Autor: Ben Berkeley
Umfang: 448 Seiten
Verlag: Piper Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 02. Dezember 2011

Klappentext:
»Schau unter den Fahrersitz, Jessica.« Mit Autobomben zwingt ein Psychopath junge Frauen in abgelegene Waldgebiete und ermordet sie mit einem mittelalterlichen Folterwerkzeug, der Judaswiege. Doch schon bald ist ihm das nicht mehr genug: Er stellt Videos von seinen grausamen Taten ins Netz, getarnt als harte Pornografie. Ein schwieriger Fall für Sam Burke, Psychologe und leitender Ermittler beim FBI. Hilfe von unerwarteter Seite erhält er durch seine Expartnerin Klara »Sissi« Swell, die sich bei ihren Untersuchungen jedoch am Rande der Legalität bewegt. Können sie den brutalen Killer stoppen?

Zum Roman:
Jessica von Bingen könnte kaum glücklicher sein: Vor wenigen Tagen erst hat sie ihren frischgebackenen Ehemann Adrian geheiratet und befindet sich nun auf Maui, wo die beiden ihre Flitterwochen verbringen. Als sich Jessica nach einem Strandtag mit ihrem Auto auf den Weg zurück in ihr Ferienhaus machen will, wird sie plötzlich von einem fremden Mann angerufen. Dieser bringt sie dazu, einen Blick unter den Fahrersitz zu werfen, wo Jessica dann eine blinkende Bombe auffindet. Der unbekannte Anrufer zwingt sie anschließend zu einer Fahrt in ein abgelegenes Waldstück, wo Jessica schließlich den Wagen verlassen darf. Allerdings nur, um darufhin von ihrem Peiniger durchs dunkle Dickicht gejagt zu werden…

Rund sieben Jahre später stößt ein junger Computerspezialist des FBI mithilfe einer neuen Technologie im Internet auf ein Video, welches eindeutig die immer noch vermisste Jessica von Bingen zeigt, wie sie gefangengehalten und brutal gequält wird. Diese Information erreicht über Umwege auch den erfahrenen und gerissenen Anwalt Thibault Stein, der Jessicas Ehemann Adrian seit vielen Jahren kennt. Zusammen mit seiner aufstrebenden Assistentin Pia Lindt und Adrian von Bingen stellt der Anwalt nun eigene Nachforschungen an, um das Schicksal der vermissten Frau aufzuklären. Unterdessen findet das FBI weitere Folter-Videos im Internet…

„Judaswiege“ ist der erste Roman des amerikanischen Autors Ben Berkeley, der auch als Berater des FBI fungiert(e) und laut Verlagsangaben einer der führenden Experten für Medien- und Täterpsychologie ist. Als Sohn deutscher Einwanderer wurde Berkeley zweisprachig aufgezogen und wenn ich das Nachwort richtig interpretiere wurde „Judaswiege“ auch zuerst in Deutschland verlegt. Ebenso überrascht hat mich auch, dass der offizielle Internetauftritt des Autors sowie seine Facebook-Seite (auf welcher der Autor übrigens auch selbst und umfassend schreibt und auf Fragen antwortet) ebenfalls „in deutscher Hand“ sind, ich war beim Kauf des Buches eigentlich von einem „amerikanischen“ Thriller ausgegangen.

Inhaltlich ist er das aber auch absolut, denn die Handlung erstreckt sich quer über die Vereinigten Staaten und im Mittelpunkt stehen Agenten des FBI. Leider ist mir der Einstieg in dieses Buch recht schwer gefallen, was meiner Meinung nach vor allem auf die anfangs anstrengende Erzählweise zurückzuführen ist. Berkeley springt in seiner Einführung munter durch Raum und Zeit, ständig wechseln Schauplätze und Protagonisten, zudem baut der Autor immer wieder Rückblenden auf weitere Opfer des offensichtlichen Serientäters ein. Das macht die Orientierung nicht gerade leicht, zumal mir nicht so wirklich klar wurde, welche Figuren eigentlich im Mittelpunkt der Handlung stehen sollen.

Charaktere gibt es nämlich in Hülle und Fülle. Da wäre zum einen der Ehemann der vermissten Jessica, der immer noch nicht über das Verschwinden seiner Frau hinweggekommen ist. Dieser tut sich mit dem Anwalt Stein und dessen Assistenten Pia zusammen. Stein wiederum holt sich dann noch die ehemalige FBI-Agentin Klara „Sissy“ Swell ins Boot, die nach einer missglückten und illegalen Informationsbeschaffung (= Einbruch) suspendiert und verurteilt wurde und sich nur mit einer Fußfessel bewegen darf. Dann gesellt sich auch noch der FBI-Agent Sam Burke dazu, der die offiziellen Ermittlungen leitet und früher beruflicher und privater Partner von Klara war. Dazu kommt dann noch die ein oder andere größere Nebenrolle, wie z.B. der Computertechniker Wesley Brown oder das SM-Pärchen Vittorio und Virginia.

