Autor: Rebecca Makkai
Umfang: 368 Seiten
Verlag: Ullstein
Erscheinungsdatum: 10. Oktober 2011

Klappentext:
Der 10-jährige Ian ist süchtig nach immer neuen Geschichten. Lucy Hull ist Bibliothekarin in der Stadtbücherei von Hannibal – und seine Komplizin. Sie hilft ihm, die geliehenen Bücher an seiner herrischen Mutter vorbeizuschmuggeln. Als Lucy eines Morgens zur Arbeit kommt, traut sie ihren Augen kaum: Ian kampiert, umgeben von Decken, T-Shirts und Büchern, zwischen den Regalen. Pflichtbewusst will Lucy den Ausreißer nach Hause bringen, doch Ian hat einen anderen Plan: Geschickt lotst er sie mitten hinein in eine abenteuerliche Reise quer durch die USA. Doch wer hat hier wen entführt? Und läuft wirklich nur Ian vor seinen Eltern davon?

Zum Roman:
Die 26-jährige Lucy Hull ist Leiterin der Kinderbibliothek in der amerikanischen Kleinstadt Hannibal in Missouri.
Zwar ist das nicht wirklich der Traumjob, den sich die junge Frau (sowie ihre Eltern) nach dem Collegeabschluss vorgestellt hatten, aber Lucy ist trotzdem nicht unzufrieden. Sie liebt Bücher und die Arbeit mit den Kindern der wöchentlichen Leserunde und die Tätigkeit ist relativ einfach – kein Grund zur Klage. Allerdings nimmt sie etwas besorgt zur Kenntnis, dass sie sich immer mehr dem typischen Bibliothekarinnen-Klischee annähert. Ihr Kleidungsstil wird immer schlichter und langweiliger und im Liebesleben passiert auch so gut wie nichts – wenn man mal von der eher belanglosen Bekanntschaft mit Glenn absieht, einem durchschnittlichen Musiker, der unbewusst seine Melodien bei Werbejingles klaut. Auch Lucys soziale Kontakte sind recht überschaubar: Lorraine, die Bibliothekschefin, Rocky, ihr an den Rollstuhl gefesselter Kollege, der wohl heimlich in sie verliebt ist sowie ihre leicht durchgeknallten Nachbarn, eine Truppe Schauspieler aus dem unter ihrer Wohnung angesiedelten Theater.

Es gibt in Lucys Leben aber doch noch jemanden, der ihr Herz erwärmt: den 10-jährigen Ian Drake, einen absoluten Büchernarren und blitzgescheiten und aufgeweckten Jungen. Seinen Altersgenossen ist er geistig weit voraus, bleibt aber eher verschlossen und wird von seinem Umwelt als sonderbar empfunden – besser gesagt als „schwul“. Ian hat bereits die halbe Bibliothek gelesen und bettelt Lucy regelmäßig um neue Empfehlungen an, die ihm nur allzu gerne behilflich ist. Allerdings sieht Ians strenge und konservative Mutter das nicht so gerne, schließlich soll ihr Sohn mit heiklen Themen wie Zauberei, Evolutionstheorie, okkulten Religionen und ähnlichem besser nicht konfrontiert werden – also sind auch Bücher wie „Harry Potter“ gestrichen. Ian lässt sich davon jedoch nicht abhalten und lässt sich von Lucy heimlich Bücher unterschmuggeln.

Die Bibliothekarin bemerkt jedoch immer intensiver eine Veränderung des Jungen. Seine Eltern zwingen ihn zur Teilnahme an einer Jugendgruppe unter der Leitung von Pastor Bob, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kinder mit homosexuellen Tendenzen rechtzeitig umzupolen. Ian stumpft mit der Zeit immer mehr ab, bis Lucy ihn schließlich eines Morgens zwischen den Bücherregalen auffindet. Der Junge hat in der Bibliothek übernachtet und will offenbar von zuhause ausreißen. Lucy plant natürlich pflichtbewusst, ihn wieder bei seinen Eltern abzusetzen, lässt sich von dem cleveren Kind aber um den Finger wickeln und befindet sich unvermittelt und unfreiwillig auf einer abenteuerlichen Reise durch die Vereinigten Staaten…

Die ersten Kapitel von Rebecca Makkais „Ausgeliehen“ machen wirklich Freude. Das Bibliothek-Setting begeistert den Bücherfreund und man kann den Geruch von altem Papier förmlich riechen. Zudem schließt man die beiden Hauptfiguren des Romans, die Bibliothekarin Lucy Hall sowie den kleinen Ian Drake schnell ins Herz, vor allem der Junge überzeugt durch seinen neugierigen und aufgeweckten Charakter. Diese ersten Seiten haben mir bereits bei der Lektüre der Leseprobe auf vorablesen.de sehr gut gefallen und ich hatte dann auch das Glück, ein Exemplar zum Rezensieren zu gewinnen. Leider kann die Autorin das Niveau des Beginns aber nicht über die volle Distanz halten, so viel sei bereits vorab verraten.

