„Woher kommen wir? Wohin gehen wir?“ Diese beiden auf den ersten Blick so simplen und bei näheren Betrachtung doch ungemein komplexen Fragen stehen im Mittelpunkt von Dan Browns bereits fünftem Robert-Langdon-Roman, der sowohl im englischen Original als auch in der deutschen Übersetzung treffend unter dem Titel „Origin“ erscheint – denn im neusten Abenteuer des weltberühmten Symbolologen geht es um kein geringeres Thema als den Ursprung der Menschheit. Die Antworten auf die Fragen nach der Entstehung der menschlichen Spezies und ihrer Zukunft verspricht im Buch der Zukunftsforscher Edmond Kirsch zu liefern – seines Zeichens nicht nur exzentrischer Milliardär und bekennender Religionsgegner, sondern auch Freund und ehemaliger Schüler eines gewissen Hardvard-Professors mit Mickey-Mouse-Armbanduhr.

Eine Schatzsuche zu den Ursprüngen der Menschheit

Nachdem die vorangegangenen vier Bücher der Reihe Robert Langdon schon in die geschichtsträchtigen Städte Rom („Illuminati“), Paris, London („Sakrileg“), Washington, D.C. („Das verlorene Symbol“), Florenz und Istanbul („Inferno“) führten, beginnt die neueste kulturelle Schatzsuche von Dan Browns beliebtem Protagonisten diesmal in Spanien, wo Langdon der Einladung von besagtem Edmond Kirsch nach Bilbao gefolgt ist, da dieser im Rahmen einer prominent besuchten und medienwirksam inszenierten Veranstaltung im Guggenheim-Museum der Öffentlichkeit seine angeblich spektakuläre Entdeckung mitteilen will. Diese werde nach eigener Aussage des von seinen Anhängern als moderner Prophet gefeierten Milliardärs nicht nur die Welt auf einen Schlag radikal verändern, sondern bedeute mit Kirschs revolutionären Erkenntnissen zugleich auch das Ende aller Religionen. Bevor es jedoch auf dem Höhepunkt der bombastischen Show zur mit Spannung erwarteten Enthüllung kommen kann, bricht plötzlich das Chaos aus und es ist wieder mal an Robert Langdon, ein unglaubliches Geheimnis ans Tageslicht zu bringen.

Nervenkitzel und Geheimniskrämerei nach dem bekannten Schema

Wenn man die ersten Kapitel von „Origin“ liest, fühlt man sich als Dan-Brown-Fan schon nach wenigen Seiten wieder zuhause, denn wenig überraschend bedient sich der Bestsellerautor auch bei seinem neuen Buch wieder der bekannten Zutaten: seiner Kultfigur Robert Langdon, die zwar auch nicht jünger wird, aber noch keinerlei Altersserscheinungen erkennen lässt, einer hochattraktiven und charmanten Begleiterin, diesmal in Form der Museumsdirektorin und Verlobten des zukünftigen spanischen Königs Ambra Vidal, dem ebenso gewohnten Wettringen zwischen Religion und Wissenschaft und natürlich der typischen Schnitzeljagd an kulturell interessanten Schauplätzen, die sich diesmal vor allem über Barcelona erstrecken. So weit bleibt also alles beim Alten, und man könnte fast ein wenig befürchten, dass das immer gleiche Schema der Langdon-Romane in der nun schon fünften Auflage mittlerweile an Reiz verloren hat – derartige Befürchtungen dürften aber bereits im ersten Drittel des Buches weggewischt werden, denn der bekannte Suchtfaktor stellt sich auch bei „Origin“ fast umgehend ein. Dabei passiert in der Anfangsphase im Vergleich zu den früheren Romanen sogar vergleichsweise wenig, trotzdem schafft es Dan Brown wieder einmal, seine Leser an die Seiten zu fesseln und große Neugier bezüglich seines neuesten welterschütternden Geheimnisses zu wecken.

Tablet, Elektroauto, künstliche Intelligenz – eine Frischzellenkur fürs Langdon-Universum

Trotz der bekannten Abläufe fällt jedoch auf, dass der Autor sich spürbar Mühe gegeben hat, seiner Geschichte einen zeitgemäßen Touch zu verleihen. Zum einen geht es diesmal wenig bis gar nicht um jahrhundertealte Ereignisse und Schätze der Weltgeschichte, stattdessen beschränkt sich die Handlung zumindest in Bezug auf die Spurensuche weitestgehend auf die eher jüngere Vergangenheit der Menschheit. Noch viel offensichtlicher ist jedoch der Einzug modernster Technologien in die Story, was sich u.a. darin widerspiegelt, dass sich Langdon während seiner Schnitzeljagd diesmal z.B. eines praktischen Tablets, eines luxuriösen Elektroautos der Marke Tesla oder gar eines persönlichen Assistenten in Form einer künstlichen Intelligenz – welcher im Übrigen zum heimlichen Star von „Origin“ aufsteigt – bedienen darf. So kommt viel frischer Wind in das Dan-Brown-Universum und man hat das Gefühl, das hier auch ein bisschen die Weichen für die Zukunft der Reihe gestellt werden, sodass man sich als Langdon-Fan hoffentlich noch auf einige weitere Abenteuer des populären Romanhelden freuen darf.

