Schmetterling im Sturm_Rezi

Als die Journalistin und leidenschaftliche Kampfsportlerin Farah Hafez ihre vom gemeinsamen Aufeinandertreffen arg gebeutelte Gegnerin im Krankenhaus besuchen will, bekommt sie in der Notaufnahme die Einlieferung eines schwer verletzten Jungen mit. Dieser wurde in einem Amsterdamer Waldstück angefahren und schwebt nach dem schweren Unfall in akuter Lebensgefahr – von dem verantwortlichen Autofahrer fehlt jede Spur. Als Farah sieht, in welcher Aufmachung der Junge in das Krankenhaus eingeliefert wurde, ist sie entsetzt: Das Unfallopfer wurde in traditionelle afghanische Mädchengewänder gekleidet – für die ebenfalls in Afghanistan geborene Reporterin ein eindeutiges Signal, dass der Junge für ein traditionelles landestypisches Ritual missbraucht wurde, bei dem junge Afghanen zur sexuellen Befriedigung älterer Warlords als Frau zurechtgemacht werden und ihren Peinigern zu Diensten sein müssen. Entsetzt über ihre Entdeckung verspricht Farah dem zwischen Leben und Tod schwebenden Jungen ihre Hilfe und wendet sich umgehend an ihren Chefredakteur, um diesem schockierenden Missbrauchsfall nachzugehen und die Verantwortlich dafür ausfindig zu machen…

Die niederländische Antwort auf Stieg Larsson?

„Schmetterling im Sturm“ ist der Debüt-Thriller des niederländischen Drehbuchautors und Produzenten Walter Goverde, das dieser unter seinem Pseudonym Walter Lucius veröffentlicht hat. Und dieser Roman kommt mit großen Vorschusslorbeeren, denn Lucius konnte mit seinem Buch nicht nur den holländischen Schaduwprijs 2013 für das beste Erstlingswerk eines einheimischen Kriminalschriftstellers abräumen, sondern wird von stellenweise bereits als „niederländische Antwort auf Stieg Larsson“ gefeiert. Und wer die ersten Kapitel des Buches hört, wird zumindest schon einmal auf eine Gemeinsamkeit stoßen, denn mit der afghanisch-stämmigen Journalistin Farah Hafez hat Lucius eine Figur geschaffen, die es in Sachen Persönlichkeit, Hartnäckigkeit und Schlagfertigkeit (im wahrsten Sinne des Wortes) zumindest mal vom Potenzial her mit Larssons Lisbeth Salander aufnehmen könnte. Fast schon erschreckend rücksichtslos prügelt Hafez nämlich gleich in ihren ersten Szenen im Rahmen eines asiatischen Kampfsport-Events ihre Gegnerin in die Notaufnahme – wo dann die Geschichte (zugegebenermaßen anfangs etwas arg auf Zufällen basierend) ihren Lauf nimmt.

Tragischer Verkehrsunfall oder groß angelegtes Missbrauchs-Drama?

Diese erscheint zunächst recht simpel: Ein Junge wurde im Wald angefahren und zum Sterben zurückgelassen, das Überleben des Opfers steht in den Sternen. Die besondere Brisanz des Falles wird aber nur Farah Hafez bewusst, die von der Kleidung des Jungen auf eine erschreckende Missbrauchs-Tradition schließt, deren schäbige Bräuche sie aufgrund ihrer Abstammung kennt – und weil die junge Frau vom Schicksal des Jungen so betroffen ist, räumt sie dem Fall ab sofort ihre volle private und berufliche Aufmerksamkeit ein. Die Journalistin ist aber nicht die einzige Hauptfigur in „Schmetterling im Sturm“, zugleich wird der Unfall auch aus der Sicht zweier Polizisten aufgerollt, die sich mit ihren krass unterschiedlichen Charaktere aber oft gegenseitig das Leben schwer machen. Wie auch Farah Hafez zählen die beiden sturen Ermittler vielleicht nicht unbedingt zu den großen Sympathieträgern, Walter Lucius hat seine Figuren aber mit einem komplexen Figurenhintergrund ausgestattet, sodass man zumindest die Beweggründe für ihr auf den ersten Blick nicht immer verständliches Handeln letztlich doch nachvollziehen kann.

