Tags: Amerika, Attentat, Jussi Adler-Olsen, Reformen, US-Präsident, Verschwörung, Waffengesetze, Wahlkampf, Washington
Genre: Thriller
Autor: Jussi Adler-Olsen
Umfang: 656 Seiten
Verlag: dtv
Erscheinungsdatum: 01. Februar 2013
Originaltitel: Washington dekretet
Preis: Gebundene Ausgabe 19,90 €/eBook 15,99 €
Klappentext:
Durch den kaltblütigen Mord an seiner Ehefrau und dem ungeborenen Kind gerät der neu gewählte amerikanische Präsident Bruce Jansen völlig aus dem Gleichgewicht. Er erlässt das ›Washington Dekret‹ – eine politische Entscheidung, die schwerwiegende Folgen nach sich zieht für die gesamte amerikanische Bevölkerung.
Amerika im Ausnahmezustand …
Doggie Rogers, Mitarbeiterin im Stab des Präsidenten, steht nach dem Attentat unter Schock – nicht zuletzt, weil ihr eigener Vater nun des Mordes angeklagt wird. Auf der Suche nach der Wahrheit wird Doggie zur meistgesuchten Frau der USA. Mit Hilfe von Freunden versucht sie das Komplott aufzudecken. Alles ruht nun auf ihren Schultern …
Meine Buchbesprechung:
Es ist eine der Mediengroßereignisse des Jahres in Virginia: Das Wahlkampf-Team von Gouverneur Bruce Jansen hat zu PR-Zwecken zusammen mit einem großen Lokalsender eine neue Quizsendung ins Leben gerufen, die sich über Wochen hinweg zu einem echten Straßenfeger entwickelt. Bei dem Länderquiz „Rund um die Welt“ macht auch die 14-jährige Doggie Curtis mit, die es in der Zuschauergunst schnell nach ganz oben bringt. Die Schülerin schafft es bei der Show sogar bis unter die ersten drei und darf somit den Gouverneur bei seiner nächsten Auslandsreise nach China begleiten. Dort kommt es aber zur Katastrophe, als Jansens Ehefrau während eines Marktbesuches von einem Einheimischen mit dem Messer attackiert wird und kurz darauf ihren schweren Verletzungen erliegt.
Ein Attentat mit radikalen innenpolitischen Konsequenzen
Sechzehn Jahre später hat sich Bruce Jansen von dem Trauma einigermaßen erholt und der inzwischen als Senator tätige Politiker geht als demokratischer Spitzenkandidat in das Rennen um das amerikanische Präsidentenamt. In fast allen Umfragen liegt Jansen souverän vorne und hat dank seines charismatischen Auftretens über die Parteigrenzen hinweg im ganzen Land zahlreiche Anhänger. So überrascht es nicht, als am Wahlabend die ersten Hochrechnungen eindeutig für den Demokraten sprechen und sich das Wahlkampfteam des zukünftigen US-Präsidenten, zu dem auch Doggie Rogers gehört, in einem Hotel versammelt, um dort angemessen den Einzug in das Weiße Haus zu feiern. Doch noch bevor das Wahlergebnis offiziell verkündet wird, geschieht das Unfassbare: Jansen zweite Ehefrau Mimi wird plötzlich niedergeschossen und stirbt. Der geschockte Witwer tritt das Präsidentenamt zwar Wochen später an, sorgt aber kurz nach Amtsantritt mit folgenschweren Reformen für Aufsehen und heftigen Widerstand…
Eines der frühen Werke von Dänemarks Bestsellerautor Jussi Adler-Olsen
Man könnte meinen, bei „Das Washington Dekret“ handelt es sich um einen ganz neuen Roman von Dänemarks Star-Autor Jussi Adler-Olsen, der mit seiner Krimireihe um den eigenwilligen Ermittler Carl Mørck regelmäßig die Bestsellerlisten erobert. Tatsächlich ist das Buch in dessem Heimatland aber bereits 2006 erschienen und wurde nun wie zuvor schon „Das Alphabethaus“ mit ein paar Jahren Verspätung auch in Deutschland veröffentlicht. Eine clevere Verkaufsstrategie vom dtv Verlag, der die Erfolgswelle des Autors nutzt und nun auch noch dessen Frühwerke in hohen Auflagen an den Mann bringt. Clever vor allem deshalb, weil „Das Washington Dekret“ in meinen Augen bei weitem nicht die Qualität der Sonderdezernat-Q-Serie erreicht – doch alleine der Autorenname auf dem Buchcover sollte schon für genügend Absatz sorgen.
