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Ein Jahr nach den Morden von Jack the Ripper sieht sich die Londoner Polizei erneut mit einem sadistischen Killer konfrontiert. Dieser hat es zudem auf ihre eigenen Reihen abgesehen…

London, 1889: Die englische Hauptstadt hat sich immer noch nicht von den brutalen Prostituierten-Morden Jack the Rippers erholt, da sorgt bereits das nächste schlimme Verbrechen für Unruhe unter den Bürgern und der Polizei. An der Euston Square Station wurde eine verlassene Truhe aufgefunden, in ihr die ineinander verschlungene Leiche eines Mannes. Dieser wird von den Ermittlern des Scotland Yard schnell als Inspector Christian Little identifiziert, einen der Angehörigen des neu gegründeten Murder Squad, das sich auf die Untersuchung von Kapitalverbrechen spezialisiert hat.

Ein Polizistenmord schockt die neu gegründete Sondereinheit des Scotland Yard

Diese Entdeckung sorgt für großen Aufruhr in den Reihen der Polizei und trotz hoffnungsloser Überlastung bekommt der Fall oberste Priorität eingeräumt. Detective Inspector Walter Day, der gerade erst aus dem beschaulichen Devon nach London versetzt wurde, übernimmt die Leitung der Ermittlungen und erhält dabei Unterstützung von Dr. Bernard Kingsley, dem Gerichtsmediziner des Yard. Dieser sorgt mit seiner gründlichen Arbeitsweise und einem revolutionären Ermittlungsansatz für erste vielversprechende Hinweise…

Die Jack-the-Ripper-Morde und ihre Konsequenzen

„The Yard“, das Romandebüt des (Achtung!) amerikanischen Autors Alex Grecian hat vor allem aus zwei Gründen meine Aufmerksamkeit erregt: Zum einen sprach mich das tolle und atmosphärische Buchcover direkt an, außerdem wird im Klappentext der berühmte Serienkiller Jack the Ripper erwähnt, womit man bei mir schon mal grundsätzlich ein gewisses Interesse wecken kann. Nun kommt besagter Mörder zwar im gesamten Roman nicht persönlich vor, trotzdem schwebt über der gesamten Handlung immer noch dessen dunkler Schatten. Die bisher beispiellosen Verbrechen des Rippers haben nämlich zahlreiche Auswirkungen auf das ohnehin schon harte Leben in den Straßen Londons: Die Bürger fühlen sich noch unsicherer als zuvor und haben das Vertrauen in die Fähigkeiten der Polizei fast vollständig verloren, doch auch für die Arbeit des Scotland Yard hatte die Mordserie gravierende Veränderungen zur Folge.

Eine neue Stufe der Kriminalität ist erreicht

Beim Yard hat man erkannt, dass man es nun mit einer völlig neuen Art des Verbrechens zu tun bekommen hat. Während die bisherigen Mordfälle meist aus Beziehungstaten oder Raubüberfällen resultierten, sieht man sich nun mit Killern konfrontiert, die ihre Bluttaten aus reiner Mordlust begehen – was es für die Polizei in einer Zeit ohne DNA-Analysen oder Computertechnologie fast unmöglich macht, die Täter zu fassen. Um es mit dieser neuen Spezies von Verbrechern aber zumindest annähernd aufnehmen zu können, wurde das „Murder Squad“ gegründet, eine Sondereinheit des Yard bestehend aus den fähigsten Ermittlern des Landes, die sich (zumindest in der Theorie) nur mit den schlimmsten Fällen befassen sollen.

Das Murder Squad – die Elite der Londoner Polizei

Das jüngste Mitglied dieser Elite ist Detective Inspector Walter Day, mit seiner jungen Frau soeben erst aus dem ruhigen Devon in die Hauptstadt gezogen und ohne Vorstellung, warum ausgerechnet er die Nachfolge eines in den Ruhestand gegangenen ruhmreichen Ermittlers antreten soll. Zudem wird ihm gleich der Fall mit der höchsten Priorität aufgetragen, der Mord an Inspector Little – sehr zu seiner eigenen Überraschung und der seiner neuen Kollegen. Nun könnte man als Autor auf die Idee kommen, daraus einen Kriminalroman voller Revierkämpfe und falscher Eitelkeiten zu entwickeln, in dem sich die einzelnen Ermittler durch ihren eigenen Ehrgeiz selbst in der Arbeit behindern. Erfreulicherweise geht Alex Grecian bei seinem Debüt aber einen anderen Weg, den ich als deutlich sympathischer empfinde: Trotz einer (durchaus verständlichen) Skepsis gegenüber dem neuen und unerfahrenen Detective Inspector legen die Teammitglieder des Murder Squad Walter Day keine Steine in den Weg, sondern stellen sich in den Dienst der Sache und unterstützen ihn nach Kräften – sofern es ihnen möglich ist, denn jeder von ihnen hat selbst noch rund hundert offene Fälle auf dem Tisch…

