Tags: Bastei Lübbe, Kindsmörderin, postnatale Depression, Psychothriller, Puerperalpsychose
Genre: Thriller
Susan Webster hat ein unfassbares Verbrechen begangen – doch sie kann sich nicht daran erinnern. Vor vier Jahren brachte sie ihren Sohn Dylan zur Welt, konnte jedoch von Geburt an keine Beziehung zu ihm aufbauen und litt unter einer sogenannten Puerperalpsychose, einer Form postnataler Depression. Diese führte schließlich dazu, dass Susan ihr Kind im Alter von nur wenigen Wochen erstickte und in Folge dessen zu drei Jahren Aufenthalt in der Forensischen Psychiatrie verurteilt wurde. Seit vier Wochen ist Susan nun wieder in Freiheit und versucht sich mit einer neuen Identität und einem Ortswechsel ein neues Leben aufzubauen und die Gedanken an ihre schlimme Tat, deren genauer Hergang ihr nach wie vor unklar ist, hinter sich zu lassen. Doch auch im beschaulichen Ludlow wird Susan von ihrer düsteren Vergangenheit verfolgt, als ihr nämlich eines Tages ein Foto zugeschickt wird, das einen kleinen Jungen zeigt und auf dessen Rückseite die Worte „Dylan – Januar 2013“ stehen – hat sich jemand einen bösen Scherz erlaubt, oder ist ihr Sohn tatsächlich noch am leben?
Eine Kindsmörderin auf der Suche nach der Wahrheit
Die Engländerin Jenny Blackhurst hat sich für ihren ersten Roman, den Psychothriller „Die stille Kammer“, eine eher ungewöhnliche Protagonistin herausgesucht: Bei Susan Webster handelt es sich nämlich um eine Kindsmörderin, die ihren eigenen Sohn im Alter von nur wenigen Wochen getötet haben soll. Auf den ersten Blick natürlich nicht gerade eine sonderlich geeignete Identifikationsfigur für die Leserschaft, doch man muss wahrlich kein Thriller-Experte zu sein, um im Fall Dylan Webster schnell zumindest auf ein paar Unstimmigkeiten zu stoßen. Da wäre zum einen die Tatsache, dass Susan auch nach all den Jahren und trotz unzähliger therapeutischer Sitzungen in der Forensischen Psychiatrie immer noch keine Erinnerungen an ihre schreckliche Tat hat, was Ärzte und Psychologen als Folge ihrer postnatalen Depression betrachten. Als ihr dann aber auch noch ein Brief mit einem vermeintlich aktuellen Foto ihres inzwischen vierjährigen Sohnes zugespielt wird, regen sich dann aber auch in Susan selbst erste Zweifel. Zwar hat sie all die Jahre damit zugebracht, ihre Schuld zu akzeptieren und glaubt zunächst eher an das perfides Spiel eines Fremden, doch beim Leser sollten spätestens an dieser Stelle die Alarmglocken klingeln: Irgendwas scheint an dem Fall um ihren toten Sohn faul zu sein.
Kein Drama, sondern ein waschechter Psychothriller
Zwar hat Jenny Blackhurst als Aufhänger ihres Romans die psychische Erkrankung Puerperalpsychose (auch Wochenbettdepression genannt) gewählt, was anfangs möglicherweise auf einen gewissen Drama-Anteil an der Geschichte und eine detailliertere Auseinandersetzung mit diesem traurigen Phänomen hindeuten könnte, „Die stille Kammer“ verlagert den Schwerpunkt aber recht schnell auf den Thriller-Plot. Dieser entwickelt sich zunächst so, wie man es anhand des Klappentextes erwarten konnte: Irgendjemand will Susan Webster mit Erinnerungen an Dylan und ihr Verbrechen in den Wahnsinn treiben und scheint mit der vermeintlichen Kindsmörderin noch eine Rechnung offen zu haben. Das liest sich alles recht spannend und auch wenn man eine Ahnung zu haben glaubt, wie der Hase ungefähr läuft, will man doch immer weiterlesen und das Geheimnis um den Unbekannten lüften. Es gibt auch keine Schwierigkeiten, mit der Protagonisten und verurteilten Kindsmörderin mitzufiebern, weil man so oder so gewisse Zweifel an der Schuld(fähigkeit) von Susan hat – sei es, weil sie aufgrund ihrer schweren Depression nur schwer für ihre Tat verantwortlich gemacht werden kann oder weil sie ihren Sohn vielleicht sogar tatsächlich nicht umgebracht hat.
Ein Pageturner mit Suchtpotenzial, dessen Story aber nicht immer glaubwürdig erscheint
Ungefähr ab der Mitte des Buches entwickelt sich die Geschichte dann aber anders, als man es vermutlich erwartet hätte. Nach und nach tun sich immer mehr Abgründe auf und es stehen nicht mehr nur die Geschehnisse um Susan und ihren Sohn im Mittelpunkt. Jenny Blackhurst fährt hier in der zweiten Romanhälfte wirklich einiges auf und lässt „Die stille Kammer“ so immer mehr zum echten Pageturner werden. Dabei sollte man allerdings nicht den Fehler machen, die Ereignisse und Zusammenhänge allzu kritisch zu hinterfragen und das nicht etwa, weil sich in Blackhursts Handlungskonstrukt logische Fehler auftun würden, sondern weil die Story insgesamt doch auf sehr vielen Zufällen und Unwahrscheinlichkeiten beruht und aus diesen Gründen gerade zum Ende hin nicht immer unbedingt sehr glaubwürdig wirkt. Am besten lässt man sich von dem hohen Tempo, den düsteren Geheimnissen und überraschenden Wendungen einfach mitreißen ohne groß darüber nachzudenken, denn dann funktioniert dieser Psychothriller wirklich erstaunlich gut, entwickelt einen regelrechten Suchtfaktor und bietet jede Menge spannender Unterhaltung – und das ist es ja, was man von einem Thriller in erster Linie erwartet. Wer also mit einer etwas überkonstruierten Story leben kann und auch keine allzu intensive Auseinandersetzung mit den thematisierten psychischen Erkrankungen erwartet, wird mit „Die stille Kammer“ sicherlich auf seine Kosten kommen, denn spannend ist Jenny Blackhurst Debütroman ohne jeden Zweifel.
Cover: | |
Charaktere: | |
Story: | |
Atmosphäre: |
8/10