Papierjunge_Rezi

Die jüdische Salomon-Gemeinde in Stockholm wird von einem gewaltsamen Todesfall erschüttert: Eine Erzieherin der zugehörigen Schule wird am helllichten Tag und direkt vor dem Schulgebäude erschossen. Da das Opfer sich offenbar privat in zweifelhaften Kreisen bewegte und mit einem polizeibekannten Kriminellen liiert war, vermuten die Kommissare Alex Recht und Fredrika Bergman von der Landeskriminalpolizei zunächst einen Zusammenhang zu den illegalen Machenschaften des Freundes. Als nur wenig später jedoch zwei Jungen aus der gleichen Gemeinde spurlos verschwinden und vieles auf eine Entführung hindeutet, verdichten sich aber die Anzeichen dafür, dass jemand es offenbar gezielt auf die Salomon-Gemeinde abgesehen hat, weshalb auch ein fremdenfeindlicher Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann. Als sich die Kommissare dann aber weiter in die Ermittlungen vertiefen, stoßen sie immer wieder auf Verbindungen zu einem israelischen Mythos: diesem zufolge macht eine bösartige Sagengestalt, der sogenannte „Papierjunge“, Jagd auf kleine Kinder, um diese für ihre Verfehlungen zu bestrafen – ist diese Legende plötzlich grausame Realität geworden?

Verbrechen im Umfeld einer jüdischen Gemeinde Stockholms

Kristina Ohlssons Krimireihe um das Ermittlerduo Fredrika Bergman und Alex Recht geht in die fünfte Runde und nachdem die Serie im Vorgänger „Himmelschlüssel“ eine kleine Wandlung vom Schwedenkrimi hin zum internationalen Politthriller vollzog, geht es im neuen Band „Papierjunge“ wieder einen kleinen Schritt zurück zu den Wurzeln: Dies beginnt bereits bei den Protagonisten selbst, denn nach ihrem Ausflug zum schwedischen Nachrichtendienst ist Fredrika nun wieder zurück bei der Landeskriminalpolizei und auch der bereits in den ersten drei Romanen mitwirkende Peder Rydh feiert nach einer unfreiwilligen Auszeit im letzten Band eine Rückkehr, wenn auch in neuer Funktion. Nach der spektakulären Flugzeugentführung in „Himmelschlüssel“ wirkt zudem der neue Fall wieder vergleichsweise gewöhnlich, denn Alex und Fredrika müssen den Mord an einer Erzieherin und die Entführung von zwei kleinen Jungen aufklären – die einzige Verbindung: Alle Opfer waren Angehörige der jüdischen Salomon-Gemeinde. Wer sich nun fragt, ob für das Verständnis des neuen Ohlsson-Thrillers eine Kenntnis der Vorgänger zwingend notwendig ist, dem kann Entwarnung gegeben werden: Die Autorin führt ihre Reihe zwar konsequent fort und entwickelt auch ihre Charaktere wieder ein gutes Stück weiter, die entscheidenden Informationen bezüglich der Figuren-Hintergründe und ihrer Beziehungskonstellationen werden aber verständlich zusammengefasst – und das ohne langjährige Fans der Reihe mit elendig langen Wiederholungen zu nerven.

Von der gruseligen Gute-Nacht-Geschichte zum packenden Thriller

Nicht nur deshalb fällt der Einstieg in die Geschichte leicht, denn Kristina Ohlsson beginnt auch mit einer relativ simplen Ausgangssituation, die sich aber schnell zu einer packenden Geschichte entwickelt. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die israelische Kultur und Politik, was sich bei dem jüdischen Hintergrund der Opfer früh andeutet. Von zentraler Wichtigkeit ist dabei der (wohl fiktive) israelische Mythos um den titelgebenden „Papierjungen“, der entfernt ein wenig an die deutsche Legende vom „Rattenfänger von Hameln“ erinnert und bei dem es eine bösartige Sagengestalt auf die Entführung und Folter von Kindern abgesehen hat. Was wie eine gruselige Kindergeschichte wirkt, wird von der Autorin jedoch auf raffinierte Art und Weise zu einem wirklich packenden Thriller gesponnen, der dann doch wieder ein wenig die Entwicklung des Vorgängers aufgreift und zumindest zum Teil erneut politische Ausmaße annimmt – dazu passt auch, dass die erstmals in „Himmelschlüssel“ zur Charakterriege hinzugestoßene Regierungsbeamtin Eden Lundell wieder mit von der Partie ist und nun womöglich dauerhaft zur Stammbesetzung der Reihe werden könnte.

