Tags: btb Verlag, Olivia Rönning, Rassismus, Schweden, Stockholm, Tom Stilton
Genre: Krimi
Es gibt Buchreihen – gerade im Krimi- und Thriller-Genre mit den vielen Endlos-Serien –, die brauchen eine kleine Anlaufphase, um ein Alleinstellungsmerkmal zu finden und sich auf dem Markt zu etablieren, und die Reihe um die junge schwedische Polizistin Olivia Rönning und den erfahrenen Ex-Kommissar Tom Stilton aus der Feder des Autoren-Ehepaares Cilla und Rolf Börjlind scheint in diese Kategorie zu fallen. So ließen sich deren ersten beiden Kriminalromane „Die Springflut“ und „Die dritte Stimme“ zwar recht locker lesen und boten durchaus Kurzweil, beide Bücher krankten aber vor allem an der (zu) hohen Anzahl an Charakteren. Die Krimireihe der Börjlinds als „Rönning/Stilton“-Serie zu bezeichnen, würde die Bücher nämlich streng genommen eher ungenau beschreiben, war es in den ersten beiden Bänden doch gleich eine ganze Handvoll an Figuren, welche bei den damaligen Ermittlungen die Zügel in der Hand hatten.
Der dritte Fall für Olivia Rönning, Tom Stilton und Mette Olsäter
In „Die Strömung“, dem dritten Band der Reihe, ist dies jedoch – zum Glück – ein wenig anders: Olivia Rönning und Tom Stilton sind nun endlich erkennbar die beiden herausstechenden Protagonisten der Handlung, wenngleich auch Olivias Mentorin und Stiltons Ex-Kollegin Mette Olsäter wieder in der Ermittlung mitmischen darf. Da sich diese Charaktere jedoch mittlerweile etabliert haben und die Leserschaft in den ersten beiden Büchern bereits ausführlich über deren persönliche Hintergründe (Olivia als Opfer eines alten Kriminalfalls mit tragischer Familiengeschichte, Tom als bis in die Obdachlosigkeit abgestürzter ehemaliger Spitzen-Kommissar) aufgeklärt wurden, können sich die Autoren nun verstärkt auf die Krimi-Handlung selbst konzentrieren.
Kaltblütiger Mord an einem kleinen Mädchen
Diese beginnt mit einem kleinen Rückblick auf einen ungelösten Mordfall der Vergangenheit, verlagert sich nach diesem kurzen Prolog aber schnell in die Gegenwart, wo ein unbekannter Täter eine kurze Unaufmerksamkeit der Aufsicht führenden Großmutter nutzt, um ein dreijähriges Mädchen im eigenen Sandkasten zu ermorden – als die Oma des Kindes nach einem Telefonat in den Garten zurückkehrt, liegt ihre Enkelin schon mit gebrochenem Genick in den Armen ihres im gleichen Moment zurückgekehrten Vaters. Olivia Rönning, die im sonst so beschaulichen Schonen einen neuen Anlauf auf ihre bisher eher turbulent verlaufene Polizeikarriere nimmt, ist von der Kaltblütigkeit des Täters geschockt und setzt alles daran, den Mörder der kleinen Emelie zu fassen – schnell wird jedoch deutlich, das hinter dem Verbrechen viel mehr steckt als die zufällige Tat eines Gelegenheitstäters.
Brisantes und erschreckend authentisches Thema
Brauchten die ersten beiden Bände des Ehepaares Börjlind noch eine etwas längere Anlaufphase, so beginnt „Die Strömung“ durch dieses grausame Verbrechen umgehend mit einem wachrüttelnden Schockeffekt, welcher die Leser direkt zu Beginn in die Geschichte hineinzieht. Zudem beweisen beide Autoren ein gutes Gespür für den Zeitgeist und setzen mit der clever gewählten und gut umgesetzten Rassismus-Thematik ein weiteres frühes Ausrufezeichen. Gerade in einer Zeit, in der rechte Bewegungen immer mehr Zulauf erhalten und dadurch immer mehr Einfluss in der Gesellschaft und Politik gewinnen, wirkt das von den Börjlinds gezeichnete Szenario leider erschreckend realistisch. Ob rechtsradikale Extremisten, die sich in der Anonymität des Internets zu brutalen Gewalttaten verabreden oder Polizisten, die sich im ausländerfeindlichen Milieu bewegen – der Rassismus in „Die Strömung“ hat viele hässliche Gesichter und sorgt häufig für ein sehr mulmiges Gefühl in der Magengegend.
Weniger Charaktere…
Der dritte Fall für Olivia Rönning und Tom Stilton hat aber noch mehr zu bieten als nur ein authentisches Setting, denn die Story erweist sich erneut als gut durchdacht und spannend konstruiert. Wie schon in den Vorgängern gibt es dabei zwar vielleicht die ein oder andere Verbindung zu viel, um hundertprozentig glaubwürdig zu sein, trotzdem gelingt es den Autoren in diesem dritten Band viel besser, die einzelnen Handlungsstränge zusammenzuführen und dadurch das Spannungsniveau durchgängig hochzuhalten.
… mehr Kriminalfall
Ein großer Vorteil dabei ist die entschlackte Charakterbesetzung des Falls, denn die Börjlinds geben gleich drei Figuren der Vorgängerbände eine Auszeit und schicken diese in den Urlaub, sodass es letztlich weniger Ablenkung vom Kriminalfall gibt und die Leser nicht unter den vielen privaten Schicksalen erdrückt werden. Diese Reduzierung der handelnden Figuren tut der Handlung spürbar gut, auch wenn Fans der Reihe vielleicht den geheimnisvollen Messerwerfer Abbas el Fassi ein wenig vermissen werden, der diesmal nur einen kleinen Gastauftritt hat. Es empfiehlt sich dennoch, nicht unbedingt mit diesem dritten Band in die Reihe einzusteigen, da gerade in Bezug auf die Hauptfiguren gewisse Vorkenntnisse erforderlich sind, um die durchaus komplexen Charakterverbindungen und -hintergründe verstehen zu können – auch wenn diese nicht fallrelevant sind.
Der bisher stärkste und spannendste Band der Reihe
Insgesamt ist „Die Strömung“ spürbar ein Schritt in die richtige Richtung und gerade der stärkere Fokus auf den Kriminalfall statt die persönlichen Schicksale der Protagonisten sorgt dafür, dass dieser dritte Band eindeutig der bisher stärkste der Reihe ist. Aus den vielen Charakteren kristallisieren sich endlich drei (interessante und sympathische) Hauptfiguren heraus, sodass diese immer noch genug Zeit haben, sich weiterzuentwickeln und weiter an Profil zu gewinnen – gerade Olivia beweist diesmal mit ihrem furchtlosen Einsatz gegen Rassismus Mut und Charakter. Bis zum ganz großen Nervenkitzel fehlt zwar noch ein wenig, dennoch ist „Die Strömung“ ein sehr gelungener Schwedenkrimi und macht Lust auf weitere Fälle mit Olivia Rönning, Tom Stilton und Mette Olsäter.
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Charaktere: | |
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Atmosphäre: |
8/10