Tags: Bestatterin, Blum, btb Verlag, Innsbruck, Österreich, Rache, Selbstjustiz
Genre: Thriller
Mit Anfang 30 hat Brünhilde Blum all das, was sie nach einer traumatischen Kindheit kaum noch für möglich gehalten hätte: Sie ist glücklich mit einem Polizisten verheiratet, hat zwei großartige kleine Kinder, schafft es, trotz ihrer eigenen schlechten Erfahrungen eine liebevolle Mutter zu sein und leitet ihre eigene Firma, die von Haus aus relativ krisenfest ist und der die Aufträge nie ausgehen: ein kleines Bestattungsunternehmen in Innsbruck. Dann jedoch wird ihr Leben von einem Moment auf den anderen völlig aus der Bahn geworfen: Gerade hat ihr Mann Mark noch wie jeden Tag mit seinem Motorrad die Einfahrt verlassen, Sekunden später wird seine Maschine von einem Auto erfasst und Mark auf die Straße geschleudert – der Unfallfahrer begeht Fahrerflucht und für ihren Mann kommt jede Hilfe zu spät. Blum fällt in ein Loch, doch wenig später stößt sie in den Hinterlassenschaften ihres Mannes auf einen Fall, der Mark sehr beschäftigt zu haben scheint. Und je mehr Blum liest, desto klarer wird ihr: Marks Tod war kein Unfall…
Brünhilde Blum: Bestatterin, Ehefrau, liebevolle Mutter – und Psychopathin
Wenn man die ersten Seiten von Bernhard Aichners Thriller „Totenfrau“ liest, fallen vor allem zwei Dinge auf: zum einen der sehr ungewöhnliche Schreibstil und zum anderen die Tatsache, dass man es mit Aichners Protagonistin offenbar mit einer waschechten Psychopathin zu tun bekommt. Der Roman beginnt nämlich damit, dass Brünhilde Blum – die sich wegen ihres verhassten Vornamens von allen nur „Blum“ nennen lässt – seelenruhig auf einem Boot vor der italienischen Küste in der Sonne liegt, während ihre Adoptiveltern panisch nur wenige Meter entfernt um ihr Leben paddeln und verzweifelt versuchen, an der glatten Schiffswand zurück an Deck zu gelangen, bis sie schließlich völlig entkräftet den Kampf gegen das Ertrinken verlieren. Für Blum ist diese eiskalte Tat die Rache dafür, dass sie schon als kleines Mädchen mit hartem Drill und ohne Liebe zur Nachfolgerin des Vaters als Leiterin des familieneigenen Bestattungsinstituts herangezüchtet wurde und bereits in jungen Jahren an verstörenden Leichenöffnungen und Einbalsamierungen mitwirken musste – eine Kindheit, die ein normales Heranwachsen völlig unmöglich machte. Da wirkt es fast wie blanke Ironie, dass Blum ausgerechnet am Tag des Mordes an ihren Eltern auf die Liebe ihres Lebens trifft und sich während der folgenden Jahre genau das aufbaut, was ihr selbst als Kind immer verwehrt geblieben ist: eine glückliche und liebevolle Familie. Bis ihr dann eines Tages der Mann genommen wird, aus der fürsorglichen Mutter plötzlich wieder die Psychopathin hervorbricht und Blum zum skrupellosen Racheengel wird.
Blutig, gewalttätig, ekelhaft – und mit einem gewöhnungsbedürftigen Schreibstil
Was nun folgt, ist eine blutige und kompromisslose Vendetta, die von Bernhard Aichner auch in aller Grausamkeit geschildert wird. Zerstückelte Leichen und abgetrennte Körperteile zählen da fast schon zu den harmloseren Dingen, mit denen man beim Lesen konfrontiert wird, denn auch der vermeintliche Alltag einer Bestatterin bietet für zartbesaitete Gemüter und schwache Mägen einige verstörende Stolpersteine: Wenn z.B. während der Aufbereitung der Leiche einer extrem fettleibigen Frau die Exkremente in wahren Strömen aus dem Körper schießen, während gerade fieberhaft versucht wird, die entsprechende Öffnung zuzunähen, dann ist das selbst für hartgesottene Thrillerleser schon hochgradig ekelhaft. Mindestens ebenso gewöhnungsbedürftig wie derartige Schilderungen ist wohl auch Aichners sehr spezieller Schreibstil, der vor allem durch sehr kurze und einfache Sätze auffällt. Eine solch abgehackte Erzählweise wird sicherlich die Leser in zwei Lager spalten, der ungewöhnliche Stil verfehlt aber nicht seine Wirkung: Durch die knappen Sätze erzeugt Aichner ein enormes Tempo und diese Hektik springt auch schnell auf den Leser über, sodass man mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit durch den Roman jagt. Für Satzbau-Ästheten mag dieser nüchterne und schnörkellose Stil – den Aichner übrigens auch bei den Stakkato-Dialogen knallhart durchzieht – zwar eine echte Folter sein, er passt in diesem Fall aber nicht nur perfekt zur kompromisslosen Story und der oft kalt und emotionslos wirkenden Hauptfigur, sondern sorgt auch dafür, dass sich „Totenfrau“ aus der Masse der Thriller abhebt – ob man sowas nun mag oder nicht, ist eben Geschmackssache.
Ein kompromiss- und schonungsloser Rachethriller
Aichners Rachethriller ist aber auch nicht ohne offenkundige Schwächen, die man bei dem rasanten Tempo leicht übersieht. Irgendwie ist für Blum alles ein bisschen zu einfach: Die Identitäten ihrer Opfer sind zu schnell ausfindig gemacht, ihre Morde zu reibungslos, Beseitigung von Leichen und Spuren zu simpel, das Überstehen der wenigen brenzligen Situationen zu leicht und generell läuft für die Bestatterin im Berserker-Modus gefühlt alles ein bisschen zu glatt. Auch bleibt die Psyche der Hauptfigur insgesamt ein wenig auf der Strecke, wenngleich Bernhard Aichner mit ihrer traumatischen Kindheit und dem Verlust ihres Mannes als Auslöser des ganzen Wahnsinns eine plausible Erklärung für ihre Taten liefert – dennoch hätte man sich vielleicht noch ein paar Einblicke mehr in die Gefühls- und Gedankenwelt von Blum gewünscht. Dafür kann der Roman aber mit einer guten Schlusspointe aufwarten, die einem zum Ende hin nochmal einen kleinen Schlag in die Magengrube versetzt. Wer sich auf den ungewöhnlichen Stil des Autors einlässt und keine Probleme mit blutigen und ekelhaften Gewaltszenen ohne großes Moralisieren hat, der bekommt mit „Totenfrau“ eine wirklich packende und kompromisslose Rachestory vorgesetzt – manchmal braucht man so einen dreckigen Thriller einfach.
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8/10