Autor: Nicholas Evans
Umfang: 367 Seiten
Verlag: Aufbau Verlag
Erscheinungsdatum: 16. November 2011

Klappentext:
Es gibt wenig Liebe im Leben des achtjährigen Tommy; seine Helden sind die Cowboys in den Westernserien, doch er selbst ist ein schüchterner Junge. Sein einziger Lichtblick ist seine Schwester Diane, die versucht, in Hollywood ihr Glück als Schauspielerin zu machen. Als Tommy in ein Internat kommt, in dem die Devise herrscht „Immer tapfer sein“, wird er von allen anderen gehänselt und gequält.
Diane rettet ihn und nimmt ihn mit nach Hollywood – doch dann kommt es zu einer Katastrophe, die Tommys Leben für immer verändert.
Vierzig Jahre später ist Tom ein anerkannter Journalist und Dokumentarfilmer. Das Geheimnis seiner Vergangenheit trägt er immer noch mit sich herum. Bis plötzlich sein Sohn, den er kaum kennt, in Schwierigkeiten gerät. Man wirft Danny vor, im Irak an einem Massaker an Zivilisten beteiligt zu sein. Tom begreift, dass er eine Familie hat – und dass er eine alte Schuld begleichen muss.
Ein Roman über Liebe, Schuld und die Erkenntnis, dass man die Vergangenheit manchmal doch ändern kann.

Zum Roman:
England im Jahr 1959: Der kleine Tommy wächst in nicht gerade einfachen Verhältnissen auf. Viel Liebe kann er von seinen Eltern nicht erwarten und so flüchtet sich das verschlossene Kind in die fiktive Welt seiner Westernhelden. Begeistert fiebert er mit seinem Lieblingscowboy Red McGraw und stellt sich vor, wie es wäre, wenn er selbst auf dem Rücken eines Pferdes durch die Wildnis reiten könnte, immer auf der Suche nach neuen und gefährlichen Abenteuern. Doch als seine Eltern ihn mit acht Jahren auf ein Internat schicken, ist es auch mit dieser Traumwelt erst einmal vorbei. Stattdessen holt ihn der harte Alltag der britischen Schulerziehung ein: Prügelnde Lehrer, mobbende Mitschüler – alles unter dem Leitspruch „Semper fortis“ (immer stark), der den Kindern die nötige Härte fürs Leben vermitteln soll. Für Tommy ist das Internatsleben jedoch eine besonders große Qual, ist er doch immer noch ein Bettnässer, obwohl er und seine Eltern schon alle erdenklichen Methoden ausprobiert haben. Nachdem er die ersten Tage noch ohne nächtlichen Zwischenfall übersteht, kommt es dann aber umso schlimmer, als ausgerechnet der Klassentyrann von Tommys kleinem Geheimnis erfährt. Schnell ist seine Bettnässerei in aller Munde und das Internatsleben wird für Tommy zur Hölle. Erst als seine ältere Schwester Diane, eine junge und aufstrebende Schauspielerin, sich ihres Bruders annimmt, scheint das Glück in Tommys Leben einzuziehen…

England im Jahr 2009: Mittlerweile ist Tom ein gereifter Mann, hat eine gescheiterte Ehe und ein Alkoholproblem hinter sich und lebt von seinen Dokumentarfilmen, welche in Kritikerkreisen auch durchaus hohes Ansehen genießen. Von den Millionenerfolgen seines ehemaligen Studienkollegens, der heute einen Roman-Bestseller nach dem nächsten produziert, kann er zwar nur träumen, doch er kommt mit seinen Reportagen gut über die Runden. Als er nach einer Party des Schriftstellers zurück in sein Haus kommt, findet er dort auf seinem Anrufbeantworter mehrere beunruhigende Nachrichten seiner Ex-Frau vor. Er trifft sich kurz darauf mit Gina, welche ihm aufgelöst von den momentanen Schwierigkeiten seines Sohnes Danny, den er seit Jahren nicht gesehen hat, berichtet. Danny war als Soldat im Irak-Krieg, wo er bei einem missglückten Einsatz mehrere unschuldige Iraker erschossen haben soll. Nun droht ihm in den USA die Todesstrafe und Gina bittet ihren Ex-Mann verzweifelt um Hilfe…

„Die wir am meisten lieben“ ist das neueste Werk des englischen Bestseller-Autors Nicholas Evans, der seinen größten Erfolg mit dem Roman „Der Pferdeflüsterer“ feierte, welcher 1998 von Robert Redford ebenso erfolgreich verfilmt wurde. In den letzten Jahren ist es um Evans ruhiger geworden, nachdem er sich 2008 eine schwere Vergiftung zugezogen hatte, infolgedessen ihm sogar eine neue Niere transplantiert werden musste. Nun meldet sich der Autor jedoch mit einem bewegenden Drama zurück, in deren Mittelpunkt die Figur des Thomas Bedford steht. Dessen Lebensgeschichte erzählt Evans auf zwei verschiedenen Ebenen. Die eine begleitet den achtjährigen Tommy auf dem schweren Weg von seinem kaltherzigen Elternhaus ins strenge Internat und lässt den Leser teilhaben an den Schikanen und Anfeindungen, denen sich der Junge ausgesetzt sieht. Von seiner abenteuerlichen Western-Traumwelt landet er mitten in der harten Realität, in der es darum geht, keine Schwäche zu zeigen und von Prügelstrafen und Mobbing gestählt durchs Leben zu gehen. Erst mit dem Auftauchen seiner Schwester Diane kommt es zu einem Wendepunkt in Tommys Kindheit. Plötzlich findet er sich in der schillernden und glamourösen Welt Hollywoods wieder, umgeben von Schauspielern, Produzenten, Presseleuten und Luxus. Noch dazu trifft er auf den Held seiner Jugend, den Schauspieler Ray Montane, der nun mit Diane liiert ist. Doch auch in Amerikas Traumfabrik Nr. 1 ist nicht alles perfekt und Tommy wird konfrontiert mit Eifersucht, Neid und Missgunst…

