Tags: Anmesie, Arzt, Ehemann, Erinnerungen, Gedächtnis, Lügen, S.J. Watson, Schlaf, Tagebuch, Vertrauen
Genre: Drama, Krimi, Thriller
Autor: S.J. Watson
Umfang: 464 Seiten
Verlag: Scherz Verlag (Fischer Verlag)
Erscheinungsdatum: 23. August 2011
Klappentext:
Ohne Erinnerung sind wir nichts. Stell dir vor, du verlierst sie immer wieder, sobald du einschläfst. Dein Name, deine Identität, die Menschen, die du liebst – alles über Nacht ausradiert. Es gibt nur eine Person, der du vertraust. Aber erzählt sie dir die ganze Wahrheit?
Als Christine aufwacht, ist sie verstört: Das Schlafzimmer ist fremd, und neben ihr im Bett liegt ein unbekannter älterer Typ. Sie kann sich an nichts erinnern. Schockiert muss sie feststellen, dass sie nicht Anfang zwanzig ist, wie sie denkt – sondern 47, verheiratet und seit einem Unfall vor vielen Jahren in einer Amnesie gefangen. Jede Nacht vergisst sie alles, was gewesen ist. Sie ist völlig angewiesen auf ihren Mann Ben, der sich immer um sie gekümmert hat. Doch dann findet Christine ein Tagebuch. Es ist in ihrer Handschrift geschrieben – und was darin steht, ist mehr als beunruhigend. Was ist wirklich mit ihr passiert? Wem kann sie trauen, wenn sie sich nicht einmal auf sich selbst verlassen kann?
Zum Roman:
Als Christine Lucas die Augen aufschlägt, weiß sie nicht, wo sie sich befindet. Sie liegt im Bett, in einem fremden Schlafzimmer, mit einem fremden Mann. Hatte sie gerade ein One-Night-Stand nach einer wilden und feucht-fröhlichen Partynacht, sodass sie sich nicht mehr an die letzten Stunden erinnern kann? Der Kerl neben ihr muss mindestens zwanzig Jahre älter als sie sein, und noch dazu hat er einen Ehering am Finger. Benommen torkelt Christine ins Bad und wirft einen Blick in den Spiegel, der sie jedoch zutiefst schockiert. Sie sieht nicht die Frau Anfang zwanzig, an die sie sich erinnert, sondern eine 47-Jährige, die ihr aber dennoch ähnlich sieht. Am Spiegel hängen mehrere Zettel, auf denen sie mit dem Mann aus dem Schlafzimmer zu sehen ist. Unter dem Foto steht der Name „Ben“ und die Beschreibung „Dein Mann“.
Fassungslos stellt sie Ben daraufhin zur Rede und will wissen, was genau eigentlich da vor sich geht. Dieser erklärt ihr seelenruhig, dass sie vor 18 Jahren einen schlimmen Unfall hatte. Durch die erlittenen Kopfverletzungen falle es Christine schwer, sich an Dinge zu erinnern. Genaugenommen vergisst sie jede Nacht alles, was sie zuvor gelernt hat und wacht jeden Morgen ohne Erinnerungen auf. Jeden Tag lernt sie aufs Neue ihren Mann kennen, erfährt von ihrem Unfall und muss jedes Mal den gleichen Schock verdauen.
Als Ben zur Arbeit geht, ruft ein Dr. Nash bei Christine an, der behauptet, mit ihr gemeinsam an ihrer Amnesie zu arbeiten. Als sie sich daraufhin mit dem Arzt trifft, übergibt dieser ihr ein Tagebuch, welches sie in den letzten zwei Wochen geführt hat. Dr. Nash hatte die Hoffnung, dass ihr das Aufschreiben ihrer Erlebnisse dabei hilft, die verlorengegangenen Erinnerungen nach und nach wieder zutage zu fördern. Der Doktor erzählt ihr überdies, dass ihre Treffen hinter dem Rücken ihres Mannes stattfinden, da dieser seiner Frau keine weiteren Behandlungen mehr zumuten wollte. Als Christine dann das Tagebuch aufschlägt, stehen auf der ersten Seite unter ihrem Namen drei beunruhigende Worte: VERTRAUE BEN NICHT. Sie beginnt zu lesen…
Fortan liest der Leser praktisch parallel zu Christine in ihrem Tagebuch und befindet sich damit auf dem selben Wissensstand wie die Amnesie-Patientin. Nach und nach erfährt man dadurch mehr über ihre Vergangenheit und ihre Zusammenarbeit mit Dr. Nash. Christine schreibt alles Erlebte auf, muss dies jedoch heimlich erledigen, damit ihr Mann nichts von ihrer Behandlung erfährt. Außerdem bringt sie Ben nach den drei Einstiegsworten nur geringes Vertrauen entgegen, auch wenn dieser sich sehr liebevoll um sie kümmert. Jeden Morgen erklärt er ihr mit einer Engelsgeduld, wer sie ist und warum sie sich an nichts erinnern kann. Doch je mehr Christine erfährt, desto beunruhigter ist sie. Warum verschweigt ihr Mann ihr wichtige Momente ihres Lebens, wie z.B. die Geburt ihres Sohnes? Und warum gibt es kaum Fotos aus ihrer Vergangenheit? Sagt Ben ihr nicht die Wahrheit, um sie vor Schlimmerem zu beschützen, oder hat er selbst ein dunkles Geheimnis?
