Dead_House_Rezi

25 Jahre ist es her, dass ein verheerendes Feuer im Schulgebäude der Elmbridge High School ausbrach und den Mädchen-Trakt sowie Bereiche des Hauptgebäudes nahezu vollständig zerstörte. Auch mehr als zwei Jahrzehnte nach der Katastrophe, bei der drei Schüler getötet und weitere 20 zum Teil schwer verletzt wurden, ist die genaue Ursache für den Brand nach wie vor unklar, allerdings kamen damals schon kurz nach dem Unglück Gerüchte auf, dass Kaitlyn Johnson, eine der Schülerinnen der Elmbridge High, in die Geschehnisse verwickelt gewesen sei. Von Kaitlyn fehlt seit dem Feuer nämlich jede Spur, jedoch konnten Feuerwehr und Polizei keine eindeutigen Beweise für eine mögliche Brandstiftung durch die Schülerin finden. Nach vielen Jahren der Ungewissheit ist nun jedoch in den Trümmern des Gebäudes das Tagebuch der Vermissten aufgetaucht, welches endlich neue Erkenntnisse liefert – und dieses Dokument bringt die ganze schreckliche und verstörende Wahrheit über den Fall Kaitlyn Johnson ans Licht…

Eine eingebildete Persönlichkeit als Romanfigur

Es gibt nicht allzu viele Jugendbücher, die sich mit „Dissociative identity disorder“ (auf Deutsch „Dissoziative Identitätsstörung“) auseinandersetzen und so überrascht es ein wenig, dass sich mit Dawn Kurtagichs „The Dead House“ ausgerechnet ein Horrorroman an dieses schwierige Thema, das auch unter dem Begriff „multiple Persönlichkeitsstörung“ bekannt ist, heranwagt. Noch ungewöhnlicher dürfte jedoch sein, dass die Protagonistin dieses Buches nicht die unter dieser Störung leidende Person, sondern deren „Alter Ego“ ist – „Kaitlyn“ existiert nämlich nur im Kopf von Carly Johnson und ist einfach ausgedrückt deren dunkle Seite, die immer nur nach Anbruch der Dunkelheit an die Oberfläche kommt und dann bis zum Morgengrauen die Kontrolle über Carlys Körper übernimmt. Für Carly ist diese Situation zwar inzwischen Alltag, da sie beide Persönlichkeiten seit ihrer Kindheit in ihrem Körper vereint, dennoch ist das Leben für sie nach wie vor ein täglicher Kampf und ein ständiges Versteckspiel, denn nur ihre Familie, ihre beste Freundin Naida und ihre Therapeutin wissen von ihrer psychischen Störung. Und Dawn Kurtagich schafft es eindrucksvoll, diese Schwierigkeiten auch ihren Lesen zu vermitteln, was schon bei der Koordination vermeintlicher Selbstverständlichkeiten anfängt: So müssen Carly und Kaitlyn zum Beispiel permanent mit versteckten Zettelbotschaften kommunizieren, um über die Erlebnisse des jeweils anderen während der eigenen stundenlangen Blackouts informiert zu sein und darauf reagieren zu können, damit kein Außenstehender von Carlys/Kaitlyns Geheimnis erfährt.

Ein Puzzle aus Tagebucheinträgen, Notizen, Protokollen und Videoschnipseln

Hier kommt eine zweite Besonderheit des Buches ins Spiel, denn „The Dead House“ ist nicht in Romanform geschrieben, sondern besteht ausschließlich aus Tagebucheinträgen, Notizen, Mitschnitten von Therapiesitzungen oder Polizeiverhören sowie Beschreibungen von Videoclips, was der Geschichte einen zusätzlichen Reiz verleiht. Zum einen gewinnt man dadurch ein besseres Verständnis für die sehr komplizierte Beziehung zwischen Kaitlyn, aus deren Sicht die Tagebucheinträge verfasst sind, sowie ihrem „Wirt“ Carly, dem man meist nur indirekt begegnet, zum anderen erhält durch die vielen – zumeist auch in der Zeit springenden – Puzzlestücke der Mythos um den ominösen „Johnson incident“ (nämlich der nach wie vor ungeklärten Feuerkatastrophe an der Elmbridge High School) zusätzlich Nahrung, sodass Dawn Kurtagich hier auf sehr clevere und durch den ständigen Stilwechsel zugleich ungemein abwechslungsreiche Weise Spannung aufbaut.

Ein origineller und interessanter YA-Roman mit jedoch leider recht geringem Gruselfaktor

Kommen wir aber nun zum Knackpunkt von „The Dead House“: Das Buch wird als Horrorroman vermarktet und auch wenn man aufgrund der Young-Adult-Zielgruppe natürlich gewisse Einschränkungen machen muss und keinen knallharten Horror-Schocker erwarten darf, so fällt der Gruselfaktor der Geschichte dennoch recht enttäuschend aus – oder kurz gesagt: „The Dead House“ ist NICHT gruselig. Das liegt zum Großteil daran, dass die von Dawn Kurtagich eingestreuten übernatürlichen Elemente leider recht unausgereift und oberflächlich wirken und meiner Meinung nach sogar weitestgehend überflüssig sind. Das ist schade, denn die brisante Situation Kaitlyns/Carlys bringt für sich alleine genommen bereits durchaus Grusel-Potenzial mit, denn schon die Vorstellung, dass man über seinen eigenen Körper nicht frei verfügen kann und ständig im Ungewissen über das Geschehen während der eigenen stundenlangen Blackouts ist, finde ich ziemlich beängstigend. Hier hätte die Autorin vielleicht sogar komplett auf die klassischen Horror-Elemente wie unerklärliche Erscheinungen oder das titelgebende unheimliche alte Haus verzichten und die Geschichte stattdessen vielmehr als reinen Psychothriller rund um den Schwerpunkt „Dissoziative Identitätsstörung“ aufziehen können – dadurch wäre die Handlung in meinen Augen viel realitätsnäher und dadurch auch deutlich verstörender geworden. So ist „The Dead House“ insgesamt zwar ein interessanter, aufgrund der Thematik sowie des Erzählstils zudem origineller und stellenweise sogar durchaus packender Roman geworden – als Horrorroman verfehlt Dawn Kurtagichs Werk jedoch sein Ziel. Wer es vorrangig auf einen möglichst hohen Gruselfaktor abgesehen hat, ist hier jedenfalls fehl am Platz.

The Dead House
  • Autor:
  • Umfang: 440 Seiten
  • Verlag: Orion Children's Books
  • Erscheinungsdatum: 6. August 2015
  • Preis Taschenbuch 12,70 €/eBook 8,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
7/10
Fazit:
Dawn Kurtagich setzt sich in ihrem YA-Horror-Roman „The Dead House“ auf spannende und originelle Art mit dem Thema „Dissoziative Identitätsstörung“ auseinander und punktet mit einer interessanten Protagonisten und der ungewöhnlichen Erzählweise, der Gruselfaktor des Buches hält sich jedoch leider stark in Grenzen.

Kommentar verfassen:

Eine Anwort zu diesem Beitrag

  • Ich muss ehrlich sagen, dass ich The Dead House sogar sehr gruselig fand. Ich bin aber auch der Typ, den es am meisten gruselt, je subtiler die Elemente sind. Ich hab auch heute noch eine Heidenangst bei Blair Witch Project und Jeeper Creepers hat mich auf Dauer dazu beeinflusst, nachts in den Himmel zu starrren 😀 Wohl gemerkt nur der erste Teil, Teil 2 fand ich so blöde und ungruselig, weil man das Vieh einfach immer gesehen hat.