Spannend und verworren – auch im privaten Umfeld der Charaktere

Wie man es von den Olsson-Romanen kennt, spielen natürlich auch wieder die persönlichen Hintergründe der Charaktere eine große Rolle. Das mag nicht unbedingt jedem gefallen und auch ich stehe allzu häufigen Abschweifungen ins Privatleben der Protagonisten oft eher kritisch gegenüber, diese Reihe zeigt jedoch wieder einmal in Parademanier, wie man eine vielschichtige Charakterzeichnung in einen Thriller integriert, ohne dass diese dem Spannungsaufbau hemmend entgegenwirkt – im Gegenteil: die persönlichen Verstrickungen tragen sogar maßgeblich zum Nervenkitzel der Handlung bei, da diese zum einen wieder reichlich Konfliktpotenzial mitbringen, aber auch tatsächlich die Geschichte vorantreiben. Das ist wirklich großes Kino und sorgt eben auch dafür, dass die Charaktere nachhaltig in Erinnerung bleiben und der Leser die stetige Entwicklung der Hauptfiguren über die Einzelbände hinweg mitgehen kann und diese nun einmal nicht direkt nach der Lektüre wieder aus den Köpfen verschwinden.

Ein weiteres Highlight einer grandiosen Krimi-Reihe

Auch an der Handlung selbst gibt es kaum etwas auszusetzen: Die Story ist clever konstruiert, bietet zahlreiche Wendungen und ist zwar durchaus komplex, aber stets nachvollziehbar, sodass das Miträtseln ungemein Spaß macht. Zudem setzt Ohlsson mit einigen sehr geschickt eingesetzten kurzen Vorschau-Szenen zusätzliche Reizpunkte, welche die Spannung noch einmal auf die Spitze treiben und den Leser häufig das Schlimmste befürchten lassen. Das Ganze gipfelt dann auch entsprechend in einem dramatischen Finale, das einen krönenden Abschluss der Geschichte liefert und die hochkomplexe Handlung absolut schlüssig auflöst. Ein weiteres Highlight ist überdies wieder einmal Hörbuch-Sprecher Uve Teschner, der mit seiner grandiosen Lesung wieder einmal unter Beweis stellt, warum er meiner Meinung nach zu den Top 3 der deutschen Sprecher gehört. Insgesamt konnte „Papierjunge“ meine hohen Erwartungen folglich voll erfüllen und bin zugleich erstaunt und froh, dass Kristina Ohlsson auch beim fünften Band der Bergman/Recht-Reihe ihr sehr hohes Niveau hält und bislang völlig ohne Durchhänger auskommt. Also egal ob man nun treuer Olsson-Leser oder blutiger Neueinsteiger in die Reihe ist – „Papierjunge“ ist Thriller-Unterhaltung allererster Güte und definitiv ein Buch, das man nicht verpassen sollte!

Papierjunge (Fredrika Bergman & Alex Recht #5)
  • Autor:
  • Sprecher: Uve Teschner
  • Original Titel: Davidsstjärnor
  • Reihe: Fredrika Bergman & Alex Recht #5
  • Länge: 13 Std. 24 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Random House Audio, Deutschland
  • Erscheinungsdatum: 26. Februar 2016
  • Preis 25,95 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
9/10
Fazit:
Mit „Papierjunge“ liefert Kristina Ohlsson ein weiteres Thriller-Highlight ab und stellt mit einer raffiniert konstruierten Story und einer konsequent vorangetriebenen Charakterentwicklung einmal mehr unter Beweis, warum ihre Fredrika-Bergman/Alex-Recht-Reihe mit zum Besten zählt, was die schwedische Kriminalliteratur derzeit zu bieten hat.

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2 Antworten zu diesem Beitrag

  • Ich kann dir nur recht geben! ich habe das Buch gestern beendet und finde, dass die Autorin immer besser wird! Schon von „Himmelschlüssel“ war ich begeistert….ich mag auch die anderen Vorgänger sehr, aber diese beiden letzten Thriller sind eindeutig meine Lieblinge! Bei anderen Autoren geht es ja des öfteren in die andere Richtung…deswegen freue ich mich umso mehr, dass es bei Kristina Ohlsson anders zu sein scheint!
    Liebe Grüße
    Martina

    • Ich bin auch total froh dass die Reihe mit der Zeit (noch) nicht nachlässt und ich finde es auch bemerkenswert dass sich die Fälle auch nicht wiederholen und Ohlsson sich immer wieder etwas neues einfallen lässt und auch mal ein bisschen in Richtung Politthriller geht um Abwechslung reinzubringen.

      Ich hoffe wir müssen nicht zu lange auf Band 6 warten, denn ich habe leider noch keine Infos über den nächsten Band gefunden, auch nicht auf Schwedisch…