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Der Selbstmord einer Jugendlichen sorgt für Entsetzen und Fassungslosigkeit. Doch Thrillerautor Andreas Winkelmann glaubt nicht an einen Freitod seiner Nichte…

Kathi ist tot. Die fast bis zur Unkenntlichkeit entstellte Leiche der 15-Jährigen wurde auf den Gleisen einer Bahnstrecke gefunden, völlig zerschmettert von dem Zug, der die Schülerin überfahren hat. Familie und Freunde sind schockiert, denn nichts deutete darauf hin, dass Kathi ihrem Leben ein Ende setzen wollte. Zwar beschäftigte sich die Teenagerin in letzter Zeit im Rahmen eines Schulprojekts sehr intensiv mit dem Tod und sorgte mit einigen ungewöhnlichen Aktionen für Aufsehen, allerdings wurde sie von allen stets als ein lebenslustiges Mädchen wahrgenommen.

Ein Thrillerautor untersucht den angeblichen Selbstmord seiner Nichte

Auch der Schriftsteller Andreas Winkelmann kannte seine Nichte als stets fröhliches und freundliches Mädchen, das immer ein großes Interesse an seiner Arbeit als Autor zeigte und später gerne mal selbst in die Fußstapfen ihres Onkels getreten wäre. Aufgrund der gemeinsamen Vorliebe für das Schreiben hatten Winkelmann und Kathi ein sehr enges Verhältnis und auch für ihn waren keinerlei Vorboten eines möglichen Selbstmordes erkennbar. Er weigert sich daher, die offizielle Theorie der Ermittler zu akzeptieren und stellt auf eigene Faust Nachforschungen über den Tod seiner Nichte an. Dabei macht er auf dem Computer der Verstorbenen eine beunruhigende Entdeckung…

Nicht noch ein „Facebook“-Thriller… oder vielleicht doch?

Spätestens seit soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter aus dem heutigen Alltag kaum noch wegzudenken sind, versuchen immer wieder Schriftsteller auf diesen Erfolgszug aufzuspringen und mit Büchern über dieses Thema ihre Verkaufszahlen in die Höhe schnellen zu lassen. Besonders gut geeignet erscheint dafür das Thrillergenre, da man in den Medien ohnehin ständig vor den Gefahren des Internets im Allgemeinen und sozialer Netzwerke im Besonderen gewarnt wird. Da liegt es nahe, über Vergewaltiger und Mörder zu schreiben, die via Facebook neue Opfer auskundschaften und kontaktieren. Leider sind diese Versuche meist qualitativ aber eher dürftig, da es oft den Anschein hat, als würden Autoren überhaupt keine Ahnung haben, worüber sie dort eigentlich schreiben (siehe z.B. Alexander Broichers „Fakebook“). Dass es aber auch anders geht, zeigt Andreas Winkelmann mit seinem aktuellen Thriller „Deathbook“.

Der Autor als seine eigene Hauptfigur

Zugegeben, der Titel des Romans ist mit seiner unverhohlenen Facebook-Anspielung nicht gerade originell, dafür aber die Ausgangsidee des Buches. Hauptfigur des neuen Thrillers von Andreas Winkelmann ist nämlich – Überraschung – Andreas Winkelmann selbst. Und in die Opferrolle schlüpft Winkelmanns (hoffentlich fiktive…) Nichte Kathi, die sich zu Beginn des Romans das Leben nimmt – so sieht es zumindest für fast alle Beteiligten aus. Durch diesen Schachzug wirkt „Deathbook“ stellenweise fast schon wie eine Dokumentation und somit für einen Thriller sehr authentisch. Winkelmann lässt nämlich sein Umfeld ebenfalls in die Geschichte einfließen und schreibt z.B. über seinen Bruder, seine Lektorin oder seine „Informantin“ in Polizeikreisen, die ihm beim Schreiben seiner Geschichten beratend zur Seite steht. Ob und inwieweit diese Personen tatsächlich der Realität entsprechen, lässt sich für mich als Außenstehenden nicht feststellen, es kommt aber alles sehr glaubhaft rüber.