Neue Wege im Kampf gegen das Verbrechen

Durch die weitestgehende Harmonie innerhalb des Yard wird das Murder Squad vom Leser auch tatsächlich als geschlossene Einheit wahrgenommen, deren aufrechte Ermittler sich die Nächte um die Ohren schlagen und ihre eigenen Familien (sofern überhaupt vorhanden) vernachlässigen, um die Straßen Londons etwas sicherer zu machen. Dass die Abteilung des Yard dabei vom Daily Express den (auch auf dem Buchcover abgebildeten) Stempel „CSI: Victorian London“ verpasst bekommen hat, kommt dabei nicht von ungefähr, denn Grecian lässt seine Figuren viele neue und zur damaligen Zeit revolutionäre Wege beschreiten. So kommt der Analyse von Fingerabdrücken zum ersten Mal eine gesteigerte Bedeutung zu, Beweismittel werden sorgfältig gesammelt und untersucht oder Akten diverser Kriminalfälle auf mögliche Gemeinsamkeiten untersucht. Das mag in dieser Häufung von Innovationen zwar nicht immer hundertprozentig realistisch wirken, sorgt aber für äußerst willkommenen frischen Wind im Krimi-/Thrillergenre.

Stimmige und authentische Atmosphäre

Gleiches gilt für das atmosphärische und auch weitestgehend glaubwürdige Setting des Romans. Das viktorianische London wird von Alex Grecian stimmig dargestellt, wenngleich an manchen Stellen etwas mehr „London-Feeling“ durchaus wünschenswert gewesen wäre. Dafür wirkt aber das Leben der diversen Charaktere authentisch, gerade auch weil der Autor viele kleinere Alltagsdinge harmonisch in die Handlung einfließen lässt. Da werden dann schon mal wiederholt von Blut besudelte Anzüge in die Reinigung gebracht, herumstreunende Straßenjungen auf die Suche nach einem Arzt geschickt oder obdachlose Straßenkünstler von den Straßen Londons ins nächste Arbeitshaus gebracht, um das Stadtbild zu „verschönern“.

Guter Auftakt der Murder-Squad-Reihe

Auch die Handlung kann überzeugen, wobei sich Grecian nicht auf den Mord an Inspector Little beschränkt, sondern die verschiedenen Mitglieder des Yard auf unterschiedliche Fälle loslässt. Das ist manchmal nicht ganz so leicht zu durchschauen, verstärkt aber den glaubwürdigen Gesamteindruck der dargestellten Polizeiarbeit. Bei der hohen Verbrechensrate im damaligen London ist es nun mal schlichtweg nicht möglich, eine ganze Sondereinheit auf einen Fall anzusetzen, sondern es muss an vielen Fronten ermittelt werden, um dem Bösen Herr zu werden. Auch die Charaktere werden von Grecian gut ausgearbeitet, sei es der clevere Gerichtsmediziner Kingsley, der sich aufgrund der Schrecken seines Berufes Sorgen um die Folgen für seine heranwachsende Tochter macht, oder der aufstrebende junge Constable Hammersmith, der dem Tod eines zum Arbeitssklaven missbrauchten Jungen die gleiche Aufmerksamkeit entgegenbringt wie dem Mord an einem Polizisten. Dies ergibt eine sehr ausgewogene Mischung, die wirklich Lust auf weitere Fälle des Murder Squad macht. Glücklicherweise ist der zweite Band der Reihe mit dem Titel „The Black Country“ bereits erschienen, bleibt zu hoffen dass es die Bücher auch hierzulande in deutscher Übersetzung in die Läden schaffen werden. Verdient hätte es der Autor für sein Romandebüt allemal…

Fazit:
Atmosphärischer und durch das ungewöhnliche Setting sehr erfrischender Spannungsroman, dessen clevere Story und sympathische Charaktere Lust auf weitere düstere Ausflüge ins viktorianische London machen (8/10).

Buchcover
Autor: Alex Grecian; Umfang: 592 Seiten; Verlag: Penguin Books; Erscheinungsdatum: 03. Januar 2013; Preis: Gebundene Ausgabe 15,99 €/Taschenbuch 8,99 €/eBook 5,49 €.

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