Kabinett des Todes_Rezi

Als Howard Cottrell zu sich kommt, ist der Börsenmakler zunächst verwirrt. Er hört zwar Stimmen, kann jedoch nicht sehen zu wem diese gehören, da um ihn herum nichts als Dunkelheit ist. Je mehr Howard den Gesprächen zuhört, desto mehr reift ihn ihm aber die Erkenntnis, dass er sich in einem schlimmen Albtraum befinden muss: Offenbar liegt er gerade in einem Leichensack und wird von den Rechtsmedizinern für seine eigene Autopsie vorbereitet. Panisch versucht Howard die Ärzte darauf aufmerksam zu machen, dass er noch am Leben ist, doch seine stummen Schreie werden nicht erhört und seine Muskeln folgen nicht den Anweisungen seines Gehirns. Hilflos muss er miterleben, wie die drohende Öffnung seiner vermeintlichen Leiche immer näher rückt…

14 Kurzgeschichten vom Meister des Schreckens

„Autopsieraum vier“ ist die erste von 14 Kurzgeschichten, die Bestsellerautor Stephen King in seiner Sammlung „Das Kabinett des Todes“ veröffentlicht hat – und zeigt gleich zu Beginn, was ein guter Geschichtenerzähler innerhalb nur weniger Seiten zustande bringen kann. Die Geschichte um den Börsenmakler, der gelähmt seine eigene Autopsie miterleben muss, während die Pathologin und ihr Assistent munter zu lauter „Rolling Stones“-Musik Witze über die Ähnlichkeit ihres „Patienten“ zum Schnulzensänger Michael Bolton machen oder Wetten auf dessen Unterwäschengeschmack abschließen, hat alles was eine gute Horror-Kurzgeschichte haben muss: Sie ist gruselig, beängstigend und sorgt durch einen makaber-absurden Humor für bizarre, aber sehr unterhaltsame Momente.

Mysteriös, makaber, melancholisch

Leider ist „Autopsieraum vier“ meiner Meinung nach aber auch schon die beste der 14 Kurzgeschichten und somit etwas unglücklich direkt am Anfang der Sammlung platziert – das kommt davon wenn man wie Stephen King die Reihenfolge der Erzählungen per Kartenspiel auslost. Dies soll aber nicht heißen, dass die restlichen Geschichten von schlechter Qualität sind – sie kommen nur nicht mehr an den grandiosen Auftakt heran. „Im Kabinett des Todes“ ist auch keine reine Horror-Sammlung, sondern bietet eine ausgewogene Mischung aus verstörenden Storys wie z.B. dem erwähnten Autopsie-Auftakt über anspruchslose Action wie der titelgebenden Geschichte um einen in Südamerika gefolterten Journalisten, der sich in bester Rambo-Manier aus seiner misslichen Lage befreut, bis hin zum melancholischen „Alles, was du liebst, wird dir genommen“, das die Geschichte eines lebensmüden Sammlers von Toilettensprüchen erzählt, der sich in einem schäbigen Motelzimmer umbringen will. Die meisten Erzählungen haben dabei eine Länge von ungefähr einer Stunde und ergeben insgesamt eine sehr abwechslungsreiche Zusammenstellung. Man spürt hier einfach die schriftstellerische Leidenschaft Kings, die bereits in dessem Vorwort, einem mitreißendem Plädoyer für das Format der Kurzgeschichte, zum Ausdruck gebracht wird.

Ausgewogene Mischung mit (fast) durchweg hohem erzählerischen Niveau

Wirkliche Rohrkrepierer gibt es in dieser Sammlung eigentlich nicht, lediglich mit Stephen Kings Vorgeschichte zu seiner „Der dunkle Turm“-Reihe, der extrem langatmigen Erzählung „Die kleinen Schwestern von Eluria“, konnte ich überhaupt nichts anfangen. Leider ist ausgerechnet diese mit knapp 3 Stunden Spielzeit auch noch mit Abstand die längste der 14 Geschichten und hat mir wieder einmal vor Augen geführt, warum ich mit Kings Fantasy-Epos überhaupt nichts anfangen kann – ich finde die Geschichte vom Revolvermann Roland einfach sterbenslangweilig. Glücklicherweise wird dieser Durchhänger direkt im Anschluss aber mit „Alles endgültig“, einer mysteriösen Geschichte um einen Mann, dessen seltsame und zugleich gefährliche Gabe von einer skrupellosen Organisation ausgenutzt wird, wieder aufgefangen und die Anthologie auf das vorherige gute Niveau zurückgehoben. Im Folgenden findet dann z.B. auch „1408“, die Vorlage zur gleichnamigen Verfilmung mit Samuel L. Jackson und John Cusack, einen Platz in dieser Zusammenstellung. Schön ist auch, dass in der Sammlung nicht nur die Geschichten selbst vorgetragen werden, sondern zu jeder der 14 Storys auch noch ein paar Worte des Autors zu finden sind, der ein wenig über die Entstehung der Texte und seine jeweiligen Aussageabsichten verrät – das rundet das Gesamtwerk wirklich gelungen ab.