Befremdlicher Einstieg und Beginn einer Reihe haarsträubender Zufälle
Das Problem der Geschichte beginnt schon direkt in den ersten Kapiteln, und zwar konkret bei dem auf mich sehr sonderbar wirkenden Konzept der Quizsendung, mit der sich der Gouverneur Bruce Jansen eine noch größere Beliebtheit bei seinen Wählern erhofft. Man stelle sich einmal vor, ein deutscher Politiker käme auf die Idee, sich mit dieser absurden Strategie ein paar Wählerstimmen zu „kaufen“ – ein kapitaler Misserfolg wäre wohl vorprogrammiert. Aber nun gut, Amerika ist ja bekanntlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und so geht Jansens Konzept natürlich auf und wird zum Sensationserfolg. Es geht haarsträubend weiter: Jansen fliegt mit den Siegern nach China, wo er mit ihnen und seiner Familie ein paar Sehenswürdigkeiten besichtigt – was seine Frau schließlich auf tragische Art und Weise das Leben kostet. Ich kann mir jedoch absolut keinen Sicherheitsstab vorstellen, der derart stümperhaft arbeitet und eine so hochrangige Persönlichkeit wie einen amerikanischen Gouverneur offenbar komplett ohne Leibwächter über einen überfüllten Marktplatz spazieren lässt – selbst wenn dies weitab der Heimat passiert, so ist dies doch unter Sicherheitsaspekten betrachtet ein absoluter Albtraum und keine Security, die was auf sich hält, würde dem zustimmen. Fast folgerichtig kommt es dann auch zur Katastrophe und weil das offenbar an Dramatik noch nicht ausreicht, muss 16 Jahre später auch noch die nächste Ehefrau des schillernden Politikers ins Gras beißen.
Ein Präsident sieht Rot
Verständlicherweise braucht Bruce Jansen eine Weile, um sich von dem erneuten Schock zu erholen, schlägt dann aber mit aller Konsequenz zurück. Er legt seinem Stab einen radikalen Entwurf zur Zustimmung zu, mit dem er Amerikas Gesetzgebung in ihren Grundfesten erschüttert: Die Waffengesetze werden extrem verschärft, die Munitionsausgabe strengstens kontrolliert, Todeskandidaten im Eilverfahren hingerichtet und neue Verbrechen kompromisslos geahndet. Gleichzeitig soll es in den USA zu einer Generalamnestie kommen und alle Gefängnisinsassen, die nicht auf ihre Hinrichtung warten, entlassen werden und auf der Straße Sozialdienst leisten, um weitere Straftaten zu verhindern. Nicht nur dass dieses „Washington Dekret“ völlig absurd und verfassungswidrig ist – nein, Mr. President setzt dieses auch noch quasi im Alleingang durch und sich selbst damit einfach über andersgestimmte Mitarbeiter und politische Gegner hinweg. Das kommt natürlich im Land gar nicht gut an und Amerika versinkt in totaler Anarchie, Milizen drehen durch und die USA rutschen gefühlt auf den Status eines Dritte-Welt-Landes ab. Präsident Jansen ist aber nach wie vor fest davon überzeugt, dass sein Land gestärkt daraus hervorgehen wird – falls davon nach seiner Präsidentschaft überhaupt noch etwas übrig ist.
Passend zur aktuellen Debatte um die Verschärfung der Waffengesetze, aber in der Umsetzung völlig unrealistisch
Einerseits trifft Jussi Adler-Olsen mit seinem 2006 erschienenen Buch fast prophetisch den Zahn der Zeit, wo doch gerade nach den jüngsten Amokläufen in den USA die Rufe nach einer Reform der Waffengesetze immer lauter werden. Der Autor geht bei der Entwicklung seiner Geschichte aber entweder total inkompetent oder absolut blauäugig vor, denn selbst der US-Präsident kann nicht auf eigene Faust die Gesetzgebung so dramatisch ändern, wie man an Barack Obamas oft erfolglosen Bemühungen in der jüngeren Vergangenheit sehen kann. Die Präsidenten-Figur des Romans setzt sich aber nicht nur über die Opposition im Inland hinweg, sondern darf auch ohne außenpolitische Konsequenzen UN-Absprachen brechen und sich aus der Weltpolitik fast völlig zurückziehen, ohne dass es im Ausland auch nur eine einzige kritische Stellungnahme dazu gibt. Das ist bei aller schriftstellerischen Freiheit einfach nur hanebüchen.
