Der Bestsellerautor Max Schmeling steckt mitten in der Arbeit an seinem neuen Roman, als ihn der geheimnisvolle Brief eines ehemaligen Schulkameraden erreicht: Tibor Schittkowski fordert in dem knappen Schreiben einen Gefallen ein, weil Max ihm noch etwas schuldig sei, da er ihm vor Jahrzehnten zweimal das Leben gerettet habe. Worum es dabei genau gehe, verrät Schittkowski nicht, allerdings verweist er auf seinen sich rapide verschlechternden Gesundheitszustand und beharrt auf einer schnellen Antwort, da ihm nicht mehr viel Zeit im Leben bleibe. Schmeling kann sich nach fast 40 Jahren kaum noch an Tibor erinnern, fühlt sich durch den Brief aber in eine unangenehme Situation gedrängt und will den Hilferuf seines alten Bekannten auch nicht unhöflich ignorieren. Also nimmt der Schriftsteller widerwillig Kontakt zu Tibor auf, um mehr über dessen Anliegen zu erfahren und die Angelegenheit schnell hinter sich zu bringen – ohne zu ahnen, dass er sich dabei auf ein Spiel einlässt, aus dem es für ihn kein Entkommen mehr gibt…
Wie ein einfacher Gefallen zur perfiden Falle werden kann
Der Schwede Håkan Nesser zählt nicht nur zu den wichtigsten Autoren seines Landes, sondern ist mit seinen Kriminalromanen in der ganzen Welt zum erfolgreichen Bestsellerautor geworden – da ist es fast schon eine Schande, dass ich als großer Fan gerade der skandinavischen Kriminalliteratur bis zum Erscheinen seines neuen Werkes „Strafe“ noch kein Buch von ihm gelesen habe. Zwar ist der Roman mit dem auffällig roten Buchumschlag keine Alleinleistung Nessers, sondern wurde in Zusammenarbeit mit einer deutschen Publizistin verfasst, die sich hinter dem Pseudonym „Paula Polanski“ verbirgt – dazu aber später noch mehr. Mit 288 Seiten und einem eher großzügig gestalteten Schriftbild ist „Strafe“ nicht gerade umfangreich ausgefallen, doch das Autoren-Gespann verliert zu Beginn der Geschichte auch keine Zeit und kommt direkt zur Sache: Dem erfolgreichen Schriftsteller Max Schmeling (der Name ist dabei alles andere als zufällig gewählt) flattert nach mehr als vier Jahrzehnten ohne Kontakt der ungewöhnliche Hilferuf eines in Vergessenheit geratenen Schulkameraden ins Haus, der einen alten Gefallen einfordert. Eigentlich würde Schmeling dieses etwas dreiste Gesuch am liebsten ignorieren, da Tibor Schittkowski (ja, „Strafe“ ist ein Roman der ungewöhnlichen Namen…) aber ein wenig auf die Tränendrüse drückt, auf seine schwere Krankheit hinweist und Max wohl ohne Tibor schon lange nicht mehr am Leben wäre, lässt sich der Schriftsteller zu einer Kontaktaufnahme hinreißen – und hängt fortan am Haken Schittkowskis, der ihn dort auch auf psychologisch sehr subtile Weise zappeln lässt.
Kein nervenzerreißender Krimi, sondern ein eher subtiles Psychospiel
Håkan Nesser ist zwar ein gefeierter Krimiautor, bei „Strafe“ sollte man aber dennoch kein zu hohes Spannungsniveau erwarten – der verlegende btb-Verlag wird sich schon etwas dabei gedacht haben, das Buch als „Roman“ und nicht als „Kriminalroman“ zu vermarkten. Auf den ersten 200 Seiten besteht die Geschichte streng genommen nur aus zwei Charakteren, eben Max Schmeling und Tibor Schittkowski. Letzterer tritt dabei auch noch fast ausschließlich in Form seiner Memoiren auf, die einen nicht unbedeutenden Teil der Handlung einnehmen. Darin dreht sich zwar alles um einen Mord, trotzdem ist die Lebensgeschichte ebenso wenig ein Pageturner wie der eigentliche Roman selbst. Dem Leser geht es bei der Lektüre vermutlich genauso wie Protagonist Max Schmeling: eigentlich wird man von dem Gelesenen nicht wirklich in den Bann gezogen, sondern bleibt hauptsächlich deshalb am Ball, weil man wissen will, was es mit dem Ganzen überhaupt auf sich hat. „Strafe“ ist dabei inhaltlich über weite Strecken so geradlinig und schnörkellos wie der Schreibstil, sodass das Warten auf Erleuchtung immerhin recht kurzweilig und ohne Ablenkung verläuft.
Unspektakulär bis zur grandiosen Schlusspointe
Gerade wenn man dann dabei ist, „Strafe“ schon etwas ernüchtert als kleine literarische Enttäuschung abzuhaken, schlagen Nesser und Polanski plötzlich zu und beenden das Buch mit einer zwar eher leisen und unspektakulären Schlusspointe, die nach der letzten Seite des Romans aber ein Eigenleben entwickelt und auf die Gedanken des Lesers übergreift – das Geniale an diesem Werk spielt sich nämlich eigentlich erst ab, wenn das Buch selbst bereits zu Ende ist. Mit einem simplen Kniff schaffen es die Autoren, dass „Strafe“ die Grenzen der Fiktion hinter sich lässt und diese auf unerwartete Weise mit der Realität vermischt. Strenggenommen ist hier nicht Max Schmeling das Opfer dieses Verwirrspiels, sondern der Leser selbst, da einem das Ende keine Ruhe lässt und man das clevere Rätsel Nessers und Polanskis unbedingt lösen möchte. An dieser Stelle schließt sich dann auch der Kreis zur eingangs erwähnten Anonymität der Co-Autorin, die bei diesem Projekt eine offenbar größere Rolle spielt als gedacht – mehr sei dazu aber an dieser Stelle auch nicht verraten, denn das würde dem Werk einen Großteil seines Reizes nehmen.
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7/10