Die Frauen die er kannte_Rezi

In Stockholm wird eine Frau ermordet in ihrem Bett aufgefunden: gefesselt, vergewaltigt und mit aufgeschlitzter Kehle. Schon auf den ersten Blick wird den Ermittlern der Reichskriminalpolizei um Teamleiter Torkel Höglund der Zusammenhang zu zwei weiteren Opfern klar, die in den letzten Wochen auf exakt die identische Weise getötet wurden. Noch ist es der Polizei gelungen, die Mordserie vor den Medien geheim zu halten, die Abstände zwischen den Taten werden jedoch immer kürzer und allen ist bewusst, dass sich die Presse auf den Fall stürzen wird, sobald die Details der Verbrechen an die Öffentlichkeit gelangen – die Vorgehensweise des Mörders entspricht nämlich der Handschrift des berüchtigten Serienmörder Edward Hinde, der vor knapp 20 Jahren in Schwedens Hauptstadt mehrere Frauen tötete. Hinde sitzt jedoch im Hochsicherheitstrakt, seit der ehemalige Kriminalpsychologe Sebastian Bergman ihn letztlich überführen könnte. Alles deutet also auf einen Nachahmungstäter hin, allerdings scheint dieser aber Details des damaligen Falles zu kennen, die nur der Täter und die Strafverfolgungsbehörden wissen können…

Viel mehr als nur „Ein Fall für Sebastian Bergman“: Der Star ist das Team

Auch „Die Frauen, die er kannte“, der zweite Kriminalroman des schwedischen Autorenduos Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt wird wieder mit dem Beisatz „Ein Fall für Sebastian Bergman“ vermarktet – dabei ist diese Bezeichnung meiner Meinung nach gleich in doppelter Hinsicht unglücklich gewählt: Zum einen ist der ehemalige Kriminalpsychologe seit dem tragischen Tod seiner Frau und seiner Tochter und seinem daraus resultierenden persönlichen Absturz schon seit Jahren nicht mehr Teil der Polizei und zudem nur noch ein Schatten seiner selbst – seine frühere Genialität ist ihm offenbar abhanden gekommen, zurück geblieben ist ein egoistisches Arschloch, das sein Trauma mit wahl- und bedeutungslosem Sex betäubt. Zum anderen tut man mit dem Stempel des „Sebastian-Bergman-Krimis“ schlicht und ergreifend auch dem Ermittlerteam der Reichskriminalpolizei Unrecht, denn gerade die für einen Spannungsroman überraschend gründliche Charakterisierung der einzelnen Figuren entpuppt sich spätestens mit diesem zweiten Band zum echten Markenzeichen der Reihe. Während die meisten Genre-Vertreter sich nämlich auf eine möglichst spektakuläre Story fokussieren, einen strahlenden Ermittler mit irgendeiner Macke (meist das klassische Alkoholproblem) bieten und sämtliche Nebencharaktere ohne Skrupel vernachlässigen, ist bei Hjorth und Rosenfeldt der Star ganz eindeutig das Team.

Langsam, aber keinesfalls langatmig

Was das bedeutet, das merkt man als Leser bereits auf den ersten 200 von insgesamt satten 752 Seiten: Obwohl man mitten hinein in eine grausige Mordserie geworfen wird und auch die Parallelen zum Fall des Serienmörders Edward Hinde schnell offenbart werden, kommt der Fall im ersten Viertel des Buches eigentlich kaum voran und wird von den Autoren fast sogar bewusst außen vor gelassen. Stattdessen widmen sich die beiden den verschiedenen Charakteren der Geschichte: den Mitgliedern der Ermittlungseinheit, dem außenstehenden Sebastian Bergman und sogar einer vermeintlichen Randfigur wie Thomas Haraldsson, im Vorgänger „Der Mann, der kein Mörder war“ noch grandios gescheitert und nun zum Leiter einer Justizvollzugsanstalt wegbefördert – in welcher zufällig auch Serienkiller Hinde sein Dasein fristet. Nun könnte man sich darüber ärgern dass die Handlung in der vergleichsweise langen Einleitungsphase kaum voranschreitet – man merkt dies beim Lesen aber gar nicht, da Hjorth und Rosenfeldt derart fesselnd schreiben und ihre Charaktere so lebendig werden lassen, dass man den erwarteten Nervenkitzel überhaupt nicht vermisst.

