Der Rechtsanwalt und Bestsellerautor John Grisham hat seit seinem schriftstellerischen Erstlingswerk 1989 („Die Jury“) zwar inzwischen schon mehrere Dutzend (meist sehr erfolgreiche) Bücher geschrieben, Fortsetzungsromane zählen allerdings bis auf wenige Ausnahme nicht gerade zu den Markenzeichen des Amerikaners. Vor diesem Hintergrund überrascht es ein wenig, dass ausgerechnet ein für ihn eher untypisches Buch einen Nachfolger erhält, denn „Das Manuskript“ ist die Fortsetzung von „Das Original“ – einer Geschichte, die nichts mit den von Grisham in Realität und Fiktion sonst so häufig besuchten Gerichtssälen zu tun hatte und stattdessen einen fast schon gemütlichen literarischen Krimi auf einer paradiesischen Insel bot.

Rückkehr nach Camino Island

Und auf eben jene Insel, das idyllische Camino Island vor der Küste Floridas, verschlägt es den Autor und seine Leser:innen hier ein weiteres Mal und führt dabei auch zu einem Wiedersehen mit alten Bekannten – jedoch unter etwas anderen Voraussetzungen. Spielte im Vorgänger noch die damals mäßig erfolgreiche Schriftstellerin Mercer Mann die Hauptrolle als „Undercover-Agentin“ auf der Suche nach gestohlenen Manuskripten von F. Scott Fitzgerald, so rückt in der Fortsetzung Mercers früherer Widersacher Bruce Cable in den Mittelpunkt. Das klingt zunächst nach einer Geschichte aus der Schurkenperspektive, doch der wohlhabende, charmante und mit allen Wassern gewaschene Buchhändler war schon damals trotz seiner lukrativen Nebeneinkünfte durch den Handel mit literarischen Raritäten fragwürdiger Herkunft alles andere als der typische Antagonist. Auf Mercer Mann müssen Fans von „Das Original“ jedoch nicht komplett verzichten, allerdings nimmt die mittlerweile sehr erfolgreiche Autorin diesmal nur eine eher kleine Nebenrolle ein.

Mord und Zerstörung im Paradies

Der große Star des ersten Bandes war aber ohnehin keiner der menschlichen Charaktere, sondern das traumhafte Setting der Geschichte. Da ist es nun ein richtiggehender Schock, dass Camino Island, der Rückzugsort wohlhabender Buchliebhaber und (Möchtegern-)Autoren, direkt zu Beginn des Buches von einem Hurrikan getroffen wird und weite Teile der Insel verheerenden Zerstörungen zum Opfer fallen. Zudem kostet der katastrophale Sturm elf Menschenleben, darunter das von Nelson Kerr, seines Zeichens ebenfalls ein recht erfolgreicher Buchautor und Mitglied von Bruce Cables elitärem gesellschaftlichen Zirkel. Doch der Inhaber von „Bay Books“, seine studentische Aushilfe Nick Sutton und der befreundete Schriftsteller Bob Cobb stoßen auf Hinweise, die große Zweifel an der Theorie der Polizei aufwerfen, Nelson sei durch herumfliegende Äste tödlich getroffen worden – stattdessen deutet vieles auf einen kaltblütigen Mord hin, der unter dem Schutz des wütenden Hurrikans vertuscht werden sollte…

