Mann muss kein eingefleischter Krimi-Fan sein, um ihren Namen zu kennen: Agatha Christie, mit über zwei Milliarden verkauften Büchern eine der erfolgreichsten Autorinnen der Literaturgeschichte. Dennoch gibt es trotz unzähliger Romane und fast ebenso vieler Verfilmungen immer noch Menschen – zu denen wir bis vor wenigen Wochen übrigens auch zählten –, die bisher noch nie selbst eines der Werke Christies gelesen haben. Das mag vielleicht auch an der überwältigend großen Auswahl liegen, denn bei 33 Krimis mit ihrem bekannten belgischen Detektiv Hercule Poirot, 12 Büchern mit der Kult-Ermittlerin Miss Marple, vielen weiteren eigenständigen Romanen und zahlreichen Kurzgeschichten weiß man als Einsteiger vielleicht gar nicht, wo man am besten anfangen kann.

Auch wir haben uns gefragt, an welcher Stelle man am besten in das Agatha-Christie-Universum eintauchen könnte und uns für den Beginn zwei ihrer größten Klassiker herausgesucht – denn wenn sich „Und dann gab’s keines mehr“ und „Mord im Orient-Express“ bis heute ungebrochen großer Beliebtheit erfreuen, kann man damit ja vermutlich nicht so viel falsch machen, oder? Wie uns der Einstieg geglückt ist und ob uns die beiden Bücher gefallen haben, erfahrt in in dieser etwas nostalgisch angehauchten Ausgabe von „Kurzer Prozess“ – mit „Passagier nach Frankfurt“ zudem komplettiert von einer Neuentdeckung, die deutschen Lesern bisher verwehrt geblieben ist.

UND DANN GAB’S KEINES MEHR von Agatha Christie

Es ist vielleicht DER Krimiklassiker überhaupt: Der 1939 erstmals im Original erschienene 26. Roman der legendären Schriftstellerin Agatha Christie ist nicht nur ihr erfolgreichstes und wohl auch bekanntestes Werk, sondern mit rund 100 Millionen verkauften Exemplaren sogar der meistverkaufte Kriminalroman aller Zeiten (!). Die ebenso simple wie geniale Grundidee der Geschichte basiert dabei auf einem alten Kinderabzählreim und verschlägt zehn Personen auf eine einsame Insel, wohin alle aus unterschiedlichen Gründen der rätselhaften Einladung eines ominösen Mr. Owen auf dessen Anwesen gefolgt sind. Auf dem kleinen Eiland angekommen fehlt vom Gastgeber jedoch jegliche Spur, stattdessen meldet sich beim gemeinsamen Begrüßungsdinner eine anklagende Schallplattenstimme, die jeden der Anwesenden eines oder mehrerer Morde beschuldigt und Gerechtigkeit für die bisher ungestraft gebliebenen Verbrechen ankündigt. Als wenig später der erste Gast ums Leben kommt, dämmert den anderen, dass sie in der Einsamkeit der Insel in eine tödliche Falle getappt sind…

Mörderisches Spiel auf einer einsamen Insel

Das Konzept der Story ist wie erwähnt relativ einfach gestrickt und dürfte aufgrund unzähliger Nachahmer in Literatur und Film selbst für Agatha-Christie-Neulinge bekannt sein: eine Gruppe scheinbar willkürlich zusammengewürfelter Personen wird nach und nach von einem Killer dezimiert und beim Kampf ums Überleben ergibt sich zwangsläufig die Frage, wer bei dieser limitierten Anzahl von Beteiligten und dem räumlich ebenso begrenzten Schauplatz der Täter ist – treibt ein Außenstehender ein perfides Spiel mit seinen Gästen oder stammt der Täter vielleicht sogar aus der Runde der vermeintlichen Opfer? Agatha Christie hält sich bei ihrem Roman nicht lange mit ausschweifenden Charakterisierungen auf und legt spürbar wenig Wert auf eine enge Bindung zwischen Figuren und Lesern, ihr geht es stattdessen einfach um die Lösung eines unmöglich scheinenden Rätsels, nämlich der Suche nach dem Mörder. Dieses Kammerspiel ist von der ersten Seite an fesselnd und trotz des in den Grundzügen relativ vorhersehbaren Ablaufs durchweg spannend, weil die Autorin mit falschen Fährten und den undurchsichtigen Charakteren ein hohes Suchtpotenzial erzeugt, da man beim Lesen einfach schlauer als die Beteiligten sein und den Fall möglichst vor der Schlusspointe aufklären will. Dass die Figuren dabei nicht immer nachvollziehbar agieren und sich oft unnötig in Gefahr begeben ist dabei nicht weiter ärgerlich, einen faden Beigeschmack hinterlässt jedoch die zwar überraschende, aber für den Leser nicht wirklich herzuleitende Auflösung des mörderischen Spiels, weil Christie ihrem Publikum entscheidende Hinweise vorenthält. Trotzdem trägt „Und dann gab’s keines mehr“ seinen Ruf als Krimi-Klassiker völlig zu Recht und funktioniert dank der angenehm zeitlosen Sprache auch fast 80 Jahre nach Erscheinen immer noch hervorragend.