In einem zweiten Handlungsstrang widmet sich Nicholas Evans dem erwachsenen Thomas Bedford, der die Hälfte seines Lebens hinter sich hat und auf eine bewegte Vergangenheit zurückschauen kann. Alkohol- und Eheprobleme sowie eine praktisch nicht vorhandene Beziehung zu seinem einzigen Sohn haben aus dem kleinen Tommy einen gereiften Mann gemacht – bis der Anruf seiner Ex-Frau ihn erneut mit seiner Vergangenheit und mit den Schwierigkeiten seines Sohnes konfrontiert. Evans konstruiert seinen Roman sehr geschickt und beginnt im Prolog direkt mit dem schockierenden Ende der Kindheitsgeschichte: Tommy besucht seine Mutter im Gefängnis und muss sich von ihr verabschieden, kurz bevor diese in die Gaskammer zu ihrer Hinrichtung geführt wird. Sie wurde für einen Mord zum Tode verurteilt, doch es ist noch nicht abzusehen wen sie getötet hat und wie es dazu kommen konnte. Anschließend springt der Autor direkt zum Anfang seiner beiden Geschichten und rollt das Geschehene praktisch von hinten auf. Hierbei wechselt Evans regelmäßig zwischen den beiden Erzählebenenen, sodass sich diese parallel entwickeln können. Trotz der verwobenen Erzählweise kommt es jedoch nicht zu Verwirrungen, da beide Ebenen schon durch einen simplen Trick voneinander getrennt werden. Geht es um Thomas‘ Kindheit, ist stets von „Tommy“ die Rede, betrifft es das Erwachsenenleben so wechselt Evans zum weniger kindlichen „Tom“. So erkennt man direkt zu Kapitelbeginn wo man sich gerade befindet und behält so stets den Überblick.

Toms/Tommys Familiengeschichte ist spannend geschrieben und abwechslungsreich, zumal man immer die drohende Hinrichtung der Mutter im Hinterkopf hat und der Enthüllung der Ursache entgegenfiebert. Doch auch der Weg dahin ist voll von Höhen und Tiefen, die Evans auf bewegende Art und Weise schildert, ohne dabei allerdings zu sehr auf die Tränendrüse zu drücken. Als ich gelesen habe, dass der gleiche Autor auch „Der Pferdeflüsterer“ geschrieben hat, befürchtete ich schon eine schnulzige oder kitschige Tragödie, doch in dieser Hinsicht hat mich „Die wir am meisten lieben“ positiv überrascht: Kein übertriebene Theatralik, fast schon sachlich werden die Schicksalsschläge in Thomas Bedfords Leben geschildert. Allerdings liegt hier vielleicht auch die Schwäche des Romans, denn trotz der vielen aufgegriffenen Themen bleibt Evans immer nur an der Oberfläche und wird leider nur selten etwas tiefgreifender. Ein bisschen Familiendrama, eine Portion Hollywood, ein wenig Naturverbundenheit, dann wieder ein Hauch Kriegsdrama mit angedeutetem Gerichtsthriller – so abwechslungsreich das auch ist, so sehr hätte ich mir an der ein oder anderen Stelle etwas mehr Tiefgang gewünscht. Gerade die Irak-Thematik wird zum Ende hin sehr plötzlich aufgelöst und der Schluss wirkt fast ein wenig lieblos.

Mein Fazit:
„Die wir am meisten lieben“ ist ein gutes Buch mit einer bewegenden Familiengeschichte, doch es ist zu bezweifeln dass dieser Roman zu einem Weltbestseller wie „Der Pferdeflüsterer“ wird. Zwar ist Evans eine unterhaltsame, spannende, emotionale und interessante Mischung verschiedener Epochen und Themen gelungen, doch vielleicht ist es gerade diese Vielfalt, welche die Geschichte etwas oberflächlich werden lässt. Gerade in Bezug auf zentrale Fragen wie Schuld und Verantwortung hätte man deutlich mehr ins Detail gehen können, vor allem was das etwas unbefriedigende Romanende betrifft. Trotzdem habe ich mich von dem Buch gut unterhalten gefühlt, was nicht zuletzt am angenehmen und leicht zu lesenden Schreibstil Evans‘ liegt. Wem also nach einem spannenden und unsentimentalen Familiendrama zumute ist, darf gerne einen Blick riskieren, ein mitreißendes Meisterwerk sollte man aber nicht erwarten.

Meine Wertung: 8/10

Informationen:
Der Titel „Die wir am meisten lieben“ von Nicholas Evans ist im Aufbau Verlag erschienen und hat einen Umfang von 367 Seiten. Das Buch kann für 19,99 € hier bestellt werden. An dieser Stelle auch vielen Dank an den Aufbau Verlag und Bloggdeinbuch.de, die mir das Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben!

 

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