Tags: Der Hörverlag, Dietmar Wunder, Holger Munch, Mia Krüger, Norwegen, Oslo, Selbstmord, Serienmörder
Genre: Krimi, Thriller
Ein Spaziergänger macht in einem Wald eine traurige Entdeckung: An einem Baum baumelt die Leiche eines kleinen Mädchens, aufgehängt mit einem Springseil und mit einem Schild um den Hals, das die Aufschrift „Ich reise allein“ trägt. Dass das Mädchen ein Puppenkleid trägt, verstärkt nur noch den verstörenden Eindruck des Leichenfundes. Der erfahrene Kommissar Holger Munch ahnt bei diesem Anblick früh, dass er bei diesem Fall auf ganz besondere Unterstützung angewiesen ist, nämlich die seiner früheren Kollegin Mia Krüger. Einst ein aufstrebender Star in der norwegischen Polizei und trotz ihres jungen Alters mit dem Ruf einer begnadeten Ermittlerin, hat sich Mia nach einem traumatischen Schicksalsschlag aber auf die kleine Insel Hitra zurückgezogen und dem Dienst und der Außenwelt im Allgemeinen weitestgehend den Rücken gekehrt. Als Holger Much seine Ex-Partnerin aber mit den Fotos vom Tatort konfrontiert und sie um ihre Mithilfe bittet, zögert diese dennoch nicht lange – denn für Mia deutet alles darauf hin, dass das Mädchen nicht das letzte Opfer des Täters bleiben wird…
Ein gescheiterter Ehemann und eine selbstmordgefährdete Ex-Polizistin auf Mörderjagd
Hinter dem Pseudonym Samuel Bjørk versteckt sich nicht nur einer der neuen Stars in der skandinavischen Thriller-Szene, sondern offenbar auch ein kleines Multitalent, denn Frode Sander Øien, wie Bjørk mit bürgerlichem Namen heißt, ist nicht nur Autor und Dramatiker, sondern in seiner Heimat auch ein durchaus erfolgreicher Singer-Songwriter. Diese Zunft ist ja häufig der Melancholie recht nahe und so ist auch der Einstieg in Bjørks ersten Thriller „Engelskalt“ ein sehr trauriger, denn die Geschichte beginnt mit dem Fund eines toten Mädchens, das einsam mitten im Wald von einem Baum hängt. Und auch Bjørks Hauptdarsteller versprühen nicht gerade Frohsinn und Heiterkeit, doch das ist mittlerweile ja fast schon ein Pflichtelement in den düsteren Krimis und Thrillern aus dem kühlen Norden Europas. Überraschend ist hingegen, dass in dem Gespann aus altem Hasen und junger Kollegin der Mitt-Fünfziger Holger Munch trotz gescheiterter Ehe und damit verbundenem Trübsal und Einsamkeit im Vergleich zu Mia Krüger geradezu auf der Sonnenseite des Lebens steht. Denn als die Handlung einsetzt und Krüger von ihrem väterlichen Freund und Mentor um Hilfe gebeten wird, steht Mia eigentlich kurz davor sich das Leben zu nehmen – das Todesdatum ist bereits festgesetzt und die junge Frau fest entschlossen, sich wieder mit ihrer viel zu früh verstorbenen Schwester zu vereinen.
Komplexe Story mit (zu) vielen kleinen Nebenschauplätzen
Ganz schön harter Tobak also, doch Mia Krügers Suizidpläne werden aufgeschoben, um den Mörder des kleinen Mädchens zu fassen und weitere Todesfälle zu verhindern. Passend zu den schwermütigen Protagonisten und dem traurigen Fall setzt „Engelskalt“ dann auch primär auf psychologische Spannung statt auf rohe Gewalt und reißerisches Blutvergießen. Das eher langsame Erzähltempo ist aber auch darin begründet, dass Samuel Bjørk seine Geschichte auf viele kleine Handlungsstränge verteilt und auch entsprechend viele Nebencharaktere einführt – manche nur in der Statistenrolle eines Leichenfinders, andere mit etwas größerer Bedeutung. Auch wenn sich der Zusammenhang mancher Erzählebene nicht so schnell erschließt, so ist doch jeder Teil der Geschichte auf seine Weise interessant: Natürlich steht hauptsächlich die Mordermittlung im Vordergrund, nebenbei geht es aber auch um beunruhigende Entwicklungen in einer sektenähnlichen Gemeinde, zerrüttete Familienverhältnisse, Kindesmissbrauch oder psychische Erkrankungen. Das ist alles durchaus spannend und aufgrund der oft eher kurzen Kapitel auch abwechslungsreich, durch die vielen kleinen Puzzlestücke kommt die Gesamthandlung aber nur recht langsam voran, hier wäre aus meiner Sicht weniger manchmal mehr gewesen. Zudem ist es ärgerlich, wenn sich dann am Ende herausstellt, dass eine in dem Buch doch sehr präsente Nebenstory letztlich gar nichts mit dem Rest zu tun hat und überdies dann auch nur sehr rudimentär aufgelöst wird.
Spannender Thriller mit nicht voll ausgeschöpftem Potenzial
Ein weiterer Aspekt mit Licht- und Schattenseiten sind die Charaktere. Holger Munch und Mia Krüger bringen mit ihren persönlichen Hintergründen viel Potenzial mit, vor allem die junge Polizistin sticht mit ihrer Depression und den Selbstmordabsichten unter den vielen Ermittlerfiguren des Genres auf originelle Weise hinaus. Leider wird Mias innerer Kampf aber nur in den ersten Kapiteln thematisiert – sobald sie wieder in die Ermittlungsarbeit involviert wird, scheinen alle Suizidgedanken und psychischen Probleme bis auf einen gelegentlich erkennbaren Hang zum Alkoholismus wie weggewischt. Zwar sind sowohl Mia Krüger, Holger Munch als auch ihr neuer Computerspezialist Gabriel allesamt interessante und sympathische Charaktere, unter den anfänglichen Voraussetzungen wäre aber hier noch viel mehr möglich gewesen. Diese verpassten Chancen ziehen sich so ein wenig durch das gesamte Buch. „Engelskalt“ ist ohne Frage ein spannender und häufig auch erschütternder Kriminalroman mit einer insgesamt guten Story, vielleicht hätte es dem Buch aber besser zu Gesicht gestanden, wenn man die ein oder andere Nebenhandlung ein wenig gestrafft und die dadurch gewonnene Zeit in eine ausgiebigere Charakterzeichnung investiert hätte. So muss man wohl oder übel auf den nächsten Band warten, um mehr über die Problembewältigung gerade der weiblichen Protagonistin zu erfahren. Der Grundstein für eine vielversprechende Krimireihe ist mit „Engelskalt“ aber auf jeden Fall gelegt, auch weil Dietmar Wunder in der Hörbuchfassung mit seiner gewohnt lebendigen und feinfühligen Lesung für ein intensives Hörerlebnis sorgt.
Charaktere: | |
Story: | |
Atmosphäre: | |
Sprecher: |
7/10