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Ein Lehrer bringt bei einem Amoklauf an seiner Schule vier Menschen um und tötet sich dann selbst. Was trieb den Mann zu dieser schrecklichen Tat?

Nur wenige Minuten haben ausgereicht, um das Leben unzähliger Menschen von einem Schlag auf den anderen zu zerstören. Samuel Szajkowski, ein junger Geschichtslehrer, ist während einer Schulveranstaltung in die Aula gestürmt und hat unmittelbar das Feuer auf die Anwesenden eröffnet. Nachdem er mit seiner Waffe drei Schüler und eine Lehrerin erschossen hat, richtete sich der Täter selbst. Während im ganzen Land immer noch unendliche Trauer und großes Entsetzen ob dieser unfassbaren Tat herrscht, wird die Polizistin Lucia May mit den Ermittlungen im Umfeld der Schule betraut. Eigentlich reine Formsache, denn ihr Vorgesetzter will den Fall möglichst schnell abschließen. Doch Lucia schaut genauer hin und will die wahren Gründe dafür finden, die einen jungen und zurückhaltenden Mann wie Szajkowski zu dem grausamen Verbrechen getrieben haben…

Was treibt einen jungen Lehrer zu einem blutigen Amoklauf?

Es ist kein einfaches Thema, dass sich der englische Autor Simon Lelic für seinen Debütroman „Ein toter Lehrer“ ausgesucht hat: Ein Amoklauf an einer Schule, der insgesamt fünf Menschenleben gefordert und viele weitere für immer verändert hat. Interessanterweise ist die Tat bereits längst vorbei, als die Handlung des Buches einsetzt und genau beschrieben wird der Amoklauf bis auf ein paar wenige Sätze zu Beginn auch nicht. Doch wo andere Geschichten aufhören, fängt Lelic gerade erst an, denn er lässt die Hauptfigur seines Romans, die Ermittlerin Lucia May, nach den Ursachen für die Tragödie forschen. Denn die Familien der Opfer und die Öffentlichkeit haben den Täter schnell als gewissenloses Monster abgestempelt, der seine Unzufriedenheit und Wut gegen unschuldige junge Menschen und eine Lehrerin gerichtet hat. Doch wie unschuldig sind die Opfer wirklich und kann es nicht auch sein, dass Samuel Szajkowski trotz seiner unverzeihlichen Tat nicht auch selbst ein wenig eine Opferrolle einnimmt?

Mitleid für einen kaltblütigen Mörder?

Neben der unkonventionellen und vermutlich auch etwas unpopulären Herangehensweise an die Thematik hebt sich Simon Lelic auch mit seiner Erzählweise deutlich von vergleichbaren Büchern ab. „Ein toter Lehrer“ hat nämlich keine Handlung im klassischen Sinne, sondern besteht zu einem Großteil aus Zeugenaussagen und Berichten, welche die Polizistin Lucia May im Rahmen ihrer Ermittlungen einholt. Diese werden vom Autor in Form ausführlicher Monologe geschildert und zeichnen durch die verschiedenen Gesprächspartner ein sehr differenziertes Bild über die Person des Samuel Szajkowski. Neben Lehrerkollegen und Schülern kommen zum Beispiel auch Angehörige der Opfer oder Samuels Ex-Freundin zu Wort und sowohl durch den Inhalt als auch die Art und Weise der Aussagen wird schnell klar, dass auch der junge Lehrer an der Schule keinen einfachen Stand hatte. Gnadenlose und beschämende Schülerstreiche und Mobbing im Kollegium mögen den Amoklauf Szajkowskis nicht entschuldigen, liefern aber eine nachvollziehbare und gleichermaßen erschütternde Erklärung der Tragödie. So sehr man sich auch dagegen wehren möchte, kommt man letztlich kaum umhin, Sympathie und Mitleid für einen Menschen zu empfinden, der vier Leben kaltblütig beendet hat.

Der Handlungsstrang um Lucia May dient hierbei zwar einerseits nur dazu, die Aussagen in einen Rahmen zu fassen, zeigt dabei aber auch einen weiteren Fall von Mobbing, der fast ebenso wütend macht wie der Fall Szajkowski. Denn auch Lucia muss sich bei ihrer Suche nach der Wahrheit einem großem Widerstand entgegensetzen, der das Maß professioneller Kritik bei weitem übersteigt und sie als auch Mensch persönlich angreift – und das nur, weil sie sich nicht der Ignoranz ihrer männlichen Kollegen anschließt und die Ermittlungen gewissenhaft und umfassend ausführen will.

Beeindruckendes Romandebüt mit ernster Thematik

Insgesamt ist Simon Lelic mit „Ein toter Lehrer“ ein wirklich beeindruckendes Debüt gelungen, das aufrüttelt, verstört, wütend macht und zum Nachdenken anregt – und viel mehr kann man von einem Krimi-Drama eigentlich nicht erwarten. Dass es dabei an einer richtigen Story fehlt, fällt kaum ins Gewicht, denn der Interview-Stil ist facettenreich und authentisch, ohne dabei zu irgendeinem Zeitpunkt langatmig zu werden. Besonders empfehlenswert ist meiner Meinung nach auch die Hörbuchversion des Romans, denn der Sprecher Jan Uplegger versteht es perfekt, die verschiedenen Standpunkte zum Ausdruck zu bringen und hat so eine sehr lebhafte Umsetzung des Buches geschaffen.

Fazit:
Aufwühlendes Krimi-Drama, das mit einer unkonventionellen Erzählweise und differenzierter Auseinandersetzung mit dem Thema Mobbing überzeugt (8/10).

Ein toter Lehrer
Autor: Simon Lelic; Sprecher: Jan Uplegger; Originaltitel: Rupture; Spieldauer: 09 Std. 14 Minuten (ungekürzt); Anbieter: Audible GmbH, Deutschland; Veröffentlicht: 26. Dezember 2013; Preis: 20,95 €.

Link zum Hörbuch

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3 Antworten zu diesem Beitrag

  • Das klingt ja echt gut. Wobei ich nicht das Gefühl hab, dass es noch eine besondere Herangehensweise ist, das Leben nach dem Amoklauf in einem Buch zu thematisieren. Müsste mir jetzt nochmal ein paar Inhaltsangaben durchlesen, aber gehts nicht in den meisten darum? Interessant find ich es aber trotzdem. Vielleicht besorg ich mir das sogar als Hörbuch, mal schauen ^^

    • Es geht ja auch eigentlich nicht um das Leben NACH dem Amoklauf, sondern viel mehr um das, was davor passiert ist. Wie Angehörige die Tragödie bewältigen ist hier echt nebensächlich, das Buch konzentriert sich fast völlig auf die Täterperspektive.

      Ich fand es auf jeden Fall echt interessant und auch mal was anderes als dieses ewige „Killerspiele sind schuld an Amokläufen“-Gerede.

      Die Hörbuchversion fand ich so gut, weil der Sprecher die Perspektiven wirklich gut rüberbringt und man teilweise dadurch richtig ’nen Hals auf die Schüler und Kollegen bekommt^^

      Vom gleichen Autor ist übrigens auch „Das Kind, das tötet“ sehr empfehlenswert 😉

Pings: