Broken dolls_Rezi

Das Leben von Jefferson Winter ist seit jeher von Gewalt und Verbrechen geprägt, denn sein Vater war einer der berüchtigtesten Serienmörder in der Geschichte Amerikas. Statt den letzten Worten seines Vaters vor dessen Hinrichtung aber zu folgen und dem grausamen Killer nachzueifern, hat Winter sein Leben seither der Verfolgung solcher Monster gewidmet. Nach Jahren in Diensten des FBI hat sich Jefferson Winter vor geraumer Zeit als Profiler selbstständig gemacht und berät Ermittler weltweit in grausamen und komplizierten Mordfällen. Einer dieser Fälle verschlägt ihn nach London, wo er um Unterstützung in einer schockierenden Verbrechensserie gebeten wird: Vier Frauen wurden entführt, über Monate hinweg gefangen gehalten und dann bei vollem Bewusstsein einer grausamen Gehirn-OP unterzogen, welche die Opfer in seelenlose Wracks verwandelt hat. Erst dann lässt der Täter die Frauen frei, um diese hilflos ihrem Schicksal, einem unwürdigen Dasein als vor sich hin vegetierende Pflegefälle, zu überlassen. Alle Hoffnungen liegen nun auf Jefferson Winter, der den Londoner Ermittlern mit seiner langjährigen Erfahrung zur Ergreifung des Täters verhelfen und weiteren Frauen ein solches Martyrium ersparen soll…

Ein Profiler mit mörderischer Familiengeschichte

Das Thriller-Genre wird seit Jahren geradezu überflutet von immer verstörenderen Geschichten mit möglichst grausamen Verbrechen und skrupellosen Serienkillern, die sich in ihrer Brutalität immer wieder gegenseitig zu überbieten scheinen. Man muss sich schon etwas einfallen lassen, wenn man zwischen diesen wahren Massen an Thrillern mit seinem Werk nachhaltig im Gedächtnis der Leser bleiben möchte. Potenzial dazu bringt James Carols Roman „Broken Dolls“ auf jeden Fall mit, denn seine Ermittlerfigur Jefferson Winter kann mit einer ungewöhnlichen Hintergrundgeschichte aufwarten. Während andere Profiler ihr Wissen über Serienmörder nämlich überwiegend aus der Theorie und dem Studium zahlreicher Fallakten haben, hat Winter jahrelang mit einem im gleichen Haus gewohnt und am gleichen Tisch gesessen. Als Jefferson das Teenageralter erreicht hatte, stellte sich sein Vater nämlich als sadistischer Serienkiller heraus, der mehr als ein Dutzend Mädchen entführte und auf grausame Weise ermordete. Für Winters Karriere als Fallanalytiker ist dabei vor allem ein einschneidendes Erlebnis verantwortlich, nämlich als sein Vater ihm kurz vor seiner Hinrichtung durch die Giftspritze zuflüsterte, dass Jefferson genau wie er selbst sei – eine Behauptung, welche der Ermittler seit diesem Tag mit unermüdlichem Einsatz gegen den menschlichen Abschaum zu widerlegen versucht.

Flotter Thrillerplot mit den zu erwartenden Grausamkeiten

Bei einer derart geprägten Hauptfigur benötigt man natürlich auch einen entsprechend verstörenden Fall, an dem der Profiler gleich mal zeigen kann, was in ihm steckt. Auch hier lässt sich James Carol nicht lumpen, auch wenn man es in der Geschichte nicht mit den zu erwartenden grausigen Morden zu tun bekommt, denn der Täter in „Broken Dolls“ lässt seine Opfer nach langer Folter schlussendlich wieder laufen. Ob man dies aber als besonders gnädig betrachten kann, darf bei genauerem Hinsehen jedoch arg bezweifelt werden, denn mit dem Tode wären die Frauen vermutlich besser dran gewesen: Ihr Peiniger unterzieht seine Opfer nämlich einer Lobotomie, einem Eingriff, bei dem Teile des Gehirns unwiderruflich zerstört werden und die unfreiwilligen Patienten ihre Persönlichkeit und jegliches Empfinden verlieren – der Untertitel des Thrillers ist mit „Er tötet ihre Seelen“ folglich recht treffend gewählt. Und was sich in dieser vereinfachten Erklärung schon nicht besonders angenehm anhört, wird vom Autor dann auch noch in allen Einzelheiten beschrieben, sodass man als Leser schon eine gewisse Toleranz für entsprechende Grausamkeiten mitbringen sollte. Das alles wird dann auch noch eingebettet in eine flott erzählte Geschichte, sodass „Broken Dolls“ eigentlich alles mitbringt, um zu einem echten Top-Titel zu werden.