Drei Buchliebhaber und Möchtegern-Meisterdetektive auf Mörderjagd

Auch beim zweiten Ausflug nach Camino Island bleibt John Grisham dem Schauplatz seiner Geschichte treu und macht aus dem ungewöhnlichen Todesfall nicht plötzlich doch wieder einen seiner Gerichtsthriller. Stattdessen lässt der Autor auch diesmal wieder eine Gruppe von Bibliophilen auf den rätselhaften Fall los und schägt dabei erneut ein eher gemütliches Tempo an. Man muss kein kriminalistisches Genie sein, um am Ball zu bleiben, sondern darf ohne große Vorkenntnisse munter drauf los rätseln – wie z.B. eben auch Student Nick, der sich selbst schon fast als moderner Sherlock Holmes fühlt, nur weil er den Großteil seiner Tage mit der Lektüre von Krimis und Thrillern verbringt. Das führt zu teilweise recht absurden Theorien und – für derart selbsternannte Experten – erstaunlich uncleveren Ermittlungsmethoden (schließlich sollte jeder Krimi-Novize wissen, dass man lieber die Finger von einer Leiche nebst Tatort lassen sollte, erst recht wenn die Polizei bereits vor Ort ist…), liest sich aber erneut sehr unterhaltsam, Klischees hin oder her.

Unspektakulär, geschwätzig, aber eben auch sehr unterhaltsam

Wer mit „Das Original“ schon wenig anfangen konnte und John Grisham vor allem für dessen ausgeklügelte Justizthriller schätzt, der wird wohl auch mit „Das Manuskript“ kaum glücklich werden. Dafür ist auch der zweite Band zu unspektakulär und letztendlich auch zu simpel gestrickt, wenngleich die Geschichte im späteren Verlauf doch noch größere Ausmaße annimmt, als es der eher schlicht anmutende Fall zu Beginn zunächst vermuten lässt. Dazu kommt noch, dass der Autor auch diesmal wieder viel Zeit mit Kleinigkeiten und geschwätzigen Dialogen verbringt, im Gegenzug aber weitaus bedeutendere und komplexere Entwicklungen recht beiläufig und sehr nüchtern im Eilverfahren zusammenfasst, wie z.B. auch das anfängliche Auftreffen des Hurrikans auf die Insel.

Etwas weniger Insel-Flair, dennoch ein guter Literaturkrimi

Wer jedoch schon vom ersten Camino-Island-Trip begeistert war und den süffigen Mix aus traumhaftem Setting und literarischem Thema genossen hat, der wird sich auch beim zweiten Ausflug auf die Insel wieder schnell heimisch fühlen. Dabei gibt es jedoch einen kleinen Wermutstropfen, denn durch die frühe Zerstörung des Schriftstellerparadieses geht leider auch ein wenig vom schillernden Flair des Eilands verloren. Statt endlosen Regalen voller Abenteuer in Bruce Cables Buch-Mekka „Bay Books“ gibt es diesmal verschlossene Türen und überschwemmte Häuser, die kaum noch mit Leben gefüllt und größtenteils verlassen sind – da scheint es nur folgerichtig, dass ein Großteil der Handlung diesmal auch auf dem amerikanischen Festland spielt. Der ganz große Zauber des ersten Buches ist also leider etwas verloren gegangen, trotzdem ist auch „Das Manuskript“ insgesamt wieder ein unterhaltsamer und leicht bekömmlicher Literaturkrimi geworden. Und vielleicht gibt es ja auch nochmal ein Wiedersehen mit Camino Island, wenn sich die Insel wieder vollständig von Hurrikan Leo erholt hat und Bay Books wieder in all seiner Pracht erstrahlen darf…

Das Manuskript - John Grisham (Camino Island #2)
  • Autor:
  • Original Titel: Camino Winds
  • Reihe: Camino Island #2
  • Umfang: 368 Seiten
  • Verlag: Heyne
  • Erscheinungsdatum: 31. August 2020
  • Preis Geb. Ausgabe 22,00 €/eBook 12,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
7/10
Fazit:
Mit "Das Manuskript" kehrt Bestsellerautor in sein Schriftsteller-Paradies Camino Island zurück – leider weht der schicksalhafte Hurrikan etwas von dem paradiesischen Insel-Charme davon, was der Sturm übrig lässt ist aber dennoch ein erneut unterhaltsamer und leicht bekömmlicher Literaturkrimi, der wie schon der Vorgänger gut unterhält.

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