Tags: Åsa Träff, Bedrohung, Camilla Grebe, Dunkelheit, Einsamkeit, Haus, Meer, Mord, Patienten, Schweden, Stockholm, Therapeutin
Genre: Drama, Krimi
Autor: Camilla Grebe, Åsa Träff
Umfang: 432 Seiten
Verlag: btb
Erscheinungsdatum: 10. Januar 2011
Klappentext:
Alles nur Einbildung oder echte Bedrohung? Siri Bergmann arbeitet als Psychotherapeutin in einer kleinen Gemeinschaftspraxis mitten in Stockholm. Sie ist den Umgang mit seelischen Abgründen und schmerzhaften Geheimnissen gewohnt. Es ist ihr täglich Brot. Doch im Moment hat sie vor allem mit sich selbst zu kämpfen. Seit ihr Mann bei einem Tauchgang vor einem Jahr tödlich verunglückt ist, lebt sie vollkommen abgeschieden in einem kleinen Haus am Meer. Trotz ihrer panischen Angst vor der Dunkelheit will sie sich beweisen, dass sie mit dem Alleinsein zurechtkommt. Dass sie sich beobachtet fühlt, bildet sie sich vielleicht nur ein. Dass ihre Katze nicht mehr auftaucht, hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Aber als sie eines Morgens beim Schwimmen im Meer auf die Leiche einer Patientin stößt, nimmt der Alptraum Gestalt an: Hat Siri als Therapeutin versagt – oder will jemand ihr Leben zerstören?
Zum Roman:
Siri Bergman ist eine erfahrene Psychotherapeutin und arbeitet mit ihren Kollegen Aina und Sven in einer kleinen Gemeinschafspraxis in der Innenstadt von Stockholm. Dort betreut sie einen überschaubaren Patientenkreis, dem sie bei der Überwindung ihrer Ängste und Verhaltensstörungen hilft. Darunter ist eine junge Frau, die 25-jährige Sara Matteus, die sich in der Vergangenheit immer wieder selbst verletzt hat und ihre Selbstverachtung in der Regel mit impulsiven sexuellen Beziehungen lindern will. Sara hat in den vorherigen Sitzungen große Fortschritte gemacht und sich in den letzten Wochen nur noch selten selbst geritzt. Zudem gibt ihr ein neuer Mann neuen Lebensmut, doch Siri Bergman ist diesbezüglich skeptisch. Der Liebhaber ist deutlich älter als ihre Patientin, macht ihr teure Geschenke, ist aber an keinen sexuellen Handlungen interessiert. Die Theraupeutin äußert ihre Bedenken, doch die junge Frau will von den Einwänden Siris nichts wissen.
Bergmans Tage sind ausgefüllt durch die Arbeit mit ihren Patienten, ihre wenige Freizeit verbringt sie meist einsam in ihrem kleinen Haus, welches abgelegen an der schwedischen Meeresküste liegt. Siri ist seit einem Jahr verwitwet, nachdem ihr Mann Stefan bei einem Tauchunfall auf ungeklärte Weise ums Leben kam. Über den Verlust ist die Therapeutin immer noch nicht hinweggekommen, zudem leidet Siri an großer Angst vor der Dunkelheit. Jeden Tag begeht sie die gleichen Routine: Arbeit, bei der Heimkehr alle Lichter anschalten, im Meer schwimmen, essen und die Trauer mit Alkohol betäuben. Ihr einziger sozialer Kontakt ist ihre Freundin und Arbeitskollegin Aina, bei der sie oft Trost und Ablenkung findet.
In letzter Zeit häufen sich merkwürdige und beunruhigende Ereignisse in Siris Privatleben. Sie fühlt sich in ihrem Haus beobachtet, ihre Katze verschwindet spurlos und sie erhält Post von einem Unbekannten, der ihr heimlich aufgenommene Fotos von ihr selbst zuschickt. Zudem wird sie telefonisch ins städtische Krankenhaus gerufen, weil ihre Freundin Aina einen schweren Unfall hatte. Als sie sich leicht angetrunken auf den Weg macht, wird sie kurz darauf von der Polizei angehalten und in eine Ausnüchterungszelle gesteckt. Dort wird sie dann überraschend von Aina abgeholt, die völlig unversehrt ist und von einem Unfall überhaupt nichts weiß. Siri wendet sich besorgt an die Polizei, doch diese hält ihre Geschichte nur für die billige Ausrede einer Trinkerin. Und auch die Psychologin beginnt langsam an sich selbst zu zweifeln: Bildet sie sich alles nur ein oder dringt tatsächlich jemand immer mehr in ihr Leben ein? Erst als im Wasser vor Siris Haus die Leiche der Patientin Sara Matteus gefunden wird, wird ihre Bedrohung immer realer …
„Die Therapeutin“ beginnt langsam und gemächlich, baut jedoch von Beginn an eine unterschwellige Spannung auf. Zunächst wird man mit der Lebenssituation der Protagonistin vertraut gemacht, mit all ihren Problemen und Sorgen. Nebenfiguren wie Siris Patienten und Arbeitskollegen werden eingeführt und der Leser kann sich in aller Ruhe an die Figurenkonstellation gewöhnen. Dann häufen sich plötzlich die mysteriösen Ereignisse und das Unwohlsein nimmt immer mehr zu.
