Die Polizistin Nina macht schwere Zeiten durch: Nicht nur dass ihr Ehemann für sie völlig überraschend einen Selbstmordversuch unternommen hat und seit einem Monat im Krankenhaus von Reykjavik nur noch von Maschinen künstlich am Leben erhalten wird – auch beruflich ist Nina auf dem absteigenden Ast. Nach einem unangenehmen Vorfall während eines Einsatzes und einer von ihr eingereichten Beschwerde gegen ihren Partner wird sie von den Kollegen gemieden und in den kalten Keller des Polizeireviers versetzt, wo sie das alte Archiv aufräumen und nicht mehr benötigte Unterlagen aussortieren soll. Dabei stößt sie jedoch in einer Akte zufällig auf den Namen ihres Mannes, der im Jahr 1985 offenbar von der Polizei als Zeuge in einem rätselhaften Suizidfall befragt wurde. Findet sie in diesen alten Dokumenten möglicherweise eine Erklärung für die verzweifelte Tat ihres Mannes?
Drei Island-Geschichte in einem Buch
Der Handlungsstrang um die Polizistin Nina und den tragischen Selbstmordversuch ihres Mannes ist jedoch nur eine von drei Geschichten im neuen Island-Thriller „Nebelmord“ von Yrsa Sigurðardóttir und wie der kurze aber dramatische Prolog vorwegnimmt, wird zumindest eine davon in einer Katastrophe ändern. Parallel zur Ninas Ermittlungen in Reykjavik spielt sich nämlich vor der Küste Islands ein weiteres Drama ab, denn drei Männer und eine Frau sind dort auf einer winzigen Felseninsel gestrandet, nachdem sie bei der Wartung eines alten Leuchtturms von einem heftigen Unwetter überrascht wurden und nun bei eisiger Kälte und an Kräften und Nerven zehrendem Regen auf Rettung warten. Der letzte Handlungsstrang verschlägt die Leser dann wieder auf das Festland, wo eine dreiköpfige Familie aus dem Urlaub zurückkommt und ihr während dieser Zeit von einem amerikanischen Paar bewohntes Haus in einem etwas besorgniserregenden Zustand wiederfindet: Die Amerikaner scheinen ihren Urlaub fluchtartig abgebrochen und ein wahres Chaos hinterlassen zu haben, außerdem schlägt jeglicher Versuch, das Ehepaar zu kontaktieren, plötzlich fehl…
Subtile Spannung ohne großes Spektakel
Trotz den drei unterschiedlichen Ausgangsszenarien braucht „Nebelmord“ jedoch eine ganze Weile, bis die Geschichte wirklich in Fahrt kommt. Langweilig ist die erste Hälfte alleine schon durch die sich abwechselnden und auch recht kurzen Kapitel zwar keinesfalls, doch wirklich viel passiert in dieser Zeit eigentlich nicht. Zwar erzeugen alle drei Erzählstränge schon früh ein leicht mulmiges Gefühl in der Magengegend, einen tatsächlich greifbaren Anlass dafür sucht man aber vergebens: Die Ermittlungen der Polizistin Nina scheinen eine reine Verzweiflungstat zu sein und ein Zusammenhang zwischen dem alten Fall und dem versuchten Selbstmord ihres Mannes höchst unwahrscheinlich, die Situation der vier Gestrandeten ist trotz Spannungen innerhalb der Gruppe von einer lebensbedrohlichen Situation doch noch ein gutes Stück entfernt und auch das spurlose Verschwinden der offenbar unzuverlässigen Amerikaner kann man eigentlich auch unter „schlechte Erfahrung beim Häusertausch“ abhaken – wenn die Autorin nicht zwischendurch kleine Details und Unstimmigkeiten einstreuen würde, die trotz der eher unterschwelligen Spannung immer wieder zum Weiterlesen animieren. Dazu tragen auch die kleinen aber feinen Cliffhanger am Ende der kurzen Kapitel bei.
Ein fesselnder Island-Thriller mit etwas missglücktem Abschluss
Zwar kommt auch der neueste Streich der Vielschreiberin Yrsa Sigurðardóttir (leider) wieder einmal nicht an die intensive Atmosphäre und den grandiosen Nervenkitzel ihres Meisterstücks „Geisterfjord“ heran, trotzdem ist „Nebelmord“ insgesamt ein toll geschriebener und clever konstruierter Island-Thriller. Auch ohne große Schockeffekte weiß jede der drei Geschichten zu fesseln und spätestens im Schlussdrittel möchte man das Buch bis zu der ersehnten Aufklärung und der Offenlegung des Zusammenhangs der einzelnen Erzählstränge kaum noch aus der Hand legen. „Nebelmord“ verzichtet auf großes Spektakel und fährt damit auch sehr gut, lediglich im Schlusskapitel möchte Yrsa Sigurðardóttir wohl noch eine überraschende Wendung draufsetzen und verpasst der eigentlich grundsoliden Geschichte durch diesen aufgezwungenen und wenig glaubwürdig wirkenden Plottwist einen leider etwas verpatzten Abschluss. Trotzdem eignet sich der Roman gut für einen kalten Winternachmittag und ist gerade für Island-Fans allemal einen Blick wert.
Cover: | |
Charaktere: | |
Story: | |
Atmosphäre: |
7/10