Autorin: Agatha Christie | Originaltitel: And Then There Were None | Umfang: 224 Seiten
Erscheinungsdatum: 4.9.2015 | Verlag: Atlantik | Preis: Taschenbuch 10,00 € / eBook 7,99 €

MORD IM ORIENT-EXPRESS von Agatha Christie

Von einem Krimiklassiker zum nächsten: Auch der erstmals 1934 erschienene Roman „Mord im Orient-Express“ erfreut sich seit Jahrzehnten ungebrochen großer Beliebtheit und hat erst kürzlich durch die gleichnamige Neuverfilmung mit Stars wie Kenneth Branagh, Judi Dench und Penélope Cruz einen neuerlichen Aufschwung erfahren. Der zehnte Fall für Agatha Christies Kult-Ermittler Hercule Poirot ist dabei durchaus ähnlich konzipiert wie das oben besprochene „Und dann gab’s keines mehr“ und stellt auch den belgischen Detektiv vor die Aufgabe, aus einer kleinen Gruppe von Personen einen Mörder zu enttarnen. Statt auf einer abgelegenen Insel spielt diese Geschichte jedoch an Bord eines Zuges, nämlich dem titelgebenden „Orient-Express“. Auf der langen Fahrt zwischen Istanbul und London wird im verschneiten Jugoslawien mitten in der Nacht ein Reisender getötet und da der Zug aufgrund eines Schneesturms im Nirgendwo gestrandet ist, muss sich der Täter noch an Bord befinden. Weil auch der Telegraf ausgefallen ist und die Polizei nicht benachrichtigt werden kann, liegt es an Hercule Poirot, den Fall aufzuklären – und zwar bevor der Orient-Express in den nächsten Bahnhof einläuft und der Mörder den Zug verlassen und auf Nimmerwiedersehen in der Menge verschwinden kann…

An Bord des Orient-Express und ein Mörder fährt mit…

Agatha Christie nimmt sich diesmal ein wenig Zeit, bis der Fall tatsächlich ins Rollen kommt, trotzdem ist auch „Mord im Orient-Express“ vom ersten Kapitel an kurzweilig. Die Geschichte beginnt als kleines und unschuldiges Reiseabenteuer und wird erst mit dem Mord an einem der Passagiere zum Kriminalroman, dann jedoch bietet die Autorin ihren Lesern ein detektivisches Lehrstück vom Allerfeinsten: so besteht ein Großteil der Handlung lediglich aus Zeugenbefragungen und Verhören, bei denen Poirot mühsam und Schritt für Schritt die einzelnen Puzzlestücke des Falls zusammensetzt und nach und nach versucht, den genauen Tathergang zu ermitteln und die Passagiere einem nach dem anderen als Verdächtige zu eliminieren – was sich jedoch schwieriger herausstellt als gedacht. Dadurch ergibt sich ein äußerst raffiniert gestrickter Kriminalfall, der sich hervorragend zum Miträtseln eignet und auch dadurch für ein durchweg hohes Spannungsniveau sorgt. Auch atmosphärisch hat der Roman einiges zu bieten und sorgt durch das beengte Zug-Szenario und die äußeren eisig-düsteren Rahmenbedingungen für eine beklemmende Stimmung. Weil auch die Auflösung des Rätsels diesmal überzeugen kann und der Geschichte ein würdiges Ende verleiht, ist „Mord im Orient-Express“ ein Krimi-Genuss nahezu ohne echte Schwachstellen und auch heutzutage immer noch ein Highlight für Fans klassischer Detektivgeschichten.

