Es gehört schon ein gewisses Maß an Kreativität dazu, aus dem inzwischen meist doch etwas uninspiriertem (oder um es boshaft zu formulieren „ausgelutschtem“) Zombie-Subgenre auf originelle Weise hervorzustechen. Das jedoch ist dem US-amerikanischem Autor Max Brooks mit seinem Roman „Operation Zombie: Wer länger lebt, ist später tot“ gelungen. Wem dieser zugegeben etwas alberne deutsche Titel nichts sagt, der hat vielleicht schon eher mal etwas von „World War Z“ gehört, dem Action-Blockbuster von und mit Hollywoodstar Brad Pitt aus dem Jahr 2013. Trotz des kommerziellen Erfolges dieses Streifens wurde der überwiegend dann doch in übliche Genre-Klischees abdriftende Film der Romanvorlage nicht gerecht, was wenig überrascht, wenn man den Kommentar von Autor Max Brooks zur Umsetzung liest: „They didn’t ruin my book, they ignored it.“ Denn was das Buch vom meist typischen Zombie-Splatter abgehoben hat, beschreibt der Originaltitel des Romans schon recht treffend: „An Oral History of the Zombie War“. Dahinter verbergen sich (natürlich fiktive) Augenzeugenberichte über eine globale Zombie-Epidemie, die fast schon in einem Sachbuch-artigen Stil auf den ersten „Z-Weltkrieg“ zurückblicken – mal aus medizinischer, mal aus politischer und mal aus ganz alltäglicher Sicht, und das aus allen Ecken der Welt.

Raus aus dem Alltag, rein in die Wildnis

Für seinen neuen Roman „Devolution“ hat der Sohn von Regisseur-Legende Mel Brooks nun einen ähnlichen Ansatz gewählt, allerdings steht diesmal nach den Zombies ein weiterer Mythos im Mittelpunkt: Bigfoot – oder „Sasquatch“, wie die sagenumwobene menschenähnliche, großgewachsene Bergkreatur in der Sprache kanadischer Ureinwohner genannt wird. Auch hier hat Max Brooks eine Art dokumentarische Erzählweise gewählt und schildert seine Geschichte in einer Mischung aus Interviews und Berichten, wobei das Grundgerüst des Romans durch die Tagebucheinträge der Protagonistin Kate Holland gebildet wird. Diese ist wie ihr Ehemann Dan Mitglied einer sehr exklusiven und aus nur sechs Haushalten bestehenden Gemeinschaft in den Bergen des US-Bundesstaates Washington, direkt am Fuße des Vulkans Mount Rainier. Dort hat die Gruppe von gut situierten Aussteigern der Welt mehr oder weniger den Rücken gekehrt und lebt inmitten unberührter Natur, ohne jedoch auf die Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation verzichten zu müssen: die Bewohner von „Greenloop“ wohnen nämlich in vollausgestatteten Smart-Homes und falls doch einmal etwas fehlt, so können sich die Möchtegern-Ökos ihre Wunschartikel einfach mit den wöchentlichen Drohnenlieferungen aus Seattle kommen lassen. Es gibt eigentlich nur ein einziges Problem: zum Zeitpunkt der Erzählung sind die Menschen in Greenloop entweder tot – oder von ihnen fehlt jede Spur…

Ein Aussteiger-Traum mit katastrophalem Ende

Auslöser dieser dramatischen Wendung war der unvorhergesehene Ausbruch des Mount Rainier, der Kate, Dan und den Rest der Gemeinschaft plötzlich mehr von der Außenwelt abgeschnitten hatte, als es den vermeintlichen Naturliebhabern dann doch lieb war – denn ohne zuverlässige Lebensmittelsendungen und die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme nach „draußen“ wurde die Lage in Greenloop von Tag zu Tag ungemütlicher. Nicht nur in der Gemeinschaft wurde die Nahrung durch die vom Vulkan ausgelöste Zerstörung knapp, auch die nicht-menschlichen Bewohner der vormals so idyllischen Wildnis wurden nicht zuletzt durch Hunger aus ihrem eigentlichen Lebensraum vertrieben – und die Greenloop-Aussteiger standen zu ihrem Ungunsten offenbar nicht am Ende der Nahrungskette…