Zu perfekte Hauptfigur mit zu wenig Ecken und Kanten

Dass das aber nur bedingt klappt, liegt für mich vor allem an der nicht wirklich überzeugenden Hauptfigur, bei welcher der Autor das große Potenzial durch die ungewöhnliche Familiengeschichte des Ermittlers bestenfalls in Ansätzen ausschöpft. Dessen Schicksal als Sohn eines Serienkillers war für mich nämlich der Aspekt, der mich am meisten an diesem Buch gereizt hat. Überraschenderweise spielt dies dann aber fast keine Rolle in der Geschichte, denn bis auf einige wenige Rückblicke auf die Taten des Vaters und besagtes Erlebnis während der Hinrichtung bleibt das Thema nahezu vollständig unangetastet. Hier verpasst James Carol meiner Meinung nach eine Riesen-Gelegenheit, um seinen Protagonisten von anderen Ermittlerfiguren des Genres abzugrenzen. Stattdessen ist Jefferson Winter nahezu unerträglich perfekt geraten und langweilt mit seinen ständigen Belehrungen und dem Auf-die-Probe-stellen seiner weniger erfahrenen Kollegen. Jeder Hinweis wird innerhalb von Sekunden entdeckt und daraus die richtigen Schlüsse gezogen, was dann sogar darin gipfelt, dass Winter mal nebenbei einen komplizierten Doppelmord allein dadurch löst, indem er sich die E-Mail-Anfrage bezüglich einer möglichen Mithilfe in diesem Fall genau durchliest – da fragt man sich zwischendurch schon, warum das Buch überhaupt so lange geht und die Ermittlungen nicht schon nach wenigen Kapiteln abgeschlossen werden. Eine solche Perfektion ohne jeglichen Ecken und Kanten ist nicht nur ziemlich öde, sondern nervt mit jeder neuen Winter-Lektion immer mehr. Ähnlich unsinnig ist im Übrigen die gewählte Ich-Perspektive des Buches, da man so gut wie nichts über die Gedanken oder Gefühle der Hauptfigur erfährt.

Spannender, aber etwas mutloser und uninspirierter Reihenauftakt

Somit ist „Broken Dolls“ letztlich zwar ein solider und ohne jede Frage auch durchaus spannender Thriller, der allerdings keinerlei Alleinstellungsmerkmale aufweist und sich durch nichts von ähnlich angelegten Werken unterscheidet. Die Story ist zwar gut, der Schreibstil ebenfalls und auch das Erzähltempo stimmt, irgendwie hat man das alles aber schon mal so oder so ähnlichen in unzähligen anderen Thrillern gesehen. Als Debüt ist so ein auf bewährten Zutaten basierender Roman völlig in Ordnung, für die Fortsetzung seiner Reihe muss sich James Carol aber unbedingt was einfallen lassen, um sich in diesem Genre dauerhaft behaupten zu können – eine stärkere Fokussierung auf die Vater-Sohn-Beziehung der Hauptfigur könnte da ein Ansatz sein. An der Lesung des Hörbuches durch Dietmar Wunder gibt es hingegen nichts auszusetzen, dieser beweist nämlich wieder eindrucksvoll warum er genau der richtige Mann für derart reißerische Stoffe ist.

Vielen Dank an Der Audio Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!

Broken Dolls: Er tötet ihre Seelen
  • Autor:
  • Sprecher: Dietmar Wunder
  • Original Titel: Broken Dolls
  • Reihe: Jefferson Winter #1
  • Länge: 9 Std. 21 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Der Audio Verlag
  • Erscheinungsdatum: 21. Oktober 2014
  • Preis MP3-CD 19,99 €/Download 12,99 €
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
7/10
Fazit:
James Carol legt mit „Broken Dolls“ einen guten und spannend erzählten Debüt-Thriller hin, der sich jedoch zu sehr auf bewährte Genre-Zutaten verlässt und gerade in Bezug auf die zu perfekt geratene Hauptfigur echte Alleinstellungsmerkmale verpasst.

Kommentar verfassen:

3 Antworten zu diesem Beitrag

  • Ich hab ja deine Meinung zu BROKEN DOLLS schon mit Spannung erwartet. Obwohl das Buch bei mir etwas besser in der Gesamtwertung abgeschnitten hat, hab ich auch besonders die Ecken und Kanten vermisst. Der besondere Kick fehlt einfach, obwohl er ja da wäre in Form des familiären Hintergrunds der Hauptfigur.

    Da wäre noch mehr drin gewesen! So schade, da ich Jefferson Winter an sich sehr interessant finde. Liebe Grüße, Iris

    • Mich hat vor allem gewundert dass die Vater-Sohn-Geschichte so gut wie überhaupt keine Rolle gespielt hat. Aus dieser Konstellation hätte man meiner Meinung nach viel mehr herausholen können, vielleicht wäre es auch besser gewesen wenn der Vater noch gelebt hätte und dadurch in der Geschichte präsenter gewesen wäre…

      • Von der Vater-Sohn-Konstellation hatte ich mir auch mehr erhofft, zumal das in der Buchbeschreibung ja extra angesprochen wird.
        Stimmt, ich vermute auch, dass der Tod der Vaterfigur vielleicht nicht besonders schlau war. Da hätten sich für die anderen Bände noch ein paar feine Reibungspunkte ergeben können.

        Gerade diese Vater-Sohn-Konstellation war es auch, was ich an der Buchbeschreibung natürlich neben der Lobotomie am interessantesten fand. Finde ich schade, dass diese Ecke ausgerundet wurde.