Tags: 19. Jahrhundert, Baker Street, Dr. John Watson, Jack the Ripper, London, Serienmörder, Whitechapel
Genre: Historischer Roman, Krimi
Im August 1888 schockiert ein grausamer Mord die Bewohner Londons: In Whitechapel, einem der zwielichtigen und in den dunklen Nächten alles andere als ungefährlichen Viertel der Stadt wurde die Prostituierte Mary Ann Nichols auf bestialische Art und Weise getötet. Dem Opfer wurde die Kehle aufgeschlitzt, zudem verstümmelte der Täter den Körper der Frau mit zahlreichen weiteren Schnittwunden und legte ihre Eingeweide frei. Selbst für die Ermittler von Scotland Yard ist diese extreme Brutalität ein Schock und eine neue Art von Verbrechen, der sich die Ermittler völlig hilflos gegenübersehen, zumal es keinerlei Spuren am Tatort gibt, die auf die Identität des Mörders hinweisen könnten. In ihrer Verzweiflung zieht die Polizei einen Mann zu Rate, der schon in der Vergangenheit durch seine gute Beobachtungs- und Kombinationsgabe zur Aufklärung zahlreicher Verbrechen beigetragen hat und nun auch den Mörder von Whitechapel zur Strecke bringen soll: den Meisterdetektiv Sherlock Holmes.
Meisterdetektiv Sherlock Holmes jagt den Serienmörder Jack the Ripper
Zur Zeit des späten 19. Jahrhunderts war die englische Hauptstadt London kein Ort, an dem man sich als Einwohner besonders sicher fühlen konnte. Kriminelle Übergriffe (vor allem gegenüber Frauen) standen auf der Tagesordnung und die nach Anbruch der Nacht stockdunklen Straßen boten dem Abschaum der Gesellschaft genügend Schutz, um in der Regel ungestraft ihre Gräueltaten zu begehen. Der Höhepunkt dieser Verbrechenswelle spielte sich zwischen April und November 1888 ab, als fünf Frauen von dem Mann brutal ermordet wurden, der als „Jack the Ripper“ in die Kriminalgeschichte einging und auch heute noch der wohl meist berüchtigte Serienmörder aller Zeiten ist. Während die Ermittler dieser Verbrechensserie in der Realität hilflos ausgesetzt waren, hat die Literatur zum Glück eine Figur geschaffen, die einer solchen Bestie gewachsen scheint: Sir Arthur Conan Doyles berühmter Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Da dieser ebenfalls im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert seinem fiktiven Werk nachging, liegt es nicht allzu fern, den grausamen Serienmörder und den genialen Ermittler aufeinandertreffen zu lassen und Holmes seinem wohl schwierigsten Fall auszusetzen – in der Hoffnung, das diesem das gelinge, was Scotland Yard nie geschafft hat: Jack the Ripper zu fassen und unschädlich zu machen.
Lyndsay Faye auf den Spuren von Sir Arthur Conan Doyle
Zahlreiche Autoren haben sich dieser Ausgangssituation bereits angenommen und mit ihren schriftstellerischen Ergüssen mal mehr und mal weniger ihre Qualität unter Beweis gestellt, bei Lyndsay Fayes Debütroman „Dust and Shadow: An Account of the Ripper killings by Dr. John H. Watson“ überkommt einem aber schon recht früh das Gefühl, dass man es hier wohl mit einer „Sherlock Holmes vs. Jack the Ripper“-Geschichte der besseren Sorte zu tun bekommt. Schon nach wenigen Sätzen fühlt man sich durch die sprachlich sehr eleganten Ausführungen Dr. Watsons an die Originalromane Sir Arthur Conan Doyles erinnert, denn Faye kommt an den Stil des großen Vorbildes sehr nah heran und führt auch die Figur des Detektivs mit einigen seiner berüchtigten Deduktionen gekonnt und standesgemäß ein. Das Sherlock-Holmes-Feeling stellt sich somit gleich von der ersten Seite an ein und auch die düstere Atmosphäre des viktorianischen Londons und speziell des verruchten Stadtteils Whitechapel wird von der Autorin gelungen eingefangen.
Nah an den historischen Fakten und atmosphärisch stark
Lyndsay Faye setzt ihren Helden auch schon sehr früh auf den Mörder von Whitechapel an und beginnt ihre Geschichte nicht mit dem ersten der fünf bekannten Ripper-Morde, dem an der Prostituierten Mary Ann Nichols, sondern schon mit dem Mord an Martha Tabram, deren gewaltsamer Tod aufgrund der Brutalität des Verbrechens ebenfalls häufig dem Serienmörder zugeschrieben wird. Als Leser ist man somit von Beginn an in die Ripper-Ermittlungen involviert und kann sozusagen am eigenen Leib erfahren, wie der Fall in Windeseile eskaliert und auch die Stimmung in der Bevölkerung in Angst und Fassungslosigkeit umschlägt – und die Situation wird mit jedem Mord schlimmer. Der Autorin ist es hier zugute zu halten, das sie trotz der bekannten Grausamkeit der Taten nie einen Hang zum Reißerischen erkennen lässt, sondern die Verbrechen des Rippers zwar spannend in Szene setzt, dabei aber nie übertreibt und die Morde in haltloses Blutvergießen ausarten lässt – eine solche Splatterorgie würde auch nicht zum Stil einer Sherlock-Holmes-Erzählung passen, hier erwartet man schließlich in erster Linie aufmerksame Beobachtungen und intelligente Schlussfolgungen.
Gut recherchiert und spannend erzählt
Packend ist auch, dass Faye den Meisterdetektiv nicht nur angesichts des kniffligen Falls an seine ermittlerischen Grenzen treibt, sondern ihn auch selbst zur Zielscheibe macht und die Herausforderung für Holmes, seinen gewohnt treuen Partner Dr. Watson und die als angenehmer Sidekick sehr sympathisch und aufgeweckt auftretende Mary Ann Monk – selbst eine der „Unfortunates“ von Whitechapel und somit auch dem Opferprofil des Rippers entsprechend – noch einmal deutlich verschärft. Insgesamt ist „Dust and Shadow“ somit wirklich eine sehr gelungene literarische Auseinandersetzung mit den Ripper-Morden, die sich unaufgeregt und mit hoher Authentizität mit den Serienmorden beschäftigt und auf Faktentreue und gute Recherche statt reißerischer Spannung setzt. Dem ein oder anderen mag dies vielleicht ein wenig unspektakulär vorkommen, Lyndsay Faye bleibt ihrem Stil aber konsequent treu und legt gerade deshalb mit ihrer Holmes-Hommage ein beachtliches Debüt hin.
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8/10