Liebes Tagebuch…

Monate nach dem Unglück und den augenscheinlich schrecklichen Geschehnissen am Mount Rainier erzählt nun das in den Trümmern der Siedlung entdeckte Tagebuch von Kate Holland die Geschichte des Niedergangs von Greenloop – und leider fangen hier bereits die Probleme von „Devolution“ an. Denn diese Erzählweise mag interessant klingen, ist hier jedoch schlicht und einfach nicht glaubwürdig. Der Vorwand für die Entstehung des Tagebuches sind Berichte von Kate an ihren Therapeuten, denn offenbar haben nicht nur der Wunsch nach Freiheit und die Sehnsucht zur Natur die junge Frau in die Wildnis getrieben. Anfangs mögen die detaillierten Berichte über das tägliche (und oft leider auch nicht besonders aufregende) Geschehen in Greenloop noch realistisch sein, spätestens mit dem Vulkanausbruch kommen dann aber doch Zweifel auf, ob man in so einer Situation nicht andere Sorgen hätte, als inmitten all des Chaos und der Gefahr immer schön brav das Tagebuch zu befüllen – und das nach wie vor mit unpassend langen Einträgen. Zum anderen ist der Tagebuchstil auch ganz einfach ein Spannungskiller, da man in brenzligen Situationen immer schon weiß, dass sich Kate irgendwann im Anschluss hingesetzt hat, um ihr Journal auf den aktuellen Stand zu bringen – so schlimm kann der Tag dann ja nicht gewesen sein, wenn dafür immer noch Zeit und Muße war.

Bigfoot lebt

Man muss Max Brooks zugute halten, dass es Monstergeschichten in Romanform meist schwieriger haben als auf der großen Leinwand, denn während bei Filmen oft spektakuläre Schauwerte reichen, um die Zuschauer bei Laune zu halten, ist das bei einem Buch besonders mit dem nicht gerade geringen Umfang von fast 500 Seiten natürlich deutlich schwieriger – zumal die sprichwörtliche Katze von Anfang an aus dem Sack ist, denn nicht nur die Covergestaltung der deutschen Ausgabe verrät schon einiges über die Art der Bedrohung, sondern sogar das allererste Wort dieses Romans lautet tatsächlich „Bigfoot“. Ab da ist dann eigentlich nur noch die Frage, wann die Kreaturen endlich auftauchen und wer letztlich aus der Konfrontation zwischen Mensch und Mythos lebend hervorgeht.

Ein Haufen Möchtegern-Ökos in der wilden Natur

Diese Frage verliert leider auch dadurch an Reiz, dass die Bewohner von Greenloop allesamt keine wirklichen Sympathieträger sind und vom Autor (bzw. der „Tagebuchschreiberin“) auch durch die Bank sehr klischeehaft dargestellt werden. Denn keiner der Gruppe scheint auf das Leben in der Natur wirklich vorbereitet zu sein, stattdessen wirkt nahezu jedes Mitglied wie eine Karikatur: sei es das hochattraktive Luxus-Pärchen, das mit im Internet gestreamten Yoga-Kursen oder albernen Lifecoach-Weisheiten den Lebensunterhalt bestreitet oder die beiden lesbischen Mütter, die ihrer Adoptivtochter nur einen „Platzhalter-Namen“ gegeben haben, damit sie später irgendwann selbst einen eigenen wählen kann – alle Figuren kommen irgendwie verwöhnt-weltfremd rüber, sodass es schwer fällt, eine Beziehung zu den Charakteren aufzubauen und bei ihrem Kampf ums Überleben mitzufiebern.

Ein B-Movie in Buchform

Im Vergleich zum wirklich sehr gelungenen und trotz der fantastischen Thematik überaus realistisch anmutenden „World War Z“ kommt „Devolution“ somit kaum über einen gewissen Trash-Charakter hinaus und ist von Anfang an weitestgehend vorhersehbar und eher uninspiriert. Interessant ist das Buch immer dann, wenn reale Textausschnitte oder Zitate mit der Bigfoot-Thematik kombiniert werden und der Autor dem Mythos um die Kreatur zum Beispiel durch Worte von Primaten-Forscherin Jane Goodall oder dem ehemaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt einen realistischeren Hintergrund zu geben versucht. Diese Elemente hätten gerne mehr im Vordergrund stehen dürfen, zumal sich Max Brooks mit dem tatsächlichen Ausbruch des Mount St. Helens im Jahr 1980 sogar ein reales Ereignis zum vagen Vorbild seiner Geschichte genommen hat. Im Ergebnis ist „Devolution“ so leider nur ein ganz netter, jedoch eher belangloser Action-Thriller geworden, der zwar gute Ansätze zeigt, das Potenzial aber kaum ausnutzt und auch erst viel zu spät in Fahrt kommt. Es bleibt ein wenig der Eindruck zurück, dass diese Geschichte als zweistündiger Katastrophen-Monster-Film besser funktioniert und einen höheren Unterhaltungswert als dieses alles in allem etwas langatmige Buch geboten hätte.

Devolution – Max Brooks
  • Autor:
  • Original Titel: Devolution
  • Umfang: 464 Seiten
  • Verlag: Goldmann
  • Erscheinungsdatum: 17. August 2020
  • Preis Taschenbuch 10,00 €/eBook 9,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
5/10
Fazit:
Mit seinem Bigfoot-Thriller "Devolution" kann "World War Z"-Autor Max Brooks leider nicht an die Originalität seiner erfolgreichen Zombie-Chronik anknüpfen und liefert eine über weite Strecken vorhersehbare und uninspirierte Geschichte, die zwar realistisch anmuten soll, dabei aber kaum über einen gewissen Trash-Faktor hinauskommt.

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