Cover des Buches
Autor: Jedediah Berry
Umfang: 384 Seiten
Verlag: btb
Erscheinungstermin: 13. August 2012
Originaltitel: The Manual of Detection
Preis: 9,99 € (Taschenbuch)

Klappentext:
Als kleiner Angestellter plagt sich Charles Unwin in einer weit verzweigten Detektivagentur ab, deren labyrinthisches Gebäude in einer Stadt aufragt, in der es immer zu regnen scheint. Als der berühmteste Detektiv der Agentur plötzlich vermisst wird, macht man Unwin selbst zu seinem Nachfolger. Nun muss er sich um die Aufklärung des Verbrechens kümmern. Unwin begibt sich auf eine bizarre Suche, die ihn in die dunkelsten Ecken der ewig feuchten und schläfrigen Großstadt führt. Mit Hilfe des »Handbuchs für Detektive « und unterstützt von seiner mysteriösen Assistentin Emily Doppel muss Unwin vielen Gefahren trotzen und manches Rätsel entwirren – und schließlich auch in die Träume seiner Mitmenschen eindringen. Träume, in denen man sich leicht verlieren kann …

Meine Buchbesprechung:
Seit 20 Jahren gleicht im Leben von Charles Unwin ein Tag dem anderen. Jeden Morgen steht er auf, frühstückt eine Schüssel mit Hafergrütze, setzt sich auf sein Fahrrad, fährt ins Büro, erledigt gewissenhaft seine Arbeit und fährt danach direkt zurück nach Hause, isst zu Abend, legt sich schlafen und der Kreislauf beginnt von vorne. Seit ein paar Tagen gibt es jedoch eine kleine Abweichung in seinem Tagesablauf, denn jeden Morgen macht er vor der Fahrt zu seiner Arbeitsstelle noch einen Abstecher zum Bahnhof, wo er einer geheimnisvollen Frau in einem karierten Mantel hinterherspioniert. Warum er das tut, weiß er selbst nicht so genau, doch aus irgendeinem Grund übt diese Fremde eine ungeheure Faszination auf ihn aus, der er sich kaum entziehen kann.

Ein Detektiv wider Willen muss den größten Ermittler aller Zeiten retten

Eines Morgens wird Charles Unwins heile Welt aber völlig aus den Fugen gebracht. Am Bahnhof wird er nämlich von einem Mann abgefangen, der ihm die Nachricht von seiner Beförderung zukommen lässt. Das ist zwar eigentlich ein Grund zur Freude, doch bei dem folgsamen Büroangestellten löst diese Nachricht fast schon blanke Panik aus. Es muss sich einfach um einen Irrtum handeln, denn eine Beförderung ist in seinem Beruf völlig ausgeschlossen. Unwin arbeitet nämlich seit zwei Jahrzehnten in einer riesigen Detektivagentur, wo er als Schreiber die Notizen des ihm zugewiesenen Ermittlers in makellose Berichte umschreibt und somit die gelösten Fälle zu einem sauberen Abschluss bringt. Nun ist jedoch genau dieser Detektiv, dessen spektakuläre Fälle er seit zwei Jahrzehnten für die Archive der Agentur aufbereitet, plötzlich spurlos verschwunden – und Charles Unwin soll seinen Platz als Detektiv einnehmen. Doch damit nicht genug: Sein erster Auftrag in der neuen Position lautet, seinen vermissten Vorgänger zu finden und zurückzubringen – falls dieser überhaupt noch am Leben ist…

Ein Buch der etwas anderen Art…

Es gibt Bücher, bei denen merkt man direkt auf den ersten Seiten, dass man es hier mit etwas Besonderem und Außergewöhnlichem zu tun hat. Auch das „Handbuch für Detektive“ von Jedediah Berry gehört ohne jeden Zweifel zu dieser Sorte. Schon die ersten Schritte an der Seite der Hauptfigur Charles Unwin wirken irgendwie sonderbar, der Schreibstil ungewöhnlich, ohne dass man es genau an einem bestimmten Detail festmachen könnte. Auch das Verhalten des Protagonisten wirft Fragen auf: Warum gleicht im Leben des Charakters seit 20 Jahren ein Tag dem anderen? Weshalb verfolgt Charles jeden Morgen die Frau im karierten Mantel, die immer wieder aufs Neue auf den Bahnsteig tritt, den ankommenden Zug abwartet und dann unverrichteter Dinge wieder die Station verlässt? Und was hat es mit Unwins Beruf auf sich, um den er sich aufgrund seines bizarren Verhaltens so viele Gedanken macht?

Wie aus einem einfachen Schreiberling plötzlich ein Detektiv wird…

Zumindest die letzte Frage wird vom Autor recht schnell beantwortet: Charles Unwin arbeitet als Schreiber für eine Detektei – allerdings nicht für einen schnoddrigen Privatdetektiv in irgendeinem verrauchten Hinterzimmer, sondern für eine Detektivagentur von gigantischem Ausmaß, deren Hauptsitz ein riesiges Hochhaus ist. In diesem Bürokomplex verbringt Unwin eigentlich sein ganzes Leben und tippt in fast vollständiger Anonymität seine Berichte. Gespräche über die Arbeit sind untersagt, ebenso der Austauch mit Kollegen aus anderen Abteilungen. Alles unterliegt strengster Geheimhaltung, und so hat der fleißige und zuverlässige Schreiber auch noch nie seinen Vorgesetzten, den berühmten Detektiv Travis T. Sivart, leibhaftig zu Gesicht bekommen. Trotzdem kennt er die Ermittler-Ikone wie kaum ein zweiter, denn niemand ist so mit dessen Fällen vertraut wie Charles Unwin. Obwohl das Leben des Schreibers auf den Außenstehenden trist, langweilig und eintönig wirkt, so schätzt Unwin doch seinen geregelten Tagesablauf und findet in den Regeln und Wiederholungen die benötigte Sicherheit.

