Buchcover von „Der letzte Mord am Ende der Welt“ von Stuart Turton vor einem strukturierten Farbverlauf-Hintergrund in Blau, Gelb und Orange. Links ist das Cover mit einem Leuchtturm und surrealer Landschaft zu sehen, rechts der Titel und Autor groß in weißer Schrift sowie „Tropen | 2025“ darunter. Ein angedeuteter Leuchtturm im Hintergrund ergänzt das atmosphärische Design.

Der Engländer Stuart Turton hat sich mit seinen ersten beiden Romanen bereits einen Namen als Schöpfer unkonventioneller Kriminalgeschichten gemacht. Mit „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ und „Der Tod und das dunkle Meer“ zeigte der Autor, dass er sich nicht von klassischen Krimistrukturen limitieren lässt, sondern diese auf mitunter sehr originelle Weise auch mit Elementen anderer Genres zu kombinieren weiß. „Der letzte Mord am Ende der Welt“ führt diesen Ansatz nun konsequent weiter – und das diesmal mit einer dystopischen Note, aber einem gewohnt raffiniert konstruiertem Setting: In einer postapokalyptischen Zukunft, in der ein tödlicher Nebel die Erde überzogen hat, existiert nur noch eine einzige, isolierte Inselgemeinschaft. Diese lebt unter der Obhut von drei Wissenschaftler:innen, die das Überleben durch ein Schutzsystem sichern. Als eine der drei Führungspersönlichkeiten ermordet wird, droht das fragile Gleichgewicht jedoch zu kippen – und mit ihm das Schicksal der letzten Menschen.

Zwischen Weltuntergang und Whodunit

Turtons Stärke liegt auch hier einmal mehr im Aufbau seines Settings. Die abgeschiedene Insel mit ihrem Mikrokosmos aus 122 Personen und ihren postapokalyptischen Begebenheiten erinnert nicht nur atmosphärisch, sondern auch strukturell zuweilen an die TV-Serie „Lost“ – inklusive düsterer Geheimnisse, rätselhafter Phänomene und einer allgegenwärtigen Bedrohung. Der nahende Zusammenbruch der Schutzsysteme und der damit verbundene Zeitdruck erzeugen eine beklemmende Spannung, die sich über weite Strecken des Romans hält. Besonders gelungen ist dabei auch diesmal der Mix aus verschiedenen Genres: Krimi, Thriller, Dystopie und Science-Fiction verschmelzen hier zu einem unkonventionellen und ganz eigenen Leseerlebnis, welches gerade in der ersten Hälfte des Buches zu faszinieren weiß.

Erzählstruktur mit Ecken und Kanten

Turton wählt hier eine zudem eine ungewöhnliche Erzählweise: Die Geschichte wird überwiegend aus der Perspektive der künstlichen Intelligenz Abi erzählt, die das Schutzsystem der Insel kontrolliert. Als omnipräsente Ich-Erzählerin liefert sie Zugang zu Gedanken, Erinnerungen und Bewegungen der Inselbewohner und ist diesen vom Wissensstand immer voraus, jedoch eigenen Beschränkungen unterlegen. Was auf dem Papier spannend klingt, sorgt beim Lesen aber gelegentlich für Verwirrung: Die ständigen Perspektivwechsel zwischen der allwissenden Entität und den übrigen Charakteren erschweren die Orientierung und lassen die Handlung mitunter sprunghaft wirken. Dennoch ist das Konzept grundsätzlich interessant und regt zum Nachdenken an, da der Autor dadurch auch eine gewisse Gesellschaftskritik in die Handlung einfließen lässt.

Figuren und Krimiplot mit Luft nach oben

So innovativ das Setting ist, so klassisch beginnt der Krimiplot – doch leider entfaltet er nicht immer die gewünschte Wirkung. Die Ermittlungen wirken teils konstruiert, einige Indizien und Entwicklungen erscheinen eher willkürlich und auch die Auflösung stellt nicht wirklich umfassend zufrieden. Die Figurenzeichnung kann ebenfalls nicht durchgehend überzeugen: Viele Charaktere erscheinen (auch etwas dem Konzept geschuldet) austauschbar und es fällt schwer, sie klar auseinanderzuhalten. Zudem verheddert sich Turton wie bereits bei „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ mitunter ein wenig in seinem komplexen Plotgeflecht. Hinzu kommt, dass viele Geheimnisse der Insel und ihrer Vergangenheit nur angerissen werden – hier hätte man sich gerne noch mehr Hintergrundgeschichte gewünscht.

Anspruchsvoll, ideenreich, aber nicht ganz rund

„Der letzte Mord am Ende der Welt“ ist ein ambitionierter Roman, der sich mutig zwischen die Genre-Stühle setzt. Stuart Turton bleibt seinem Stil treu und liefert ein weiteres Werk, das sich durch kluge Ideen, ein packendes Setting und erzählerische Originalität auszeichnet. Gleichzeitig wiederholt er dabei aber auch einige Schwächen seiner früheren Bücher: Der überkonstruierte Plot, die teils verwirrende Struktur und blasse Figuren verhindern, dass das Buch sein volles Potenzial entfaltet. Wer jedoch bereit ist, sich auf eine ungewöhnliche Lektüre einzulassen, wird mit einer atmosphärischen und kreativen Geschichte belohnt, die im besten Fall noch etwas nachhallt – eine willkommene Abwechslung im oft etwas generischen Krimi-Genre.

Der letzte Mord am Ende der Welt – Stuart Turton
  • Autor:
  • Original Titel: The Last Murder at the End of the World
  • Umfang: 464 Seiten
  • Verlag: Tropen
  • Erscheinungsdatum: 15. Februar 2025
  • Preis Geb. Ausgabe 25,00 €/eBook 19,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
7/10
Fazit:
Ein origineller und genreübergreifender Inselthriller mit starker Atmosphäre, der inhaltlich und erzählerisch aber nicht immer überzeugt.

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