Autor: Moritz Netenjakob
Umfang: 320 Seiten
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsdatum: 12. März 2012

Klappentext:
Aylin hat endlich Ja gesagt. Daniel ist am Ziel seiner Träume. Aber auf das, was jetzt passiert, hat ihn niemand vorbereitet: Plötzlich hat er 374 türkische Familienmitglieder. Und die melden sich vier Mal am Tag mit guten Tipps: Wohin die Hochzeitsreise gehen soll, wem er einen Job in seiner Firma verschaffen muss und warum er Tante X anlügen muss, damit Onkel Y nicht beleidigt ist. Seine Eltern sind so ausländerfreundlich, dass es schon wieder diskriminierend ist – für sie wäre auch ein Schlag ins Gesicht noch eine interessante kulturelle Erfahrung. Andererseits fehlt ihnen jegliches Feingefühl für türkische Empfindlichkeiten: So wollen sie nicht nur ganz ungezwungen über Sexualität reden, sondern auch als Atheisten mit Aylins moslemischen Eltern zusammen Weihnachten feiern, griechische Oliven essen und moderne Theaterinszenierungen besuchen.
Als der traditionsbewusste Onkel Abdullah anreist, Daniel für ihn den Moslem spielen soll und dann auch noch die Hochzeit verschoben werden muss, geht es ums Ganze: Kann eine große Liebe diesen orientalischdeutschen Wahnsinn überstehen?

Zum Roman:
Daniel hat es geschafft: Obwohl er immer noch nicht so wirklich weiß warum, hat seine absolute Traumfrau Aylin seinen Heiratsantrag angenommen. Nun stehen natürlich die Hochzeitsvorbereitungen auf dem Programm: Das Reiseziel für die Flitterwochen muss ausgesucht, die richtige Location für die Hochzeitsfeier gefunden und Hochzeitseinladungen verschickt werden. Da geht es aber schon los mit den Problemen, denn statt einer intimen Feier im engsten Familienkreis – wie Bräutigam Daniel es sich wünscht –, besteht Aylin auf eine Hochzeit mit der gesamten Familie. In ihrem Fall kommt man also auf gut 500 Gäste, denn die gesamte türkische Großfamilie soll eingeflogen werden.

Zu allem Überfluss steht auch noch Weihnachten vor der Tür, welches gemeinsam mit Daniels und Aylins Eltern gefeiert werden soll. Dabei treffen aber zwei Kulturen aufeinander, wie sie verschiedener kaum sein könnten. Auf der einen Seite die extrem toleranten 68er-Eltern, die sich noch dazu in hochintellektuellen Kreisen bewegen und zu jeder Kleinigkeit eine kulturelle Debatte vom Stapel lassen können – und auf der anderen Seite Aylins Familie mit türkischem Kitsch in schönstem Zartrosa und hektischem und lauten Familien-Chaos. Kein Wunder, dass die Hochzeitsvorbereitungen zum absoluten Wahnsinn ausarten…

„Der Boss“ von Moritz Netenjakob ist die Fortsetzung seines sehr erfolgreichen Romandebüts „Macho Man“ und schließt vermutlich direkt an den Vorgänger an – genau kann ich das nicht beurteilen, da ich den ersten Teil nicht gelesen habe, allerdings landet man direkt mit Daniel und Aylin im Reisebüro, um das geeignete Ziel für die Flitterwochen zu wählen. Bereits in dieser ersten Szene wird ganz klar die Richtung des Romans vorgegeben, denn schon die ersten Seiten sprudeln vor einer sehr unterhaltsamen Situationskomik. Im Mittelpunkt steht natürlich Ich-Erzähler Daniel, der sein Glück noch immer nicht so richtig fassen kann und alles tun würde, um seine zukünftige Frau glücklich zu machen. Dabei will er möglichen Konflikten unter allen Umständen aus dem Weg gehen und würde am liebsten zu allem „Ja“ und „Amen“ sagen. Dummerweise bekommt er von seiner Aylin aber plötzlich die Rolle des Bosses zugeteilt und soll nun wichtige Entscheidungen alleine treffen – doch schon mit der Wahl des Urlaubsortes ist Daniel gnadenlos überfordert. Der Leser bekommt dabei vollen Zugang zu Daniels völlig überdrehten und schwarzmalerischen Gedankenspielen, welche aber herrlich selbstironisch geschildert werden.

