kann – zumal es die oft schwierigen norwegischen Namen der deutschen Leserschaft auch nicht gerade einfacher machen. Enger verlangt einem beim Lesen die volle Aufmerksamkeit ab, belohnt dies dann aber durch einen wirklich clever konstruierten Krimiplot, der nicht nur packend ist, sondern auch jederzeit authentisch wirkt. Dass sich Henning Juul bei seinen Ermittlungen dann auch noch in einem äußerst zwielichtigen Milieu bestehend aus skrupellosen Geldeintreibern und gewissenlosen Schlägern bewegen muss, setzt dabei zusätzliche Reizpunkte.

Gelungene Fortsetzung der Krimireihe

Eine kleine Warnung zum Schluss: Das Lesen des deutschen Klappentextes sollte man nach Möglichkeit vermeiden, denn hier wird leider wieder einmal eine wichtige Wendung vorweggenommen, die eigentlich erst in der zweiten Romanhälfte vollzogen wird. Zudem sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Bücher der Henning-Juul-Reihe zum Teil auch eine Art Fortsetzungsromane sind und es dadurch durchaus vorkommen kann, dass nicht alle Fragen innerhalb dieses einen Buches beantwortet werden – wer eine lückenlose Aufklärung aller Handlungsstränge erwartet, könnte hier enttäuscht werden. Ich aber bin mit „Vergiftet“ endgültig zum Fan des glaubwürdigen, cleveren und sympathischen Journalisten Henning Juul geworden, bei dem Thomas Enger die persönliche Tragödie wohldosiert und spannungsfördernd einsetzt, sodass diese nicht durch die in nordischen Krimis oft erlebten Abstürze der Ermittlerfiguren langweilt.

Fazit:
Cleverer Journalismus-Krimi mit komplexem, aber raffiniertem Plot und einer spannenden und glaubwürdigen Hauptfigur (8/10).

Vergiftet
Autor: Thomas Enger; Originaltitel: Fantomsmerte; Sprecher: Oliver Siebeck; Spieldauer: 11 Std. 37 Minuten (ungekürzt); Anbieter: Random House Audio, Deutschland; Veröffentlicht: 03. November 2012; Preis: 20,95 €.

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