Autorin: Agatha Christie | Originaltitel: Murder on the Orient Express | Umfang: 256 Seiten
Erscheinungsdatum: 8.9.2014 | Verlag: Atlantik | Preis: Taschenbuch 10,00 € / eBook 8,99 €

PASSAGIER NACH FRANKFURT von Agatha Christie

Während es sich bei den beiden vorangegangenen Büchern um zeitlose Klassiker von Weltruhm handelt, dürfte „Passagier nach Frankfurt“ wohl selbst unter eingefleischten Agatha-Christie-Fans zu den eher unbekannteren Werken der Schriftstellerin zählen. Das mag auch daran liegen, dass die Geschichte zum einen im deutschen Raum bisher nur im Rahmen einer Sammeledition erschien und zum anderen einer von nur vier (!) Romanen der Autorin ist, die bisher nicht filmisch adaptiert wurden – und das bei einer stattlichen Anzahl von immerhin 66 Werken. Nun wurde das Buch jedoch vom Atlantik Verlag neu aufgelegt und übersetzt, sodass nun endlich auch deutschsprachige Leser in den Genuss dieser Geschichte kommen – zumindest theoretisch, doch dazu später mehr. „Passagier nach Frankfurt“ dreht sich dabei weder um Detektiv Poirot noch Spürnase Miss Marple, sondern stellt den britischen Diplomaten Sir Stafford Nye in den Mittelpunkt der Handlung. Dieser ist nach einem Auslandseinsatz gerade auf dem Weg zurück nach London, als ihm beim Umsteigen auf dem Frankfurter Flughafen eine fremde Frau kontaktiert und ihm eröffnet, dass sie in großer Gefahr schwebe und jemand ihr nach dem Leben trachte. Nye könne ihr jedoch helfen, indem er ihr seinen Pass überließe, sodass sie mit ein wenig Verkleidung unter dem Schutz einer falschen Identität zurück ins Königreich gelangen könne. Mehr aus Abenteuerlust statt rationaler Überzeugung lässt sich Nye auf das Spiel ein – und gerät dadurch mitten in ein gefährliches politisches Intrigenspiel…

Vom charmanten Spionageroman zur absurden Nazi-Verschwörung

So weit, so gut, denn bis hierhin klingt die Geschichte von „Passagier nach Frankfurt“ durchaus interessant und punktet zwar nicht unbedingt mit der glaubwürdigsten Eröffnung, das kleine Verwirrspiel zwischen dem Protagonisten und seiner rätselhaften Begegnung bringt jedoch genug Potenzial für einen spannenden Spionageroman mit. Leider geht es nach den unterhaltsamen ersten 100 Seiten mit der Geschichte rapide abwärts und Agatha Christie verliert sich in einem undurchsichtigen Geflecht aus völlig willkürlich auftauchenden Figuren und wahllos zusammengewürfelten Handlungsfäden, welches die eigentlich Story zunehmend aus den Augen verliert und als absoluter Tiefpunkt in einer bizarren Nazi-Verschwörung endet, wie man sie sonst nur aus wirklich schlechten B-Movies kennt. Wer es tatsächlich schafft und bis zum Ende des Buches durchhält, der wird sich wohl zwangsläufig fragen, ob es sich bei dieser offensichtlich von der Welt ihrer Zeit verbitterten Autorin wirklich um die gleiche Person handelt, die u.a. die beiden oben thematisierten Meisterwerke geschrieben hat. Somit wurde „Passagier nach Frankfurt“ leider völlig zu Recht von der Öffentlichkeit bisher wenig beachtet und wäre wohl auch besser in der Versenkung verschwunden geblieben – eine Neuauflage, die man sich wirklich hätte sparen können und es dürfte wohl schwierig sein, in den zahlreichen Werken Agatha Christies ein noch schlechteres Buch zu finden.

