Tags: Anette Strohmeyer, Dänemark, Gmeiner Verlag, Reihenauftakt, Ringkøbing Fjord
Genre: Krimi, Thriller
Eine kleine Warnung vorweg: Wer in absehbarer Zeit einen Skandinavien-Urlaub in einem dänischen Ferienhaus plant, der sollte um dieses Buch vielleicht vorerst einen kleinen Bogen machen. Denn genau so ein vermeintliches Urlaubsidyll hat Anne Nørdby zum Schauplatz ihres Thrillers „Kalter Strand“ auserkoren und setzt auf den 473 Seiten des im GMEINER-Verlag erschienenen Buches alles daran, den Traum vor allem vieler deutscher Touristen in einen waschechten Albtraum zu verwandeln. Und ohne hier bereits allzu viel vorwegzunehmen: dieses Unterfangen gelingt der Autorin ausgesprochen erfolgreich.
Wenn der Familienurlaub zum Albtraum wird…
Dabei beginnt „Kalter Strand“ – lässt man das kurze, düstere Auftaktkapitel einmal außer Acht – zunächst einmal wenigstens zum Teil wie ein gemütlicher Familienausflug und begleitet den Deutschen Markus Schneider, dessen Frau und ihre beiden gemeinsamen Kinder zum schönen Ringkøbing Fjord, wo die vier in einer Ferienhaussiedlung ein paar erholsame Tage verbringen und die langersehnte Auszeit genießen wollen. Strandspaziergänge, Eiscreme, Angeln im Fjord, Toben in den Dünen und gesellige Abende mit ihren Urlaubsnachbarn – so stellen sich Markus und Familie den Aufenthalt in Dänemark vor und zunächst scheint es so, als würde diese Vorstellung auch Realität werden. Doch es dauert nicht lange, bis sich in der Siedlung ungewöhnliche und immer beunruhigendere Vorkommnisse häufen…
Der erste Fall für Skanpol-Kommissar Tom Skagen
Die zweite Hälfte der Geschichte widmet sich einer kleinen Ermittlungseinheit von Skanpol, einer (fiktiven) Unterabteilung von Interpol, die einen Leichenfund an der dänischen Küste untersuchen soll. Dort wurde der tote Körper einer jungen Frau an den Strand gespült und es gilt herauszufinden, ob das Opfer auf gewaltsame Weise zu Tode gekommen ist oder vielleicht sogar in den kalten Wellen den Freitod gewählt hat. Dabei fokussiert sich Anne Nørdby vor allem auf ihren Protagonisten Tom Skagen, Kommissar bei der in Hamburg ansässigen Skandinavien-Polizei, der mit seiner Chefin Jette Vestergaard und mehreren Kollegen nach Dänemark geschickt wird, um den örtlichen Ermittlern dort unter die Arme zu greifen.
Spannender Nervenkitzel vor toller Kulisse
Zwischen diesen beiden Handlungssträngen springt Anne Nørdby in relativ geringen Abständen immer hin und her, wobei sowohl die wechselnden Perspektiven als auch die kurzen Kapitel schnell eine gewisse Sogwirkung erzeugen. Dabei beginnt die Geschichte vor allem auf der Seite der deutschen Touristen wie angesprochen fast schon ein wenig gemütlich und der Autorin gelingt es hier sehr gut, den Charme der dänischen Feriensiedlung einzufangen und trotz der ernsten Thematik sogar zunächst ein gewisses Urlaubsfeeling zu kreieren. Diese Idylle bekommt aber nach und nach immer mehr Risse und mit jeder beunruhigen Entwicklung steigt der Pulsschlag beim Lesen – und ehe man sich versieht ist aus der vermeintlich leichten Strandlektüre ein packender Thriller geworden. Die Spannungskurve verläuft hier nahezu mustergültig und es ist faszinierend zu verfolgen, wie ein Rädchen ins andere greift und sich das ganze erschreckende Ausmaß des Falls von Kapitel zu Kapitel bedrohlich offenbart.
