Jan-Erik Fjell zählt in Norwegen zu den erfolgreichsten Krimiautoren und wurde in seinem Heimatland auch bereits vielfach mit renommierten Buchpreisen ausgezeichnet. Seine Thriller um den eigenwilligen Ermittler Anton Brekke erfreuen sich dort seit Jahren großer Beliebtheit. In Deutschland hingegen gilt Fjell immer noch eher als Geheimtipp, er bekommt aber seit einer Weile auch hierzulande etwas größere Aufmerksamkeit, seit der Goldmann Verlag in die Reihe eingestiegen ist. Mit der Neuauflage des Auftaktbandes „Nebelstille“, ursprünglich bereits unter dem Titel „Der stumme Besucher“ erschienen, will man Fjells Werke nun weiter einem breiteren Publikum zugänglich machen.
Ein Mord mit transatlantischen Verbindungen
Der Roman beginnt mit dem Mord an dem norwegischen Milliardär Wilhelm Martiniussen in seinem luxuriösen Anwesen. Seine Freundin – zur Tatzeit ebenfalls anwesend – wird überraschenderweise verschont. Kurz vor seinem Tod hatte der einflussreiche Unternehmer seinen Partnern noch eine drastische Kursänderung verkündet, welche die Anteilseigner viel Geld gekostet hätte – der Grund für sein gewaltsames Ableben? Wenig später wird ein bewusstloser Fremder in der Nähe von Martiniussens Apartment aufgefunden. Eine Verbindung zum Mord scheint möglich, doch der Mann wird schwerverletzt ins Koma versetzt und kann nicht vernommen werden. Kommissar Anton Brekke übernimmt die Ermittlungen und stößt auf Verbindungen, die offenbar bis ins New Yorker Mafia-Milieu reichen.
Ein Fall mit langer Vorgeschichte
Die Handlung entfaltet sich dabei auf zwei Zeitebenen: Während Brekke in der Gegenwart ermittelt, werfen Rückblenden Licht auf die Vergangenheit des mysteriösen Fremden und seine Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Dieser Aufbau zieht sich nicht nur durch große Teile dieses Romans, sondern scheint grundsätzlich ein beliebtes Stilmittel des Autors zu sein, das sich auch in späteren Bänden wiederfindet. Die derartige Aufteilung ist durchaus Geschmacksache, denn wer sich zum Beispiel einen klassischen Skandinavien-Thriller mit Schauplatz Norwegen erhofft, wird sich durch die viele Sprünge ins Mafia-Milieu womöglich gestört fühlen. Zudem entwickelt sich der Spannungsbogen insgesamt eher gemächlich, mitunter auch wegen der ständigen Unterbrechungen der Handlungsebenen. Wer auf durchgehenden Nervenkitzel oder spektakuläre Wendungen hofft, dürfte hier nicht auf seine Kosten kommen. Die Auflösung des Falls kommt zwar überraschend, wirkt aber auch ein wenig wie aus dem Hut gezaubert und nicht vollständig überzeugend.
Ein sperriger Ermittler mit Konfliktpotenzial
Anton Brekke ist als Ermittlerfigur nicht unbedingt ein großer Sympathieträger. Seine Spielsucht, sein selbstgefälliges Auftreten und eine offenkundige Überheblichkeit im Umgang mit Frauen und auch Kollegen machen ihn zu einem Charakter, mit dem man nicht automatisch mitfiebert. Dass sich dies auch nicht grundlegend ändert und auf gewisse Weise auch ein Markenzeichen der Reihe ist, zeigen auch Fjells spätere Werke wie „Nachtjagd“, welcher die Wiederbelebung der Reihe auf dem deutschen Markt eingeleitet hat. Lesende, die kantige Ermittler mit persönlicher Abgründen mögen, könnten ihn dennoch interessant finden, wer aber auf Identifikationsfiguren Wert legt, wird mit Brekke vermutlich seine Schwierigkeiten haben.
Solider Krimi ohne besondere Stärken und Schwächen
Insgesamt ist „Nebelstille“ ein grundsolider Thriller, der erzählerisch sauber gearbeitet ist, ohne sich dabei jedoch sonderlich hervorzutun. Die Erzählweise mit vielen Rückblenden und die ausgedehnte Amerika-Komponente geben der Geschichte zwar eine gewisse Eigenständigkeit, entfernen sie aber auch ein Stück weit vom klassischen Skandinavien-Krimi, den man hier wahrscheinlich erwarten würde. Insoweit hängt das Urteil über diesen Roman stark von persönlichen Präferenzen und wohl auch einer gewissen Offenheit gegenüber Abweichungen von den eigenen Erwartungen ab. Handwerklich betrachtet ist der erste Fall für Anton Brekke ein routiniert geschriebener Spannungsroman, die eher problematische Hauptfigur und das für einen Norwegen-Thriller ungewöhnliche Mafia-Thema dürften aber sicherlich polarisieren.


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7/10