Damit ist es jedoch schlagartig vorbei, als Travis T. Sivart verschwindet und Charles Unwin seinen Platz einnehmen soll. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn es ist absolut ausgeschlossen, vom Schreiber zum Detektiv befördert zu werden. Während die Hauptfigur also versucht, den offensichtlichen Irrtum zu korrigieren, landet sie unfreiwillig in einem Mordfall, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Unwin sieht nur eine Möglichkeit, um aus dem Schlamassel wieder zu entkommen: Er muss herausfinden, woran Sivart zuletzt gearbeitet hat, um dadurch auf die Fährte des Detektivs zu gelangen und ihn wieder unversehrt in die Agentur bringen zu können, sodass Charles dann – so hofft er zumindest inständig – wieder seiner gewohnten Arbeit als Schreiber nachgehen kann.

Traum oder Wirklichkeit? Nichts ist so wie es scheint…

Das klingt zunächst einmal alles nach einem mehr oder weniger gewöhnlichen Kriminalroman – doch gewöhnlich ist bei Jedediahs Berrys „Handbuch für Detektive“ so gut wie gar nichts. Das merkt man als Leser schon, wenn man sich gemeinsam mit dem Protagonisten in die bisherigen Fälle des Star-Detektivs einarbeitet. Diese Akten tragen Namen wie „Das Älteste Mordopfer der Welt“, „Die drei Tode des Colonel Baker“ oder „Der Mann, der den zwölften November stahl“. Man kommt sich vor wie in einer Traumwelt, so skurril, altmodisch und surreal wirken das Setting, die Charaktere und die Geschichte selbst – und in der Tat spielen Träume im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle. Der gerissene Bauchredner Enoch Hoffmann, der ewige Widersacher von Travis T. Sivart, plant nämlich ein weiteres spektakuläres Verbrechen, welches von der Art und Komplexität fast schon ein wenig an Christopher Nolans Film „Inception“ erinnert. Somit fällt es unheimlich schwer, den Berrys Roman einem einzigen Genre zuzuordnen, wo das Buch doch so viele Elemente aus Krimi, Science-Fiction und Fantasy miteinander kombiniert und die Grenzen der Genres hemmungslos durchbricht. Doch gerade diese ungewöhnliche Kombination ist es, die gepaart mit den sonderbaren Charakteren und der nicht weniger eigenwilligen Story eine ungemeine Faszination ausübt, der man sich nur schwer entziehen kann, wenn man ihr erst einmal verfallen ist.

Schlussfazit:
Ich weiß nicht, ob ich überhaupt jemals etwas von Jedediah Berrys „Handbuch für Detektive“ gehört hätte, wenn ich es nicht zufällig beim Stöbern in der Buchhandlung meines Vertrauens entdeckt und aufgrund des irgendwie interessanten Covers blind gekauft hätte. Nach der Lektüre des Buches muss ich auch ehrlich festhalten, dass Berrys surrealer Fantasy-Krimi wohl auch kein Buch für die breite Masse ist und für kontroverse Meinungen sorgen wird. Es wird mit Sicherheit viele Leser geben, die den Roman langweilig, öde, anstrengend oder zu abgedreht finden – und ich kann das absolut nachvollziehen. „Handbuch für Detektive“ erzeugt nämlich nicht die Spannung, die man von herkömmlichen Kriminalromanen gewohnt ist. Actionszenen gibt es so gut wie gar nicht und richtige Ermittlungsarbeit ist das, was Charles Unwin auf den knapp 400 Seiten so treibt, eigentlich auch nicht. Warum ist dieses Buch also so faszinierend?

Surrealer und eigenwilliger Fantasy-Krimi, der wie ein abgedrehter Traum wirkt

Die Antwort liegt meiner Ansicht nach eindeutig in dem außergewöhnlichen Setting der Geschichte und dem eigenwilligen Schreibstil. Irgendwie wirkt alles ein wenig altmodisch und unwirklich, fast schon kafkaesk, und man muss sich schon ein wenig in das Buch hineinarbeiten, wenn man den Roman in seiner ganzen Komplexität wahrnehmen will. Es ist sicherlich kein Buch, das man mal so eben nebenbei lesen könnte, dafür ist Berrys Werk einfach zu speziell. Beim Leser sollte definitiv die Bereitschaft vorhanden sein, sich auf diese ungewöhnliche Geschichte einlassen zu wollen. Es gibt so viel zu entdecken, so viele literarische Anspielungen, dass man sich für die Lektüre wirklich Zeit nehmen sollte. Wer also einmal etwas völlig anderes lesen möchte und für wen eine Mischung aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“, Michael Endes „Momo“ und Christopher Nolans „Inception“ nicht komplett ungenießbar klingt, dem sei das „Handbuch für Detektive“ wärmstens ans Herz gelegt. Für mich hat es sich jedenfalls beim Lesen angefühlt wie ein absurder, aber gleichzeitig ungemein faszinierender Traum, aus dem ich nur widerwillig wieder aufgewacht bin.

Meine Wertung: 9/10

Informationen:
„Handbuch für Detektive” von Jedediah Berry ist im btb Verlag erschienen und hat einen Umfang von 384 Seiten. Das Buch ist für 9,99 € als Taschenbuch erhältlich.

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