Das Konzept dieses Buches ist sehr ungewöhnlich und damit anfangs auch sehr interessant. Jeden Tag werden alle Erinnerungen wieder neu auf Null gestellt, nur mithilfe des Tagebuches kann sich Christine auf den aktuellen Stand bringen und kommt so der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit langsam näher. Doch mit dieser Idee sind natürlich auch zwangsläufig viele Wiederholungen verbunden. Jeden Morgen gibt es das gleiche Prozedere und die Gespräche zwischen Ben und Christine drehen sich oft um die gleichen Themen. Zwar bemüht sich der Autor, diese Wiederholung klein zu halten, doch vermeiden lässt es sich nicht, dass das ständige Repetieren auf Dauer etwas anstrengend und ermüdend ist. Zudem schreitet die Handlung nur sehr langsam voran, da Christine meist mehrere Stunden am Tag damit verbringt, entweder ihr Tagebuch zu lesen oder aber neue Erlebnisse einzutragen.
Trotzdem schafft es S.J. Watson aber, dass man als Leser das Buch nur ungern aus der Hand legt. Gerade die Beziehung zwischen Christine und Ben schafft ein großes Spannungspotenzial. Zwar verhält sich Ben wie ein absoluter Vorzeige-Ehemann und kümmert sich liebevoll um seine Frau, doch dann gibt es immer wieder Momente, in denen Christine ihn beim Lügen ertappt. Gemeinsam mit der Protagonistin rätselt man, was es mit diesem Mann auf sich hat und was der Grund für Christines rätselhaften Eintrag auf der Einstiegsseite ihres Tagebuches war. Mit jeder Ungereimtheit in Bens Schilderungen wächst das Misstrauen, doch gerade wenn man denkt, jetzt kommt das Geheimnis ans Licht, wird man wieder erneut auf die Folter gespannt. Zudem weiß man nie, ob Christine ihren Erinnerungsfetzen Glauben schenken darf, oder ob sie nur ein Produkt ihrer Fantasie sind. Leidet sie womöglich sogar unter Wahnvorstellungn, sodass sie sich selbst nicht mehr trauen kann?
Ein Plusplunkt ist zudem der überschaubare Figurenkreis. Eigentlich gibt es über weite Strecken nur drei Personen: Christine, Ben und Dr. Nash. So entwickelt sich ein packendes Kammerspiel in dieser Dreieckskonstellation. Dabei ist die Bezeichnung „Thriller“ für einen Großteil des Romans eher unpassend. Vielmehr handelt es sich hier um ein Familiendrama, um die Geschichte einer ungewöhnlichen Ehe mit ihren Höhen und Tiefen. Erst im letzten Drittel geht es mehr in Richtung Thriller und die Spannungsschraube zieht noch einmal ordentlich an. Zwar ist die Auflösung alles andere als unvorhersehbar, aber dennoch faszinierend. Allerdings erschienen mir während des gesamten Romans immer wieder einige Details nicht ganz plausibel, was aber zur Konstruktion der Geschichte vermutlich notwendig war. So ist mir bis jetzt unbegreiflich, wie die Protagonistin nicht einmal auf die Idee kommt, eine Nacht „durchzumachen“, um ihr Gedächtnis nicht wieder verlieren zu müssen. Jeden Abend geht sie mit vollem Bewusstsein ins Bett, am nächsten Morgen wieder absolut unwissend aufzuwachen. Hier wäre es doch naheliegend gewesen, wie es der Buchtitel schon sagt, auf Schlaf zu verzichten.
Mein Fazit:
„Ich.darf.nicht.schlafen“ bietet eine interessante Grundidee und ein erfrischendes Konzept, das ansatzweise an den Film „Memento“ von Christopher Nolan erinnert. Allerdings muss der Leser (wie auch die Hauptfigur) viel Geduld mitbringen, da sich durch die Ausgangssituation gezwungenermaßen einige Wiederholungen ergeben. Das Buch fesselt jedoch mit einer spannenden Figurenkonstellation, in der man keinem so richtig über den Weg trauen kann. Die daraus resultierende Dramatik rettet die Geschichte über die ein oder andere etwas zähe Passage hinweg. Zum Ende hin fällt es sogar schwer, den Roman wieder aus der Hand zu legen. Zwar ist das Zitat von Tess Gerritsen, mit welchem „Ich.darf.nicht.schlafen“ beworben wird („Schlicht und einfach der beste erste Thriller, den ich jemals gelesen habe“), viel zu hoch gegriffen, doch für ein paar unterhaltsame Stunden taugt das Buch allemal. Hat man es dann fertig gelesen, kann man sich schon mal auf den kommenden Film freuen, denn in Hollywood wird bereits an einer Umsetzung der Romanvorlage gearbeitet. Noch ein letzter Kommentar zur Gestaltung des Buches: Wer auf die Idee gekommen ist, das gesamte Tagebuch der Hauptfigur in fetter Schrift zu drucken, gehört geteert und gefedert – das liest sich nämlich sehr unangenehm und ist völlig unnötig (zumindest ist das in der von mir gelesenen E-Book-Fassung der Fall).
Meine Wertung: 7/10
Informationen:
„Ich.darf.nicht.schlafen.“ von S.J. Watson ist im Scherz Verlag erschienen und hat einen Umfang von 464 Seiten. Das Buch ist für 14,95 € als Taschenbuch erhältlich. Der Buchtrailer ist unten eingebettet, weitere Infos gibt es auf der Verlags-Homepage.