Zu der modernen Aufmachung der Story gehört auch der Einsatz neuer Technologien, wie ein Algorithmus, der Fotos vermisster Personen anhand einer umfangreichen Bildersuche mit allen erdenklichen Internetfotos abgleichen kann, oder der Einsatz einer Geierstaffel, die auf dem Luftweg nach Leichen Ausschau hält. Außerdem spielt das Internet selbst eine wichtige Rolle, denn Berkeley bringt bei der Charakterisierung des Täters den Begriff der „Triple-Identität“ ins Spiel, bei dem Einflüsse neuer Medien einen großen Faktor darstellen. Diese Aspekte sorgen für frischen Wind und heben sich dadurch angenehm von der Masse an anderen Thrillern ab. Allerdings kommt die Geschichte erst ab der Mitte des Buches richtig in Fahrt, wenn man nämlich endlich einen Überblick über die Figurenkonstellationen und sonstige Zusammenhänge gewonnen hat. Dann entwickelt sich eine temporeiche Story mit der ein oder anderen Überraschung, die dann auch zu einem soliden Ende geführt wird.

Nun komme ich aber zu dem Punkt, der mich bei der Lektüre von „Judaswiege“ am meisten gestört hat: Irgendwie ist mir alles ein wenig zu sehr aufgebauscht. Das beginnt schon mit der Figur der Klara Swell. Diese wird nämlich schnell zu einer Art Super-Agentin hochstilisiert, die nachts im Catwoman-Kostüm illegale Einbrüche verübt um mit den gewonnenen Informationen die offiziellen Ermittlungen anzutreiben. Natürlich geht das bei rund 80 Einbrüchen nicht immer gut und so ist es auch kein Wunder, dass sie zu Beginn der Handlung als arme Kellnerin in einem heruntergekommenen Imbiss landet, noch dazu steht sie immer noch unter Bewährung. Als sie dann aber doch wieder reaktiviert wird, ist ihr dann selbstverständlich kein Hindernis zu hoch und „Superwoman“ ist zurück auf ihrem Kriegszug gegen die Verbrecher dieser Welt.

Auch die Ermittlungen erscheinen mir in ihrem Umfang nicht realistisch und wenn es nach dem Roman geht schwimmt das FBI offenbar im Geld. Kaum werden zwei tote Frauen aufgefunden wird eine eigene Einheit zusammengestellt, die sich nach Lust und Laune aus dem umfangreichen Gadget-Katalog ihr Equipment zusammenstellen darf. Einsatzzentrale in einem gesicherten Testgelände – kein Problem; riesige und hochmoderne Flachbildschirme, welche die Wände des improvisierten Gebäudes bilden – wenn’s mehr nicht ist… irgendwie ist alles ein bis zwei Nummern zu groß geraten. So hätte es auch gereicht, EINE Liebesgeschichte in die Story einzubauen und nicht gleich noch eine zweite, wenngleich diese dann immerhin etwas verhaltener daherkommt. Ebenso verwunderlich ist, dass die im Klappentext groß beworbene Hauptfigur des Sam Burke in der ersten Hälfte nahezu überhaupt keine Rolle spielt und in meiner subjektiven Wahrnehmung erst hinter Klara Swell, Thibault Stein, Adrian von Bingen und Pia Lindt eingeordnet wurde – von einer tragenden Rolle hätte ich da ein bisschen mehr erwartet. Viel größeres Potenzial hat hier die Figur des gerissenen Anwalts, der mit allen Wassern gewaschen ist und mit sichtlicher Freude seine „Gegner“ aufs Kreuz legt.

Mein Fazit:
„Judaswiege“ von Ben Berkeley ist mitnichten ein schlechtes Buch, allerdings hätte man mit ein bisschen mehr Bescheidenheit sicher noch viel mehr aus der Story herausholen können. An manchen Stellen verliert diese nämlich ein bisschen an Bodenhaftung und wirkt recht übertrieben, was eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Das gleiche gilt für die oft etwas überzeichneten Protagonisten, allen voran die (Ex-)FBI-Agentin Klara Swell mit ihrem „Superheldenkostüm“. Punkten kann das Buch durch einige frische Ideen und seine Aktualität, gerade was den Bezug auf neue Medien angeht. Positiv ist meiner Meinung nach auch hervorzuheben, dass Berkeley den Gewaltanteil trotz der Erwähnung drastischer Foltervideos relativ niedrig hält, was gerade beim Blick auf das blutrünstige Buchcover (mit seinen blutüberströmten Holzpfählen) für mich doch etwas überraschend kam. Der Autor belässt es meist bei vielsagenden Andeutungen, ohne bei brutalen Szenen allzu sehr ins Detail zu gehen. Insgesamt ist „Judaswiege“ somit ein solider Thriller, dessen erste Hälfte jedoch viel zu zäh und zu chaotisch geworden ist. Erst im zweiten Teil konnte die Geschichte ihr Potenzial entfalten und hat es dann auch geschafft, mich ans Buch zu fesseln. Leider sorgt der total misslungene Schlussabsatz für einen negativen letzten Eindruck, diesen „Gag“ hätte man sich echt schenken können. Für die vom Autor bereits auf seiner Facebook-Präsenz angekündigte Fortsetzung bleibt also noch genügend Luft nach oben.

Meine Wertung: 7/10

Informationen:
„Judaswiege“ von Ben Berkeley ist im Piper Taschenbuch Verlag erschienen und hat einen Umfang von 448 Seiten. Das Buch ist für 9,99 € als Taschenbuch erhältlich.

Kommentar verfassen: