Tags: Arthur Conan Doyle, London, Meiringen, Moriarty, Reichenbachfall, Schweiz, Sherlock Holmes
Genre: Krimi
Am 4. Mai 1891 geht das idyllische Städtchen Meiringen in der Schweiz plötzlich in die Kriminalgeschichte ein, denn es wird zum Schauplatz des finalen Duells zwischen dem größten Detektiv aller Zeiten und seinem ärgsten Widersacher: Sherlock Holmes liefert sich mit seinem Erzfeind Professor Moriarty am Reichenbachfall einen erbitterten Kampf, bis schließlich beide Rivalen gemeinsam den Wasserfall hinab und in den Tod stürzen. Während von der Leiche Sherlock Holmes’ jedoch jede Spur fehlt, werden die sterblichen Überreste Moriartys kurz nach dem großen Showdown aus dem Wasser geborgen. Für den Detektiv Frederick Chase ist der Tod des Professors ein herber Rückschlag, schließlich ist der Mitarbeiter der berühmten amerikanischen Pinkerton-Detektei extra aus New York nach Europa angereist, um über Moriarty an den einflussreichen amerikanischen Verbrecher Clarence Devereux heranzukommen, der seine kriminellen Geschäfte über den großen Teich nach London ausgebreitet hat und nun die durch den Tod Moriartys entstandene Lücke als Anführer der Londoner Unterwelt einzunehmen scheint. In Meiringen trifft Chase jedoch auf den Scotland-Yard-Inspektor Athelney Jones, der sein Interesse an der Verfolgung von Devereux teilt. Eine bei Moriartys Leiche gefundene Nachricht könnte Chase und Jones dabei einen entscheidenen Hinweis liefern…
Ein Sherlock-Holmes-Roman ohne Sherlock Holmes?
Der Brite Anthony Horowitz hat bereits im Jahr 2011 mit seinem Sherlock-Holmes-Roman „The House of Silk“ (dt. „Das Geheimnis des weißen Bandes“) unter Beweis gestellt, dass er nicht ohne Grund von den Nachlassverwaltern von Arthur Conan Doyle – dem “Sir Arthur Conan Doyle Literary Estate” – ausgewählt wurde, die Geschichten um den berühmten Meisterdetektiv fortzuführen. Sein zweiter offiziell abgesegneter Holmes-Krimi „Moriarty“ wartet jedoch mit einem Kuriosum auf, denn als die Geschichte im schweizerischen Meiringen einsetzt, sind sowohl Sherlock Holmes als auch sein großer Rivale Professor Moriarty bereits tot – gestorben in den Fluten des Reichenbachfalls, nachdem sich die beiden zuvor einen erbitterten Kampf um Leben und Tod geliefert hatten. Nicht nur Sherlock-Holmes-Fans dürften zwar wissen, dass der Meisterdetektiv laut den späteren Werken Conan Doyles seinen Tod letztlich nur inszeniert hat, trotzdem sieht die Ausgangssituation des Buches so aus, dass man es hier mit einem Holmes-Roman zu tun hat, dem mit Sherlock Holmes, Moriarty und auch Dr. John Watson die drei prägnantesten Figuren der Erzählungen fehlen – kann das überhaupt gut gehen?
Ein New Yorker Detektiv und ein Londoner Inspektor in den Fußstapfen von Holmes & Co.
Um die Antwort gleich mal vorwegzunehmen: es kann – vielleicht auch, weil Anthony Horowitz mit dem New Yorker Pinkerton-Detektiv Frederick Chase und dem Londoner Scotland-Yard-Ermittler Athelney Jones zwei Protagonisten bietet, die den großen „Stars“ nicht komplett unähnlich sind. So ist z.B. Jones als großer Bewunderer Sherlock Holmes’ selbst sehr bemüht, den begnadeten Deduktionsfähigkeiten seines großen Vorbildes nachzueifern (und dies mit durchaus beeindruckendem Erfolg) und der nicht weniger engagierte, aber ermittlerisch vielleicht noch nicht ganz so routinierte Chase schlüpft ein wenig in die Watson-Rolle – auch, weil der New Yorker als Ich-Erzähler fungiert und aus seiner Sicht über die Ereignisse nach dem Reichenbachfall-Showdown berichtet. Selbst einen Moriarty-Nachfolger scheint Horowitz gefunden zu haben, denn mit dem Schurken Clarence Devereux versucht ein neues kriminelles Genie London, England und letztlich auch ganz Europa unter seinen Einfluss zu bringen – und dies mit einer selbst für die Londoner Unterwelt verstörenden Kompromisslosigkeit, auch wenn diese in letzter Konsequenz nicht ganz überzeugende Figur vielleicht zur einzigen wirklichen Schwäche des Romans wird. Weil aber nicht nur die Charaktere in manchen Momenten an die berühmten Doyle-Helden erinnern, sondern Horowitz wie schon in „The House of Silk“ auch stilistisch gekonnt an die Holmes-Klassiker anknüpft, kommt selbst ohne Holmes, Watson & Co. tatsächlich Sherlock-Holmes-Feeling auf – auch, weil diese zwar physisch durch Abwesenheit glänzen, aber letztlich dennoch eine nicht unbedeutende Rolle spielen und zumindest am Rande immer wieder erwähnt werden.
Auch ohne Holmes ein grandioser Kriminalroman mit spektakulärer Auflösung
Auch der Fall selbst dürfte den hohen Ansprüchen des Meisterdetektivs genügen und ist raffiniert konstruiert, insgesamt wohl etwas deftiger als die Originale Conan Doyles und auch vom Tempo her etwas flotter, dennoch hat „Moriarty“ jederzeit den gewohnten Charme, da Horowitz auch die Schauplätze atmosphärisch beschreibt und man sich so fast selbst durch die gefährlichen Straßen des viktorianischen Londons bewegt. Einen besonderen Reiz bezieht die Geschichte zudem dadurch, dass man als Leser dem Braten nie so ganz traut und ehrgeizig versucht, eher hinter die Erklärung für die Ereignisse zu kommen als es die Figuren dieses Romans tun. Der größte Trumpf dieses Romans ist jedoch ohne Frage die Auflösung der Geschichte, denn Anthony Horowitz liefert hier einen wirklich spektakulären Plottwist ab, der einen wohl selbst dann verblüfft zurücklässt, wenn man vielleicht doch schon eine richtige Ahnung hatte. Möglicherweise fühlt man sich vom Ende des Buches auch zunächst ein wenig vor den Kopf gestoßen, doch die ausführliche Erklärung lässt letztlich keine Fragen mehr offen und zeigt auch, dass Horowitz seinen Lesern tatsächlich eine faire Chance gelassen hat, selbst den Fall zu lösen – ein wirklich grandioser Abschluss dieser clever konstruierten Geschichte, der umgehend Lust auf einen zweiten Durchgang macht, um die entsprechenden Hinweise noch einmal selbst zu finden. Für mich persönlich ist „Moriarty“ tatsächlich sogar die beste Sherlock-Holmes-Geschichte, die bisher gelesen habe, und das ohne den Meisterdetektiv selbst – dieses Kunststück muss man als Autor auch erst einmal fertig bringen. Chapeau, Anthony Horowitz!
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Charaktere: | |
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Atmosphäre: |
9/10
Ich habe mir wahrscheinlich alle möglichen Erklärungen vorgestellt, außer was eigentlich passiert ist. XD
Wenn ich dieses Buch nicht schon gelesen hätte, würde es nach deiner Rezension sofort auf meine Liste gehen. 🙂