Routinierter, aber spannender Serienkiller-Plot

Das kann man natürlich auch nicht endlos so weiterführen, und so besinnen sich die beiden Schweden nach den ersten 200 Seiten doch immer mehr auf den eigentlichen Plot, bleiben aber auch dabei ihrem Stil treu: Zumindest für eine der Hauptfiguren wird der Fall sehr persönlich, doch eigentlich wird jedes Mitglied des Teams im Laufe des Romans auf unterschiedliche Weise an seine Grenzen getrieben. Die Story selbst ist dabei gar nicht mal so originell: Ein Nachahmungstäter, ein charismatischer Serienmörder hinter Gittern und ein persönliches Psychoduell zwischen Killer und Ermittler – man muss kein erfahrener Krimileser zu sein um ein solches Szenario schon ein paar Mal „miterlebt“ zu haben. Und trotz mancher Klischees (Stichwort: Gefangenentransport) entwickelt die Story dennoch schnell eine Sogwirkung, alleine schon weil die Handlung auf so viele kleine packende Nebenschauplätze aufgeteilt wird und es immer neue Entwicklungen und Baustellen gibt – und sei es z.B. nur in Bezug auf die plötzlich aufkeimende Rivalität zweier befreundeter junger Ermittler. Hjorth und Rosenfeldt schreiben so routiniert, dass das Buch fast zum Selbstläufer wird und man nur so durch die Seiten fliegt, gerade auch weil die kurzen Kapitel immer wieder den berühmten „Nur noch ein Kapitel“-Effekt hervorrufen.

Packender Schwedenkrimi mit starken Charakteren

Das schwedische Autorenduo erfindet mit „Die Frauen, die er kannte“ das Rad sicherlich nicht neu. Bei der Story setzen die beiden auf bewährte Zutaten, heben sich durch den massiven Fokus auf die einzelnen Charaktere jedoch gelungen von der Masse an Schwedenkrimis ab. Man hat hier als Leser wirklich das Gefühl, dass sich die Reihe weiterentwickelt und fühlt sich selbst fast schon als Teil des Ermittlerteams. Jede Figur hat seine Daseinsberechtigung und ist wichtig für die Story, sei es ein menschlicher Totalausfall wie Sebastian Bergman, der auch im zweiten Anlauf noch wenig Genialität aber viel Fremdschäm-Potenzial bietet, oder Ermittlungsleiter Torkel Höglund, der nicht nur einen Serienmörder fassen, sondern auch das durch den rücksichtslosen Egomanen Bergman vergiftete Betriebsklima retten muss. Genau so muss ein packender Kriminalroman aussehen und man sollte sich auch nicht vom enormen Umfang des Buches abschrecken lassen – „Die Frauen, die er kannte“ ist so gut, dass man am Ende fast ein wenig traurig ist, dass dieser Roman „nur“ 752 Seiten hat.

Die Frauen, die er kannte
  • Autor: ,
  • Original Titel: Lärjungen
  • Reihe: Sebastian Bergman #2
  • Umfang: 752 Seiten
  • Verlag: Rowohlt Polaris
  • Preis Broschiert 14,95 €/PB 9,99 €/eBook 9,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
9/10
Fazit:
Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt setzen bei ihrem zweiten gemeinsamen Roman in Bezug auf die Story auf bewährte Genre-Zutaten, glänzen aber mit überragend ausgearbeiteten Charakteren und machen „Die Frauen, die er kannte“ somit trotz des beachtlichen Umfangs zu einem jederzeit kurzweiligen und packenden Lesevergnügen.

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2 Antworten zu diesem Beitrag

  • Ich hab das Buch schon eine ganze Weile auf meinem SuB – vor allem wegen der über 700 Seiten – aber vielleicht sollte ich es doch endlich mal lesen. Hört sich ja doch sehr spannend an 🙂

    LG
    Tina

    • Die mehr als 700 Seiten haben mich auch lange davon abgeschreckt das zu lesen, ich bin dann aber doch super schnell vorwärts gekommen und habe ca. 100 Seiten in der Stunde geschafft. Ist zum einen einfach zu spannend, andererseits sind die Kapitel aber auch alle relativ kurz sodass man zügig durchkommt 😉