Es gibt ja immer wieder das Vorurteil gegenüber Psycholog:innen, dass diese selbst eigentlich ihre größten Patient:innen seien und einen großen Eigenbedarf an Therapie nötig hätten – und im Fall von Dr. Chloe Davis ist dieses Stigma sicherlich nicht völlig aus der Luft gegriffen. Mit 32 Jahren führt die junge Frau dabei von außen betrachtet ein erfolgreiches und erfülltes Leben: sie ist promovierte Psychologin, hat sich eine eigene Praxis aufgebaut und steht wenige Wochen vor der Hochzeit mit dem Mann ihrer Träume. Doch hinter der perfekten Oberfläche schleppt Chloe seit zwei Jahrzehnten ein schlimmes Trauma mit sich, von dem nur ihre engsten Vertrauten wissen.

Die Tochter des Serienkillers

Im Alter von 12 Jahren musste Chloe nämlich damals miterleben, wie in ihrem Heimatort – der Kleinstadt Breaux Bridge in Louisiana – sechs junge Mädchen spurlos verschwanden, darunter auch eine ihrer Freundinnen. Als Chloe später die Schmuckstücke der vermissten Teenagerinnen versteckt im Schlafzimmerschrank ihrer Eltern fand, stellte sich heraus dass ausgerechnet ihr Vater die vermissten Mädchen entführt, getötet und die Leichen anschließend vergraben hatte. Den Schock darüber, dass ihr eigener Vater ein Serienmörder ist, hat Chloe bis zum heutigen Tag nicht vollständig verarbeiten können – und als auch in ihrem jetzigen Wohnort Baton Rouge plötzlich eine Jugendliche verschwindet, drängt die traumatische Vergangenheit mit voller Wucht zurück in Chloes Leben…

Der Trittbrettfahrer und andere alte Bekannte

An Stacy Willinghams Debütroman „Das siebte Mädchen“ ist streng genommen wenig originell: Hauptfigur Chloe Davis ist auf gewisse Weise eine dieser typischen Thriller-Protagonistinnen, die nach außen ein perfektes Leben führen, hinter der Fassade aber ein Trauma verbergen – ein Trauma, dass durch einen bestimmten Auslöser wieder aufbricht. Dazu passt dann auch, dass die Psychologin sich heimlich selbst auf den Namen ihres Verlobten verschreibungspflichtige Medikamente ausstellt und durch den Missbrauch der starken Beruhigungsmittel praktischerweise auch noch zu einer unzuverlässigen Erzählerin wird, deren Wahrnehmungen man beim Lesen dieses Buches zumindest kritisch hinterfragen muss. Und auch die Nummer mit dem potenziellen Trittbrettfahrer, der die Taten eines bereits verurteilten Serienkillers wieder aufleben lässt, kennen Thriller-Fans gefühlt bereits in- und auswendig – inklusive der sich daraus ergebenden Fragestellungen wie „Ist der wahre Täter vielleicht noch irgendwo da draußen?“.

Nicht unbedingt originell, aber spannend erzählt

Trotz der bekannten Zutaten erzeugt „Das siebte Mädchen“ jedoch ab der ersten Seite eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Die Protagonistin ist zwar an sich irgendwie austauschbar, lässt einen aber dennoch mitfiebern und wird vor allem durch die Tatsache interessant, dass sie eben die Tochter eines Serienmörders ist. Und während männliche Thrillerfiguren mit ähnlichem Schicksal meist Gefahr laufen, dem mörderischen Erzeuger nachzueifern, ist die durch Rückblenden dargestellte Perspektive des jungen Mädchens, welches die Enttarnung ihres liebevollen Vaters als kaltblütigen Mörder ihrer Mitschülerinnen miterleben muss, zugleich faszinierend, schockierend und bedrückend.

Ein fesselndes und clever konstruiertes Thriller-Debüt

Die Geschichte wird dabei insgesamt eher ruhig erzählt, sorgt aber immer wieder mit interessanten Wendungen für Spannung, auch wenn nicht alle davon überraschend kommen. Der Schauplatz Louisiana – mit seinen tiefen und undurchdringlichen Sümpfen der perfekte Ort, um Leichen für immer verschwinden zu lassen – trägt ebenfalls zur düsteren und bedrohlichen Atmosphäre dieses Romans bei und verleiht dem clever inszenierten Konstrukt einen passenden Rahmen. Bei der Auflösung des Plots überschlägt sich die Autorin zwar ein wenig und liefert mindestens einen Twist zu viel, trotzdem ist „Das siebte Mädchen“ fesselnd bis zur letzten Seite und beweist echte Pageturner-Qualitäten. Kein besonders originelles, aber ein sehr unterhaltsames und packendes Romandebüt!

Das siebte Mädchen – Stacy Willingham
  • Autor:
  • Original Titel: A Flicker in the Dark
  • Umfang: 416 Seiten
  • Verlag: Rowohlt
  • Erscheinungsdatum: 1. August 2022
  • Preis Taschenbuch 13,00 €/eBook 4,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
8/10
Fazit:
Mit „Das siebte Mädchen“ liefert Stacy Willingham einen spannenden Debütroman ab, der sich zwar einiger bekannter Thriller-Klischees bedient, diese aber gekonnt zu einer fesselnden und atmosphärisch inszenierten Geschichte kombiniert.

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