Das Erfolgsprinzip funktioniert erneut

Nun kann man dem Brown-typischen und manchmal etwas arg effekthascherischen In-die-Länge-ziehen der Geheimnisse mittels unzähliger Cliffhanger, quälender Perspektivwechsel kurz vor der Enthüllung wichtiger Puzzlestücke oder dem Vorenthalten von den Charakteren bereits bekannten Informationen durchaus kritisch gegenüberstehen, man kommt aber nicht darum herum einzugestehen, dass „Origin“ als Thriller einfach extrem gut funktioniert: die Geschichte ist ab der ersten Seite spannend, hat mit dem Ursprung der Menschheit ein faszinierendes Mysterium zum Thema und es macht nach wie vor einfach unglaublich Spaß, mit den Protagonisten von Schauplatz zu Schauplatz zu jagen, parallel zum Lesen die einzelnen Orte zu googeln und sich die genannten Bau- und Kunstwerke selbst anzuschauen und selbst als absoluter Kulturbanause auf spielerische Weise sich ein wenig (vielleicht unnützes, aber durchaus interessantes) Wissen anzueignen.

Moment mal… was macht eigentlich Robert Langdon?

Wenn man während der Lektüre dieses Pageturners aber mal kurz innehält und durchatmet, beschleicht einen jedoch vielleicht das Gefühl, dass diesmal irgendwas fehlt – und wenn man genauer darüber nachdenkt, kommt man zur überraschenden Erkenntnis, dass in „Origin“ eine elementare Zutat der Reihe eindeutig zu kurz kommt: das Lösen von Rätseln und vor allem das Entschlüsseln versteckter Codes. Strenggenommen jagen Langdon und seine Begleiterin Ambra Vidal während eines Großteils der 668 Seiten genau einem einzigen Code in Form eines Passworts hinterher – selbst das von vielen als Tiefpunkt der Serie betrachtete „Das verlorene Symbol“ hatte hier eine weitaus höhere Rätseldichte. Natürlich werden auch im fünften Langdon-Roman hin und wieder mehr und weniger bekannte Symbole analysiert, wirklich relevant sind dafür für die Handlung jedoch so gut wie keine – dafür sieht man aber nach der Lektüre vielleicht immerhin das allseits bekannte FedEx-Logo mit anderen Augen. „Origin“ ist zwar auch ohne das Entschlüsseln von Gemälden und anderen Kunstschätzen extrem spannend, es fühlt sich jedoch ein wenig so an, als wäre Robert Langdon zur Randfigur in seiner eigenen Geschichte geworden, dessen besondere Qualitäten diesmal nicht unbedingt gebraucht werden.

Ein erstklassiger Thriller, aber nur ein mäßiger Robert-Langdon-Roman

So hinterlässt „Origin“ letzten Endes einen leicht zwiespältigen Eindruck: als reiner Spannungsroman ist der fünfte Langdon-Thriller nahezu perfekt und überzeugt zum einen mit einem enorm hohen Unterhaltungsfaktor, regt aber andererseits mit der clever gewählten und gut umgesetzten Thematik auch zum Nachdenken an und transportiert dabei eine durchaus beachtenswerte Botschaft. Betrachtet man das Buch jedoch vor allem als Robert-Langdon-Story, so legt der Harvard-Professor hier vielleicht sogar seinen bisher schwächsten Auftritt hin, weil Dan Brown die besonderen Fähigkeiten seines Helden einfach viel zu wenig nutzt – möglicherweise auch ein Zeichen dafür, dass der Autor die versteckten Botschaften real existierender Kunstschätze weitestgehend „abgegrast“ hat und trotz erneut umfassender Recherche nicht mehr auf so spektakuläre Geheimnisse wie noch bei „Illuminati“ oder „Sakrileg“ gestoßen ist. Spaß macht „Origin“ aber dennoch ungemein und sei daher jedem Fan von Verschwörungs-Thrillern unbedingt ans Herz gelegt – und wenn Dan Brown sich beim nächsten Roman wieder mehr auf die Stärken seiner Hauptfigur besinnt, dürfte dem weiteren Erfolg der Robert-Langdon-Reihe nichts im Wege stehen.

