Project Cain_Rezi

Jeff Jacobson hat sich zwar nie so richtig wie ein normaler Teenager gefühlt, doch als sein Vater ihm eines Tages aus heiterem Himmel die Wahrheit über seine Existenz erzählt, ist der 15-Jährige dennoch geschockt. Jeff muss nämlich nicht nur erfahren, dass der berühmte Genetiker Dr. Gregory Jacobson gar nicht sein leiblicher Vater ist, sondern auch dass er nur das Ergebnis eines bizarren wissenschaftlichen Experiments im Auftrag der amerikanischen Regierung ist: Jeff Jacobson ist ein Klon, der gerade mal vor sieben Jahren das Licht der Welt erblickt hat. Doch es kommt noch schlimmer, denn wie der Junge seiner Akte entnehmen kann, wurde Jeff aus der DNA eines Mannes erzeugt, den in Amerika fast jeder kennt: Jeffrey Dahmer, einem der schlimmsten Serienmörder aller Zeiten. Doch Jeff ist nicht der einzige geklonte Killer, denn in Dr. Jacobsons Forschungseinrichtung wurden seit Jahren noch andere Serienmörder-Klone erschaffen – und einige davon sind soeben aus dem Institut ausgebrochen…

Geoffrey Girards YA-Begleitroman zu „Cain’s Blood“

Wem das Szenario von Geoffrey Girards „Project Cain“ an dieser Stelle bekannt vorkommt, der wird in jüngerer Vergangenheit vermutlich schon über „Cain’s Blood“ (dt. „Verdorbenes Blut“) vom selben Autor gestolpert sein – und „Project Cain“ erzählt tatsächlich die gleiche Geschichte noch ein weiteres Mal. In dieser Ausgabe steht jedoch nicht der Ex-Soldat Shawn Castillo im Fokus der Geschichte, der die sechs entflohenen Serienkiller-Klone wieder einfangen soll, sondern der 15-jährige Jeff Jacobson, der selbst ein Resultat der skrupellosen Gen-Experimente des US-Verteidigungsministeriums ist. Wer „Cain’s Blood“ gelesen hat, wird sich daran erinnern, dass Castillo die Jagd nach den gemeingefährlichen Jugendlichen gemeinsam mit Jeff aufgenommen hat, somit erwarten einem in diesem YA-Begleitroman zu großen Teilen auch wirklich exakt die gleichen Szenen – nur eben nicht aus der Sicht eines erfahrenen Ex-Soldaten, sondern der eines unsicheren Teenagers. Reicht dieser Perspektivwechsel alleine aus, um die Existenz dieser zweiten Version der Geschichte zu rechtfertigen?

Die gleiche Geschichte nochmal? Ja, aber völlig anders!

Die überraschende Antwort lautet: Ja. Auch ich bin sehr skeptisch an die Lektüre herangegangen und hatte im Vorfeld befürchtet, dass mich ein weiteres Durchleben der bereits bekannten Szenen auf Dauer langweilen könnte. „Project Cain“ funktioniert aber trotzdem hervorragend, weil Geoffrey Girard eben nicht einfach die gleiche Geschichte aus anderer Sicht erzählt, sondern seine jugendliche Variante auch mit einem ganz anderen Stil erzählt. Der Autor konzentriert sich hier nämlich ausschließlich auf seinen 15-jährigen Protagonisten und lässt diesen aus seiner Sicht auf die Ereignisse zurückblicken. Jeffs Erzählweise ist mit dem völligen Verzicht auf direkte Rede zwar ein wenig eigenwillig, passt aber hervorragend und fällt zu keiner Zeit negativ ins Gewicht. Zudem gibt es durch die Ich-Perspektive viel mehr Einblicke in das Seelenleben des Teenagers, was aufgrund dessen prekärer Situation sehr interessant ist – es ist einfach spannend zu erfahren, wie es in einem jungen Menschen aussieht, der erst kurz zuvor erfahren hat, dass er der Klon eines Serienmörders ist. Während die Figur des Jeff Jacobson in „Cain’s Blood“ so oft noch schmückendes Beiwerk und selten mehr als ein lästiges Anhängsel war, wird der Junge nun zu einer eigenständigen Persönlichkeit mit Sorgen und Ängsten, was diese Perspektive für mich zu der deutlich spannenderen als jener Castillos gemacht hat.

Hervorragende und absolut lesenswerte Ergänzung

Es ist jedoch schwer zu sagen, wie ich „Project Cain“ als eigenständigen Roman beurteilen würde und ob dieser alleine ausreicht, um die Geschichte in vollem Umfang zu verstehen. Ich habe es beim Lesen jedenfalls als sehr hilfreich empfunden, bereits die „andere Seite“ der Handlung zu kennen, weil einige wichtige Szenen aus „Cain’s Blood“ hier nur am Rande erwähnt werden. So gibt es in diesem Buch merklich weniger Actionpassagen und drastische Szenen, was zum einen daran liegt, dass Jeff bei dem mörderischen Roadtrip der anderen Klone einfach nicht anwesend ist, aber auch darauf zurückzuführen ist, dass er oft eine etwas größere Distanz zu solchen Erlebnissen aufbaut, um diese besser verarbeiten zu können. „Project Cain“ ist also in gewisser Hinsicht eine etwas entschärfte Variante, deshalb aber keineswegs weniger packend oder gar langweilig. Und auch wenn es manchmal tatsächlich zu Wiederholungen – z.B. bei den Fakten zu Serienkillern, schockierenden Experimenten und Verschwörungstheorien – kommt, so geht Jeff doch immer noch etwas anders an diese Fakten heran, sodass man diese ebenfalls unterschiedlich wahrnimmt. Zusammengenommen ergeben „Cain’s Blood“ und „Project Cain“ also wirklich ein sehr gelungenes Thriller-Paket, bei dem mir die jugendliche Version sogar noch ein bisschen besser gefallen hat als die Erwachsenen-Variante.

Project Cain
  • Autor:
  • Umfang: 368 Seiten
  • Verlag: Simon & Schuster Books
  • Erscheinungsdatum: 3. September 2013
  • Preis Geb. Ausgabe 13,10 €/eBook 8,26 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
9/10
Fazit:
In Verbindung mit "Cain's Blood" ein hervorragender YA-Thriller, der dank der emotionaleren Perspektive und des völlig unterschiedlichen Erzählstils eine zweite Begegnung mit der Geschichte mehr als rechtfertigt.

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