Ähnlich geht es auch im zweiten Haupthandlungsstrang um Doggie Rogers zu, deren persönliches Schicksal seit der angesprochenen China-Reise eng mit der Karriere von Bruce Jansen verbunden ist. Ihrem Vater, einem überzeugten Republikaner, gehört nämlich das Hotel, in dem Mimi Jansen dem Attentat zum Opfer fällt – und nicht nur weil dieser ausdrücklich auf der Ausrichtung der Wahlfeier bestand wird Bud Curtis schnell als Drahtzieher des Mordes ausgemacht. Die Beweise gegen ihn sind eindeutig und da er selbst keine Anstalten macht, sich ernsthaft gegen die Anklage zur Wehr zu setzen, wird er fast schon zwangsläufig zum Tode verurteilt. Kaum sitzt er jedoch in der Todeszelle, beteuert er plötzlich mit aller Kraft seine Unschuld und gibt an, einer Verschwörung zum Opfer gefallen zu sein – was seine Tochter im Folgenden aufzuklären versucht. Dieser plötzliche Stimmungsumschwung ist genauso unglaubwürdig wie die Tatsache, dass alle (und ich meine wirklich alle!) an der folgenschweren Auslandsreise beteiligten Personen 16 Jahren später in die aktuellen Ereignisse verwickelt sind.
Trotz aller Mängel kurzweilig und auf solidem Spannungsniveau
Bei allen haarsträubenden Ereignissen und Zufällen muss man dem Autor aber auch zugestehen, dass das Buch in Bezug auf den Unterhaltungsaspekt nicht schlecht geschrieben ist. Die Eingewöhnung fällt aufgrund der vielen Namen und diverser kleinen Nebenhandlungsstränge zwar nicht so leicht, abgesehen davon ist die Geschichte aber recht kurzweilig. Es gibt Reizpunkte an allen Ecken und Enden, sodass man trotz des 650-Seiten-Umfangs nicht behaupten kann, das Buch wäre langatmig. Störend sind jedoch die vielen Rechtschreibfehler, die bei einem so prominenten Werk eigentlich nicht passieren dürfen. Hier hatte das Lektorat wohl beim Korrekturlesen nicht gerade seine beste Phase; mein Lieblingsschnitzer ist folgender: „Aber immerhin lag ein Leibwächter mit durchgeschnittener Kerl am Fundort des Briefes.“ (S. 219, Z. 2f.)
Schlussfazit:
Insgesamt betrachtet ist „Das Washington Dekret“ ein passabler Thriller, der dank des angenehmen Erzähltempos und der vielen Erzählstränge durchaus ordentlich unterhält. Geht man mit dem Anspruch eines spannenden Unterhaltungsromans an das Buch heran, so wird diese Erwartungshaltung letztlich solide befriedigt.
Als Unterhaltungsroman okay, als realistischer Politthriller eine Enttäuschung
Als realistischer Politthriller ist Jussi Adler-Olsens Frühwerk aber eine einzige Enttäuschung, denn die Geschichte ist so voller unglaubwürdiger und unlogischer Ereignisse, dass man das vom Autor entwickelte Szenario einfach nicht ernst nehmen kann. Fast jeder gute Ansatz wird maßlos übertrieben oder nicht richtig zuende gedacht und die Story ist letztlich deutlich zu radikal, als dass sie in der heutigen Zeit so oder so ähnlich stattfinden könnte. Nun könnte man argumentieren, Adler-Olsen möchte mit seinem Roman ein mahnendes Beispiel geben und ein mögliches Schreckensszenario skizzieren, allerdings sind manche Sachverhalte einfach derart stümperhaft dargestellt, dass selbst diese Intention nicht wirklich funktionieren kann. Somit ist „Das Washington Dekret“ für mich persönlich eine mittelschwere Enttäuschung und kann bei weitem nicht mit den neueren Werken des Autors mithalten.
Meine Wertung: 5/10
Informationen:
„Das Washington Dekret“ von Jussi Adler-Olsen ist im dtv Verlag erschienen und hat einen Umfang von 656 Seiten. Das Buch ist für 19,90 € als gebundene Ausgabe und für 15,99 € als eBook erhältlich. Weitere Infos gibt es auf der Verlags-Homepage.