Gelungene und interessante Umsetzung der Internet-Thematik

Da in „Deathbook“ das gleichnamige und morbide Internetportal von zentraler Bedeutung ist, spielt sich folglich auch ein Großteil der Geschichte um und in sozialen Netzwerken ab. Hier hat man zum Glück endlich einmal das Gefühl, dass ein Autor auch seine Hausaufgaben gemacht und anständig recherchiert hat. Facebook & Co. werden nämlich nicht (was einfach gewesen wäre) plump verteufelt, sondern spielen bei Winkelmanns Ermittlungen eine wichtige Rolle. So ruft er z.B. auf seiner Autoren-Facebookseite zur Mithilfe in seinen Recherchen auf, liest und kommentiert Blogartikel oder stellt kontroverse Themen auf seinem Profil zur Diskussion. Dabei greift er nicht auf billige Klischees zurück, sondern setzt sich intensiv mit der Materie auseinander und und beschäftigt sich mit Fragestellungen wie „Was passiert eigentlich nach dem Tod eines Users mit dessem Onlineprofil?“. Das ist nicht nur interessant und liefert viele neue Erkenntnisse, sondern wird auch gekonnt in die Geschichte integriert, sodass man immer den Eindruck erhält, dass Winkelmann auch tatsächlich weiß, wovon er schreibt – was bei dieser Thematik leider keine Selbstverständlichkeit ist.

Routinierte Story und sympathische „Eigenwerbung“

An der Story des Romans gibt es dabei insgesamt wenig auszusetzen. Der Plot ist vielleicht nicht wahnsinnig raffiniert konstruiert, bewegt sich aber durchgehend auf einem angenehmen Spannungsniveau und lockt den Leser mehrfach auf eine falsche Fährte – mal mit Erfolg, mal aber auch etwas leicht durchschaubar. Gut gefallen hat mir, dass der Autor sich nicht nur auf seine eigene Perspektive beschränkt, sondern zwischendurch auch immer wieder andere Charaktere und potenzielle Opfer begleitet, sodass sich die einzelnen Parts zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen. Den Löwenanteil der Handlung nehmen aber dennoch Winkelmanns eigene Nachforschungen ein. Dabei kommt der Autor durchgehend sehr sympathisch rüber, was aber auch keine wirkliche Überraschung ist – schließlich würde man sich im eigenen Roman wohl kaum als arrogantes Arschloch darstellen. Manchmal muss man aufgrund der positiven Selbstdarstellungen zwar ein wenig schmunzeln (etwa wenn sich eine Polizistin bei einer Lesung als großer Fan outet und erzählt, wie nett sie Winkelmann findet), Winkelmann belässt es bei diesen Passagen aber bei einer absolut vertretbaren Portion „Eigenwerbung“ und „Deathbook“ nimmt zu keiner Zeit die Form eines Werbetextes für den Autor selbst an.

Ein Thriller mit interaktivem Bonusmaterial

Was ich leider erst nach der Lektüre herausgefunden habe, ist das besondere und crossmediale Konzept von „Deathbook“. Mir war zwar bewusst, dass der Thriller zunächst im Wochenrhythmus als 10-teilige eBook-Reihe veröffentlicht und dann erst geschlossen als Taschenbuch und Hörbuch auf den Markt kam – über den großen Umfang der Kampagne bin ich aber erst anschließend gestolpert. Die eBooks sollen nämlich noch multimediale und interaktive Elemente wie Videos oder Social Media Beiträge enthalten, mit denen der Leser sich dann auch über das Buch hinaus mit der Geschichte befassen und in Teilen sogar eigene Nachforschungen anstellen kann. Darüber hinaus kann man sich unter death-book.com auch registrieren und dadurch selbst in die Handlung integriert werden. Auch auf der Facebookseite von Andreas Winkelmann gibt es immer wieder neue Aufrufe und fiktive Deathbook-Beiträge, die das realitätsnahe Konzept des Buches zusätzlich abrunden. Es bleibt also jedem selbst überlassen, ob er interaktiv an den Ermittlungen teilnehmen möchte oder es bei der „normalen“ Lektüre belässt. Die erste eBook-Episode gibt es zum Antesten nach wie vor gratis zum Download, allerdings bietet die Printversion (warum auch immer…) 100 Seiten mehr als die digitale Ausgabe. Zum inhaltlichen Verständnis sind die Crossmedia-Elemente aber nicht erforderlich: Ich habe mich auf die Hörbuchfassung beschränkt und hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass mir irgendetwas fehlen würde.

Fazit:
Spannender Internet-Thriller mit originellem Konzept und einer glaubwürdigen Herangehensweise an das Thema „Soziale Netzwerke“ (8/10).

Deathbook
Autor: Andreas Winkelmann; Sprecher: Simon Jäger; Spieldauer: 12 Std. 42 Minuten (ungekürzt); Anbieter: Argon Verlag; Veröffentlicht: 12. Dezember 2013; Preis: 24,95 € (9,95 € im Flexi-Abo).

Link zum Hörbuch

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2 Antworten zu diesem Beitrag

  • Ich hab mal wieder auf deinem Blog gestöbert und diese Rezension gefunden. Hab jetzt schon länger überlegt, ob ich es lesen soll und da dein Fazit sehr gut ausfällt, werd ich es wohl mal versuchen. 😉

    Liebe Grüße
    Petzi