Gute Kurzgeschichtensammlung, grandiose Lesung

Ein paar Worte müssen auch noch zur gewohnt genialen Lesung von David Nathan verloren werden, der bei Stephen King wieder genau in seinem Element ist. Absolutes Highlight seiner Lesung ist für mich die Geschichte „Lunch im Gotham Café“, bei dem Nathan einen dem Wahnsinn verfallenden Kellner eines New Yorker Cafés mit beängstigender Eindringlichkeit verkörpert – wirklich unheimlich und fast so verstörend wie Nathans Interpreation des Pennyweise aus Stephen Kings Horror-Klassiker „ES“. Doch auch seine grölende Gesangseinlage zum Michael-Bolton-Hit „When a man loves a woman“ hat höchsten Unterhaltungswert. Somit ist „Im Kabinett des Todes“ insgesamt eine wirklich gute Kurzgeschichtensammlung, die nicht nur Horrorfans bedient, sondern eine sehr ausgewogene Mischung aus Horror, Mystery und Drama darstellt. Fast alle Erzählungen befinden sich auf einem soliden bis guten Niveau und bieten gerade auch durch die atmosphäre Lesung von David Nathan gute Unterhaltung – egal ob man die Geschichten nun alle am Stück hört oder häppchenweise zwischendurch.

Im Kabinett des Todes
  • Autor:
  • Sprecher: David Nathan
  • Original Titel: Everything's Eventual
  • Länge: 19 Std. 12 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Random House Audio, Deutschland
  • Erscheinungsdatum: 30. Mai 2014
  • Preis 29,95 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
8/10
Fazit:
Mal unheimlich, mal mysteriös, mal amüsant und mal melancholisch: "Im Kabinett des Todes" bietet eine ausgewogene Auswahl von Kings Kurzgeschichten, die nicht zuletzt dank David Nathans Lesung absolut hörenswert sind.

Kommentar verfassen:

3 Antworten zu diesem Beitrag

  • Du liest/hörst ja öfters mal Stephen King.
    Gibt es ein Buch von ihm, was du Einsteigern empfehlen würdest?
    Ich habe es mal mit „Sara“ oder „Dolores“ (war ein Frauennamen) versucht und „Das Mädchen“ hab ich sogar komplett gelesen, aber irgendwie war der Schreibstil was eigen und hielt mich von weiteren Büchern ab.
    Vielleicht auf englisch lesen? Habe gehört, da soll es etwas besser sein oder direkt ein Hörbuch?
    Warum ich es überhaupt so zwingend versuchen will? Da mich die Inhalte total neugierig machen und die Verfilmungen super Bücher versprechen 😉

    • Ob die Bücher auf englisch besser sind, kann ich dir nicht sagen, da ich die King-Werke eigentlich ausschließlich in den deutschen Hörbuchausgaben höre, aber eigentlich sind die Übersetzungen meiner Meinung nach schon nicht schlecht.

      Zum Einstieg würde ich vielleicht eher etwas nehmen, was nicht ganz so lang ist (gerade „ES“, „Die Arena“ oder „Der Anschlag“ sind ja schon richtig dicke Schinken…). Vielleicht ist „Shining“ zum Einstieg nicht schlecht, das ist vom Horror her auch eher subtiler und psychologischer und nicht ganz so abgefahren. Wenn man dann noch die aktuelle Fortsetzung „Doctor Sleep“ dranhängt bekommt man eigentlich einen ganz guten Eindruck von den früheren und neueren Werken Kings.

      Ich persönlich würde bei Stephen King auch unbedingt zu den deutschen Hörbüchern mit David Nathan raten, besser kann man Hörbücher eigentlich nicht vorlesen. Am eindrucksvollsten ist hier sicherlich „ES“, aber ein 50-Stunden-Hörbuch zum Einstieg ist vielleicht etwas viel. Das „Shining“-Hörbuch gibt es zwar nicht mit Nathan, aber Dietmar Wunder ist hier auch super.

      Vielleicht hilft dir das ja irgendwie bei deiner Entscheidung weiter^^

      • Ah ja, Danke!
        „Shining“ kenne ich ja auch als Film, denke da fällt es mir auch einfacher einzusteigen, weil ich die grobe Handlung kenne.
        Dann werd ich mich mal nach Hörbüchern umschauen 🙂