Sympathischer, aber noch etwas profilloser Ermittler
Allerdings ist „Kalter Strand“ auch nicht ohne Schwächen und diese finden sich bei genauerem Hinsehen sowohl bei der Geschichte selbst als auch bei ihren Protagonisten, allen voran der neuen Serienfigur Tom Skagen. Dieser schlägt sich in seinem ersten Auftritt zwar beachtlich und weckt mit seiner besonnenen Art schnell die Sympathien der Leser, zudem hat ihm seine Schöpferin Anne Nørdby im Vergleich zu den typischen Ermittlerklischees wie z.B. einem Alkoholproblem oder der obligatorischen gescheiterten Ehe mit einer recht originellen „Schwäche“ versehen. Dessen tief sitzende Angst u.a. vor dem Meer (was für einen ehemaligen Marineoffizier und nun vorrangig an der See ermittelnden Kommissar durchaus ungewöhnlich und unvorteilhaft ist) könnte aber noch intensiver vermittelt werden und wirkt bisher noch ein bisschen wie schmückendes Beiwerk, ohne sich allzu sehr auf Skagens Handlungen auszuwirken. Etwas schade ist zudem, dass Toms Mitstreiterin und Chefin Jette Vestergaard im Vergleich zu ihrem männlichen Kollegen relativ stark abfällt und vorrangig dadurch auffällt, dass sie es mit der ehelichen Treue nicht allzu genau nimmt und ihre erotischen Abenteuer sich zudem negativ auf ihr Urteilsvermögen auswirken.
Packende Ermittlungen mit etwas überladenem Finale
Zudem ist die Geschichte in „Kalter Strand“ zwar hervorragend konstruiert und verknüpft die einzelnen Handlungsstränge am Ende auf logische Weise, allerdings bezeichnet Nørdbys Protagonist Tom Skagen den Fall mit all seinen Details zum Ende hin (S. 427) selbst als „haarsträubend. Geradezu wahnwitzig.“ – und trifft damit den Nagel tatsächlich auf den Kopf. So spannend die Handlung auch ist und so geschickt die Autorin zeitweise auch die ein oder andere falsche Fährte legt, so kommt hier insgesamt schon doch arg viel an ungewöhnlichen Ereignissen zusammen, was für eine beschauliche Feriensiedlung an der dänischen Küste vielleicht etwas „too much“ ist. Die Auflösung des Falls ist darüber hinaus zwar überraschend, allerdings wirkt die Motivation des Täters ebenfalls etwas weit hergeholt und kann nicht ganz überzeugen. Letzter Kritikpunkt ist der Prolog (bzw. „Kapitel 1“), welcher zwar einerseits direkt zum Einstieg für Spannung sorgt, rückblickend jedoch etwas zu viel vom späteren Verlauf der Geschichte vorwegnimmt.
Fesselnder Reihenauftakt mit kleineren Schwächen
All diese kleinen Kritikpunkte schmälern das Lesevergnügen allerdings nur unwesentlich und sind vielmehr Meckern auf hohem Niveau, denn insgesamt hat Anne Nørdby hier vieles richtig gemacht und einen Reihenauftakt abgeliefert, der definitiv Lust auf mehr macht. Ermittler Tom Skagen macht in seinem ersten Fall trotz noch etwas fehlender Ecken und Kanten eine gute Figur und hat definitiv Serienpotenzial und auch die Geschichte ist jederzeit spannend und fesselt von der ersten bis zur letzten Seite. Größter Trumpf ist jedoch die packende Atmosphäre, denn die Autorin schafft es auf bemerkenswerte Weise, sowohl ein gewisses Urlaubsfeeling zu erzeugen als auch dieses nach und nach in einen beklemmenden und waschechten Albtraum umzukehren. Die dänische Feriensiedlung bietet dafür die perfekte Kulisse und erweist sich als hervorragend ausgewählter Schauplatz, der auch dazu beträgt dass Anette Strohmeyer der Sprung von Mystery-Thrillern à la „Ondragon“ hinein in das Genre der Skandinavien-Krimis mit Leichtigkeit gelingt.
Cover: | |
Charaktere: | |
Story: | |
Atmosphäre: |
8/10