Am Anfang wird immer wieder auf ein einschneidendes Ereignis in Lucys Leben hingedeutet, welches sich dann schnell als die „Entführung“ von Ian herausstellt, wobei es strenggenommen eher der Junge ist, der hier eine Geisel nimmt. Ian stellt sich nämlich äußerst geschickt an und ehe sich Lucy versieht steckt sie bereits so tief im Schlamassel, dass es eigentlich kein Zurück mehr gibt. Fortan flüchten beide quer durch die USA, Ian vor seinen Eltern und Pastor Bob und Lucy vor der Polizei und ihrem langweiligen Leben. Das Ganze geschieht immer unter dem Vorwand, den Jungen bei seiner Großmutter an der Grenze zu Kanada abzuliefern, obwohl Lucy nicht ernsthaft an die Existenz der Oma glaubt. Unterwegs landen die beiden dann unter anderem bei Lucys Eltern, zwei Russen, die vor langer Zeit nach Amerika ausgewandert sind und die Bibliothekarin muss sich ihrer eigenen Identität stellen.

Logisch ist das nicht immer alles, was Rebecca Makkai dem Leser hier präsentiert, aber in der ersten Hälfte durchaus unterhaltsam. So wird Lucy nicht wirklich von der Polizei verfolgt, da in Hannibal alle davon ausgehen, Ian wäre von sich aus ausgerissen. Dass am gleichen Tag aber auch Lucy spurlos verschwindet, die wohl die engste Beziehung zum Jungen hatte, scheint weder den Eltern noch den Bibliotheksangestellten zu denken zu geben. So können die beiden mehr oder weniger unbehelligt durchs Land reisen, auch wenn Lucy natürlich auf der Hut ist. So verstrickt sie sich immer mehr in ihrem Lügengeflecht und gerät dadurch in die ein oder andere brenzlige Situation.

Leider geht der Geschichte in der zweiten Hälfte immer mehr die Luft aus. Die beiden Ausreißer fahren mehr oder weniger planlos durch die Gegend und man wartet nur auf den großen Knall, der sich die ganze Zeit andeutet und der Lucys Geschichte platzen lässt. Die Warterei ist jedoch vergeblich und irgendwie verläuft sich die Handlung am Ende im Sande. Zwar ist der Schluss schon recht versöhnlich gelungen, aber auch nicht besonders plausibel. Hier hätte eine Portion Dramatik sicherlich nicht geschadet.

Die Charaktere hingegen sind durchweg positiv hervorzuheben. Gerade Lucys Familienhintergrund ist sehr unterhaltsam, denn ihr Vater hat anscheinend Verbindungen zur Russenmafia und kann durch seine Beziehungen so einiges zum Vorteil seiner Tochter drehen. Lucy weiß jedoch selbst nicht so genau, was ihr Vater eigentlich macht und will es ehrlich gesagt auch gar nicht wissen. Diese Familiengeschichte sorgt jedoch im Laufe der Geschichte für den ein oder anderen Schmunzler. Ian ist meistens eher für die ernsteren Momente zuständig, da dieser mitten in seiner Selbstfindungsphase steckt. Hier werden immer wieder Themen wie Sexualität, Sekten oder die eigene Identität angeschnitten. Dies erfolgt jedoch insgesamt recht oberflächig, eine tiefgründigere Auseinandersetzung mit diesen Bereichen wäre durchaus wünschenswert gewesen.

Mein Fazit:
„Ausgeliehen“ ist über weite Strecken ein unterhaltsames Roadmovie in Buchform, bleibt aber unterm Strich nicht viel mehr als sorglose und „unschuldige“ Unterhaltung. Die Geschichte ist anfangs fesselnd, lässt jedoch immer mehr nach und führt zu mehreren recht langatmigen Passagen. Zudem ist das Ende etwas unbefriedigend, der Schluss ist mir persönlich einfach zu glatt. Positiv fallen jedoch die sympathischen Charaktere und Rebecca Makkais angenehmer Schreibstil ins Gewicht. Das Buch lässt sich flüssig lesen, zudem wird die Geschichte immer wieder von einer Art Auflistung an Lebensweisheiten unterbrochen, welche die Handlung etwas auflockern. Auch die vielen Anspielungen auf mehr oder weniger berühmte Werke der Literaturgeschichte wissen zu gefallen, z.B. der Schauplatz Hannibal (Heimatstadt des Schriftstellers Mark Twain) oder wenn die beiden Ausreißer als „Charlie Bucket“ und „Veruschka Salz“ (Figuren aus Roald Dahls „Charlie und die Schokoladenfabrik“) im Motel einchecken. Insgesamt ist „Ausgeliehen“ lockere Unterhaltung für zwischendurch, wird den überschwänglichen Anpreisungen auf der Buchrückseite (Oprah Winfrey: „Wie kann man als Leser – egal welchen Alters – dem Charme dieses Romans widerstehen?“) aber nicht ganz gerecht.

Meine Wertung: 7/10

Informationen:
„Ausgeliehen“ von Rebecca Makkai ist im Ullstein Verlag erschienen und hat einen Umfang von 368 Seiten. Das Buch ist für 19,99 € als gebundene Ausgabe erhältlich. Weitere Infos gibt es auf der Verlags-Homepage. An dieser Stelle auch noch ein Dankeschön an den Ullstein Verlag sowie vorablesen.de, die mir das Buch vorab zum Rezensieren zur Verfügung gestellt haben.

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