Überhaupt fällt es sehr leicht, die Figuren des Romans ins Herz zu schließen – und dabei gibt es überraschenderweise nicht eine einzige unsympathische Figur. Ob Daniels durchgeknallte Eltern, ihre nicht weniger verrückten Intellektuellen-Freunde, Aylins unzählige Tanten (die alle irgendwie Emine heißen), ihr streng muslimischer Onkel oder sogar der Chef des Bräutigams, ein dummschwätzerischer Medienheini – trotz ihre vielen Ecken und Kanten ist es fast unmöglich, die Charaktere nicht zu mögen. Dabei greift Netenjakob aber auch brutal ins Klischee-Repertoire und kein Vorurteil wird ausgelassen. Die Türken hassen die Griechen wie die Pest, haben hunderte Verwandte, leben im totalen Kitsch und essen wie die Scheunendrescher. Dem gegenüber stehen Daniels intellektuelle Eltern mit bewegter sexueller Vergangenheit (wie es sich für einen Klischee-68er eben gehört…), die mit der türkischen Kultur eigentlich gar nichts anfangen können, aber aufgrund ihrer extremen Toleranz jeden Quatsch mitmachen – selbst wenn dabei eigentlich unverrückbare familiäre Tradionen über den Haufen geschmissen werden müssen.

Moritz Netenjakobs „Der Boss“ bietet also das klassiche Culture-Clash-Szenario, der Autor schafft es aber daraus einen überaus amüsanten Roman zu machen – obwohl es strenggenommen nicht mal eine richtige Story gibt. Vielmehr ist das Buch eine Aneinanderreihung von lustigen Szenen, die alle im Rahmen der Hochzeitsvorbereitungen stattfinden. Dank Netenjakobs grandiosem Humor ist so aber ein höchst kurzweiliges Lesevergnügen entstanden, welches man nur schwer aus der Hand legen kann. „Der Boss“ verfügt über eine erstaunlich hohe Gag-Quote, die zwar nicht immer aus hoch anspruchsvollen Witzen besteht, deren inhaltliches Niveau aber noch weit über einem durchschnittlichen Tommy Jaud-Buch angesiedelt ist. Besonders positiv ist neben den tollen Dialogen auch die Tatsache, dass sich Netenjakob zu keiner Zeit über seine Figuren lustig macht, sondern der Humor immer auf einer sehr warmherzigen Ebene liegt. Denn trotz aller Klischees ist der Autor niemals verletzend oder diskriminierend.

Leider geht der Geschichte zum Ende hin ein wenig die Luft aus, denn es fehlen meiner Meinung nach ein paar Überraschungen. Zudem wird das deutsch-türkische Aufeinandertreffen mit der Zeit sehr anstrengend und man wünscht sich wie die männliche Hauptfigur Momente zur Erholung, mal ohne überdrehtes Familienchaos und vielleicht auch mal mit der ein oder anderen ernsteren Szene. Zwar gibt es während der Hochzeitsvorbereitungen natürlich auch den ein oder anderen Rückschlag, doch selbst dann wird man noch von allen Seiten mit Pointen beworfen.

Mein Fazit:
Mit „Der Boss“ ist Moritz Netenjakob eine sehr unterhaltsame Fortsetzung zu „Macho Man“ gelungen, welche vermutlich auch in kurzer Zeit wieder auf den Bestsellerlisten zu finden sein wird. Dabei besticht das Buch vor allem durch seine lebendigen und fast durchgängig ein wenig verrückten Charaktere sowie den wirklich großartigen Humor, der für Lacher am laufenden Band sorgt. Ich habe ehrlich gesagt selten ein lustigeres Buch gelesen, noch dazu geht Netenjakob mit seinen Figuren sehr herzlich um und hält mit seinen Gags stets ein angenehmes Niveau, frei von plattem Fäkal-Humor und müden Rohrkrepierern. Der Autor greift dabei zwar auf fast alle erdenklichen deutsch-türkischen Klischees zurück, doch gerade daraus zieht „Der Boss“ wahrscheinlich auch seinen Reiz. Außerdem beruhen Netenjakobs Schilderungen vermutlich auch ein wenig auf eigenen Erfahrungen, denn wie die deutsche Hauptfigur ist auch der Kölner Autor mit einer türkisch-stämmigen Frau verheiratet. Allerdings bietet die Geschichte kaum Überraschungen und ist mir fast schon ein wenig zu abgedreht und überzeichnet, sodass ich es auf die Dauer als etwas anstrengend empfunden habe. Doch trotz allem ist „Der Boss“ eine Garantie für sehr unterhaltsame Stunden und schreit am Ende fast schon nach einer weiteren Fortsetzung. Wer mal ein wirklich witziges Buch lesen möchte, sollte also unbedingt zugreifen.

Meine Wertung: 8/10

Informationen:
„Der Boss“ von Moritz Netenjakob ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen und hat einen Umfang von 320 Seiten. Das Buch ist für 14,99 € als broschiertes Buch erhältlich. Weitere Infos gibt es auf der Verlags-Homepage. An dieser Stelle auch noch ein Dankeschön an den Verlag Kiepenheuer & Witsch sowie vorablesen.de, die mir das Buch vorab zum Rezensieren zur Verfügung gestellt haben.

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