Autorin: Agatha Christie | Originaltitel: Passenger to Frankfurt | Umfang: 288 Seiten
Erscheinungsdatum: 6.11.2017 | Verlag: Atlantik | Preis: Geb. Ausgabe 20,00 €/eBook 15,99 €

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9 Antworten zu diesem Beitrag

  • Agatha Christie <3

    Und autsch! Kenne "Passagier nach Frankfurt" gar nicht und mag dem 3 von 10 kaum glauben schenken, vielleicht lasse ich das Lesen besser?! Zumal kein Hercule Poirot, keine Miss Marple??

    • Ich wollte es auch nicht glauben als ich die ersten (sehr) negativen Meinungen zu „Passagier nach Frankfurt“ gelesen hatte und dachte nach dem ersten Drittel auch noch „ach, ist doch eigentlich ganz unterhaltsam“, aber die zweite Hälfte war meiner Meinung nach nur noch grottenschlecht, völlig wirr und dadurch extrem langweilig.

      „Und dann gab’s keines mehr“ hat ja auch weder Poirot noch Miss Marple, ist aber um Längen besser 😉

      Ein Miss-Marple-Buch habe ich bisher übrigens noch gar nicht gelesen, hast du irgendwelche Empfehlungen für mich? 🙂

      • Bei „Pasagier nach Frankfurt“ hatte ich aber immer irgendwie gedacht, einer der beiden würde darin eine Rolle spielen … keine Ahnung warum 😀

        Ein paar wenige hatte ich gelesen mit Miss Marple, aber leider fallen mir die Titel nicht ein. Wenn du was weihnachtliches aus ihrer Feder suchst, kann ich dir „Eine Weihnachtstragödie und andere Fälle“ empfehlen – noch ist es nicht ganz ausgelesen, aber gewohnt toll und mit beiden Protagonisten

  • Von Maraia am 15. Dez 2017 um 18:35

    Ich hatte keine Ahnung, dass so viele iher Bücher filmisch adaptiert wurden. oO Gucken wir alle? xD

    Ich frage mich, ob es irgendeine Person gibt, die „Passagier nach Frankfurt“ gut findet. xD

    • Haha, als ob wir die Zeit hätten ca. 60 Agatha-Christie-Filme zu gucken XD

      Also bei Goodreads hat „Passagier nach Frankfurt“ immerhin 815 5-Sterne-Bewertungen – aber auch 830 mit nur einem Stern 😀

  • Huhu allerliebster Sebastian!
    Endlich, endlich komme ich wieder dazu, bei Dir vorbeizuschauen. Und diesen Post musste ich natürlich direkt durchsuchten.
    Von den dreien Büchern hab ich bisher nur „Mord im Orientexpress“ gelesen. Und das hab ich wirklich soooo gerne gemocht. Ich muss mir ganz dringend den Film anschauen. Hast Du ihn schon gesehen?
    Leider ging es mir letztens ähnlich wie Dir mit „Passagier nach Frankfurt“. Manche Bücher von Christie ziehen sich leider unendlich hin, bestechen weder mit einer grandiosen Geschichte noch mit einem einigermaßen spannenden Verlauf. Mir ging es das letzte Mal so mit „Die großen Vier“. Da konnte ich auch gar nicht mit. Aber man weiß es vorher halt immer nicht. Aber nun weiß ich ja, wovon ich die Finger lassen muss. Also Danke dafür 😀

    Alles Liebe, Nelly

    • Ich hatte „Mord im Orient-Express“ eigentlich genau zu dem Zweck gelesen, um anschließend ins Kino zu gehen, leider ist mir der Weihnachtsstress dann aber ein wenig in die Quere gekommen, sodass ich es nicht mehr rechtzeitig ins Kino geschafft habe – muss ich dann halt mal zuhause nachholen 😀

      Ja, mir ist schon beim Stöbern aufgefallen, dass die Bewertungen der Bücher teilweise sehr stark schwanken, aber „Passagier nach Frankfurt“ war meiner Meinung nach so schlecht, dass ich den absoluten Tiefpunkt damit eigentlich schon hinter mir haben müsse – es kann eigentlich nur wieder besser werden 😀