Vielschichtig und sehr komplex – was leider auf Kosten der Spannung geht

Überhaupt legt der Autor großen Wert auf vielschichtige Charakterisierungen, detaillierte Beschreibungen und erläuterndes Hintergrundwissen – was zunächst wie ein großer Pluspunkt wirkt und die beeindruckende Recherche, die diesem Roman ganz offensichtlich zugrunde liegt, offenbart, entpuppt sich jedoch spätestens ab der Mitte des Buches als großer Knackpunkt, an dem sich vermutlich die Gemüter scheiden werden. Einerseits ist es toll, es mit derart greifbaren Charakteren zu tun zu bekommen und mit Informationen über hierzulande sicherlich nicht allzu gegenwärtige Themen wie die afghanische Kultur, Immigrationspolitik in unserem Nachbarland oder soziale und politische Brennpunkte in diesen Nationen versorgt zu werden, Walter Lucius verliert dabei allerdings die eigentliche Geschichte viel zu sehr aus dem Fokus. Es gibt unzählige Nebenstränge, der Lebenslauf jeder noch so unwichtigen Nebenfigur wird detailliert dargelegt und der Autor weitet seine Handlung nicht immer nachvollziehbar auf weit entlegene Schauplätze aus, die – wie sollte es anders sein – natürlich ebenfalls wieder ihre eigenen politischen und kulturellen Brandherde besitzen. In dieser extremen Komplexität verlieren die handelnden Figuren den eigentlichen Ausgangspunkt des Falls völlig aus den Augen und irgendwann erreicht man fast zwangsläufig den Punkt, an dem man das Auftauchen neuer Charaktere und ihre gegenseitigen Verwicklungen nur noch beiläufig zur Kenntnis nimmt, aber kaum noch mit Interesse verfolgt.

Ein ambitionierter, aber viel zu überfrachteter Debüt-Thriller

Walter Lucius scheitert mit „Schmetterling im Sturm“ also ein wenig an seinen eigenen Ambitionen, einen intelligenten und komplexen Politthriller abzuliefern. Die Grundbausteine für ein solches Werk bringt sein Erstling sicherlich auch mit, der Autor schafft es leider nur nicht daraus einen dauerhaft spannenden Plot zu basteln, der die Aufmerksamkeit seines Publikums bis zum Ende fesseln kann. Weniger Anlass zu Kritik liefert dagegen die insgesamt sehr gelungene und engagierte Hörbuch-Lesung von Frank Arnold, bei dem lediglich dessen oft sehr wehklagend klingenden Frauenstimmen auf die längere Distanz ein wenig anstrengend wirken. Zu beachten ist noch, dass „Schmetterling im Sturm“ den Auftakt zur sogenannten „Heartland“-Trilogie ist, allerdings funktioniert die Handlung des Buches meiner Meinung nach auch als eigenständige Geschichte und schließt die meisten Handlungsstränge zufriedenstellend ab. Ob ich mir die beiden weiteren Bände aber auch noch zu Gemüte führen werde, wage ich nach diesem letztlich doch sehr überladenen und dadurch häufig langatmigen Thriller eher zu bezweifeln.

Vielen Dank an Der Audio Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!

Schmetterling im Sturm
  • Autor:
  • Sprecher: Frank Arnold
  • Original Titel: De vlinder en de storm
  • Reihe: Heartland #1
  • Länge: 17 Std. 56 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Der Audio Verlag
  • Erscheinungsdatum: 22. September 2014
  • Preis MP3-CD 19,99 €/Download 13,95 €
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
6/10
Fazit:
Ambitionierter Politthriller, der mit vielschichtigen Charakteren und starker Recherche überzeugt, letztlich aber an seiner eigenen Komplexität scheitert und mit der überfrachteten Story zunehmend an Spannung verliert.

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