Dazu passt perfekt die kühle Atmosphäre des Romans, welche vor allem durch den Schauplatz des einsamen Hauses am Meer erzeugt wird. Umgeben von Wald, Wasser und Dunkelheit überträgt sich die Einsamkeit der Protagonistin gut auf den Leser und die Ängste Siris lassen sich dadurch leicht nachempfinden. Die Therapeutin ist der Bedrohung in ihrem Heim schutzlos ausgeliefert, fernab von der Stadt und somit auch außer Reichweite von ihren Freunden und Kollegen. Zudem streuen die Autorinnen immer wieder geschickt kurze aber wenig aussagekräftige Passagen aus der Sicht des unbekannten Verfolgers ein, der sich sein Opfer immer mehr zurecht legt.
Gleichzeitig rätselt man ebenso wie die Hauptfigur über die Identität des Täters. Offensichtlich ist dieser auf einem persönlichen Rachefeldzug und will Siri immer mehr leiden sehen, indem er ihr Leben systematisch zerstört. Doch wer könnte ein Interesse daran haben, der Therapeutin zu schaden? Ist es einer von ihren Patienten, zum Beispiel der Mann, der ihr immer wieder von Gewaltfantasien gegenüber seiner Freundin erzählt? Oder sogar ihr Arbeitskollege Sven, der ihr in der Vergangenheit mehrfach an die Wäsche wollte, aber immer wieder zurückgewiesen wurde? Wie die Protagonistin begegnet man auch als Leser plötzlich jeder Person mit großem Misstrauen, und man überlegt ständig, wem man überhaupt noch vertrauen kann.
Der Schreibstil ist dabei sehr angenehm zu lesen. Unaufgeregt und unblutig, dafür mit psychologischem Tiefgang und einer subtilen Spannung. Vor allem die Ich-Perspektive trägt viel zum Reiz des Romans bei, denn so kann man tief in Siris Gedankenwelt eindringen und ihre Ängste nachempfinden. Zwischendurch werden immer wieder Protokolle der Patientensitzungen eingestreut, welche die Charakterzeichnung wieder weiter vorantreiben. Überhaupt sind die Figuren allesamt hochinteressant und abwechslungsreich. Neben der verschlossenen und leicht depressiven Hauptfigur gibt es da u.a. ihre Freundin Aina, die fast das genaue Gegenteil der Therapeutin ist: lebensfroh, offen und gerade in sexueller Hinsicht recht experimentierfreudig mit regelmäßig wechselnden Männerbekanntschaften. Oder ihr Kollege Sven, welcher insgesamt recht undurchschaubar ist. Auf der einen Seite ein lüsterner Frauenheld, der trotz Ehefrau und vor allem in alkoholisiertem Zustand hinter jedem Rock her ist, andererseits aber auch wieder begabter Psychologe und fast väterlicher Freund, der sich aber auch schnell zu Wutausbrüchen hinreißen lässt. Und nicht zuletzt der Polizist Markus, der Siri als einziger von Anfang an Glauben schenkt und die Therapeutin ernst nimmt. Dabei lässt er sich trotz der laufenden Ermittlungen sogar auf eine Romanze mit ihr ein, welche einen zusätzlichen Spannungsherd in die Geschichte bringt.
Mein Fazit:
Mit „Die Therapeutin“ haben die beiden Schwestern Camilla Grebe und Åsa Träff einen beeindruckenden Erstling hingelegt, der ab der ersten Seite an fesselt. Trotz der eher ruhigen Geschichte ist der Roman über die gesamte Distanz spannend und unterhaltsam und erzeugt eine sehr beklemmende, kalte Atmosphäre. Zudem sind die einzelnen Figuren durchweg überzeugend und glaubwürdig. Dabei kommt wohl besonders die persönliche Erfahrung von Åsa Träff zum Tragen, die selbst hauptberuflich als Psychologin mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie arbeitet. Das macht die Geschichte authentisch und interessant. Der Plot ist gut konstruiert mit einer kontinuierlich anziehenden Spannungsschraube, welche schließlich in einem überzeugenden Finale mündet. Allerdings kam die Auflösung für mich persönlich nicht ganz so überraschend, ich hatte den Täter schon nach gut einem Viertel des Buches ganz oben auf meiner Liste der Verdächtigen. Die Hinweise auf dessen Identität sind zwar sehr sparsam und dezent verteilt, bei gründlichem Lesen kann man aber recht früh dahinter kommen. Das tat der Spannung aber keinen Abbruch, denn „Die Therapeutin“ ist insgesamt ein sehr guter und absolut packender Psychothriller. Am 17. Oktober erscheint übrigens bereits das zweite Buch des Geschwisterpaares („Das Trauma“), wieder mit der Psychotherapeutin Siri Bergman in der Hauptrolle. Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser Roman bei mir auf dem Lesetisch landen wird…
Meine Wertung: 9/10
Informationen:
„Die Therapeutin“ von Camilla Grebe und Åsa Träff ist im btb Verlag erschienen und hat einen Umfang von 432 Seiten. Das Buch ist für 9,99 € als Taschenbuch erhältlich.