Origin (Robert Langdon #5)
  • Autor:
  • Original Titel: Origin
  • Reihe: Robert Langdon #5
  • Umfang: 668 Seiten
  • Verlag: Lübbe
  • Erscheinungsdatum: 4. Oktober 2017
  • Preis Geb. Ausgabe 28,00 €/eBook 22,99 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
8/10
Fazit:
„Origin“ ist vielleicht der beste Dan-Brown-Roman seit „Sakrileg“ und liefert mit der jederzeit spannenden und temporeichen Story nahezu Thriller-Unterhaltung in Perfektion, die mit dem packenden Thema und dem Einsatz modernster Technologien erfreulich aktuell daherkommt. Als Robert-Langdon-Story enttäuscht das Buch jedoch ein wenig, da die Qualitäten des Symbologen diesmal kaum gefragt sind und das Lösen von Rätseln diesmal deutlich zu kurz kommt.

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8 Antworten zu diesem Beitrag

  • Guten Morgen 🙂

    Mkich hat „Origin“ eher enttäuscht – ich hatte mich mehr auf ein Langdon-Abenteuer gefreut. Vielleicht wäre es besser gewesen, Dan Brown hätte einfach eine neue Figur erfunden, die durch das Buch spukt. Aber ich hatte das Gefühl, dass er um seine Verkaufszahlen fürchtete, wenn er einen neuen Hauptprotagonisten einführt.Einzig „Winston“ als KI hat mir wirklich Spaß gemacht 🙂

    LG

    Tina

    • Das deckt sich ja ungefähr mit meinem Eindruck. Ich fand das Buch wirklich sehr spannend und wollte es eigentlich gar nicht aus der Hand legen, aber die Rätsel und Symbolik etc. der ersten vier Bände hat mir schon gefehlt. Trotzdem finde ich Robert Langdon als Protagonist immer noch super, ich weiß nicht ob mir die Geschichte mit einer völlig neuen Figur wirklich besser gefallen hätte.

      Winston fand ich auch sehr unterhaltsam! 😀

  • Hättest du 5 Sterne gegeben, wenn Dan Brown das Buch als Standalone geschrieben hätte, mit einer ganz neuen Hauptfigur?

    • Schwer zu sagen. Ich hätte wahrscheinlich 5 Sterne gegeben wenn es ein anderer Autor mit einer ganz neuen Figur geschrieben hätte aber wahrscheinlich wäre ich auch enttäuscht gewesen, wenn der neue Dan-Brown-Roman völlig ohne Robert Langdon gewesen wäre – selbst ein unterforderter Robert Langdon ist meiner Meinung nach immer noch besser als irgendwelche 08/15-Thriller-Hauptfiguren 😀

  • Huhu lieber Sebastian!
    Ich freu mich, diese Rezension bei Dir gefunden zu haben. Hätte mir denken können, dass Du es direkt lesen wirst 😀
    Ich hab bisher ja einen Bogen um das Buch gemacht. Irgendwie haben gerade die Autoren, die lange nichts von sich haben hören lassen und dann plötzlich einen weiteren Reihenteil rausbringen, mich die letzte Zeit enttäuscht. Cody McFadyen, Simon Beckett…. jetzt befüchte ich, dass Dan Brown sich da einreiht. Immerhin fand ich Teil 4 schon nicht mehr ganz so gut. Dass Brown da immer wieder das gleiche Schema zugrunde legt, stört mich irgendwie schon. Aber vielleicht gefällt mir Origin gerade deshalb? Weil so wie Du das beschreibst, hört sich das doch ein bisschen anders an als man es bisher kennt. Ach ich bin etwas unentschlossen 😀
    Aber ich kenne mich ja auch, daher weiß ich: über kurz oder lang les ich es ja doch.

    Alles Liebe, Nelly

    • Es gibt ja mittlerweile echt wenige Bücher bei denen ich mich tatsächlich direkt bei Erscheinungstermin auf die Lektüre stürze aber bei Dan Brown bin ich einfach zu ungeduldig, das muss direkt gelesen werden 😀

      Bei Simon Becket fand ich den vorletzten Band auch schon eher schwach, da waren die Erwartungen an den neuen Band dann nicht mehr ganz so hoch 😀 Smoky Barrett 5 hat mich eigentlich nicht wirklich enttäuscht, kam aber natürlich nicht an die ersten Bände heran – vielleicht war die Pause da einfach zu lang.

      Ich finde man merkt „Origin“ schon an, dass Dan Brown die Geschichte diesmal etwas moderner gestalten wollte, dafür sind im Gegenzug aber irgendwie die Rätsel der Modernisierung zum Opfer gefallen. Wenn du deine Erwartungen dem vielleicht ein wenig anpasst und kein zweites „Sakrileg“ oder „Illuminati“ erwartest wirst du bestimmt gut unterhalten, spannend ist das Buch auf jeden Fall 😉