Autor: Franck Thilliez
Umfang: Der rote Engel
Verlag: Ullstein Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 10. Juni 2009

Klappentext:
Eine grausige Mordserie fordert die ganze Aufmerksamkeit von Kommissar Franck Sharko. Er ist froh um die Ablenkung, denn vor einem halben Jahr ist seine Frau spurlos verschwunden. Die Ermittlungen führen in die düsteren Bereiche des Internets, zu gewaltsamen Sexualpraktiken und mörderischen Snuffvideos. Der Mörder will Sündern die Hölle auf Erden bereiten. Und er hat Sharkos Frau in seiner Gewalt.

Meine Buchbesprechung:
Kommissar Franck Sharko von der Direction Centrale de la Police Judiciaire (DCPJ), der Zentraldirektion der französischen Kriminalpolizei, macht seit Monaten eine schwere Zeit durch. Vor einem halben Jahr ist seine Ehefrau spurlos verschwunden und er selbst kann seitdem kaum einen klaren Gedanken fassen. Da kommt ihm der grausame Mord an einer Frau in der Nähe von Paris fast schon entgegen, denn endlich hat Sharko wieder eine Aufgabe, mit der er sich von der Sorge um seine Frau ein wenig ablenken kann. Als er aber schließlich am Tatort eintrifft, muss er jedoch erst einmal schlucken, denn so ein brutales Verbrechen ist selbst ihm mit seiner langjährigen Erfahrung noch nicht untergekommen.

Grausam inszenierter Mord sorgt für Entsetzen und Fassungslosigkeit

Die 36-jährige Martine Prieur wurde nämlich nicht nur ermordet, sondern vor ihrem Tod auch noch massiv gefoltert. Hierzu hat sich der Täter eine spezielle Konstruktion einfallen lassen, mit der er sein Opfer an mehreren Ketten und Fleischerhaken an die Decke ihres Zimmers gezogen hat. Das alleine reichte dem Mörder aber offenbar noch nicht, denn nach seiner Tat hat er der Mutter der Toten auch noch einen zynischen Brief geschrieben, in welchem er sein Verbrechen schildert und rechtfertigt. Eine Kopie davon landet auch im E-Mail-Postfach von Kommissar Sharko, der mithilfe eines befreundeten Computerspezialisten in den angehängten Fotos auch noch eine versteckte Botschaft entdeckt. Während der Techniker fieberhaft an deren Entschlüsselung arbeitet, führen die Spuren an der Leiche Sharko in die Bretagne, wo er von einem weiteren rätselhaften Todesfall erfährt…

Ein Serienauftakt mit Vorgeschichte

„Der rote Engel“ ist der erste Roman des französischen Autors Franck Thilliez, fühlt sich auf den ersten Seiten aber nicht wirklich an wie ein Erstling. Das liegt vor allem an der Hintergrundgeschichte seines Protagonisten. Denn wie erwähnt ist die Frau von Kommissar Sharko seit sechs Monaten wie vom Erdboden verschluckt und niemand weiß, ob Suzanne überhaupt noch am Leben ist. Die Art, wie diese Vorgeschichte zu Beginn des Buches geschildert wird, erweckte bei mir des öfteren den Anschein, als hätte ich es mit der Fortsetzung einer Krimireihe zu tun, in der die Entführung Suzanne Sharkos bestimmt das Thema des Vorgängerbandes war. Wie mir aber eine wiederholte Recherche versicht hat, ist „Der rote Engel“ der erste Roman mit Kommissar Franck Sharko, und so habe ich die Umstände etwas befremdet erst einmal so hingenommen.

Ein schwer verdaulicher Thriller mit enorm viel Brutalität

Nachdem dieser Figurenbackground kurz abgehandelt wurde, verliert Franck Thilliez auch nicht viel Zeit, um dem Leser zu zeigen, wo es auf den folgenden rund 400 Seiten lang geht. Bereits die erste Tatortbegehung sorgt für einen unangenehmen Schlag in die Magengrube, denn das perfide Arrangement des weiblichen Opfers ist absolut nichts für zarte Gemüter. Der Autor schildert schonungslos und detailliert, wie der offenbar eiskalt berechnende Killer die Frau gequält und aufgehängt hat, sodass man an einigen Stellen erst mal schlucken muss. Außerdem muss man sich darauf gefasst machen, dass es ähnlich heftig weitergeht, denn Martine Prieur bleibt längst nicht das einzige Opfer. Wer also mit harten und gewaltvollen Thrillern nichts anfangen kann, sollte besser gleich die Finger von diesem Buch lassen, denn „Der rote Engel“ ist ein Roman mit einem bemerkenswert hohen Maß an Brutalität, in der sich der Autor mit der bloßen Andeutung schwer verdaulicher Szenen bei weitem nicht zufrieden gibt. Im Laufe der Handlung wird munter geschlitzt, verstümmelt und gequält – und das betrifft nicht immer nur die Verbrechen selbst.

Sharkos Ermittlungen führen in die SM-Szene von Paris

Frank Thilliez hat seinen Erstling nämlich zudem auch noch in einem befremdlich wirkenden Milieu angesiedelt, und zwar in der SM- und Bondage-Szene rund um die französische Hauptstadt. Die ersten Hinweise im Mordfall deuten früh darauf hin, dass das Opfer möglicherweise einige dunkle Geheimnisse hatte, die der Killer durch seine Taten enthüllen und verurteilen wollte. Auch hier lässt der Autor nicht viel aus und grast das Repertoire an extremen Sex-Praktiken weitestgehend ab. Wer das abkann, bekommt aber eine spannende und rasante Geschichte geboten, die nicht viel Zeit zum Verschnaufen lässt. Die Spurensuche ist fesselnd geschrieben und sorgt insbesondere durch die direkte Kontaktaufnahme des Mörders mit Kommissar Sharko für den erhofften Thrill. Allerdings sind manche Entwicklungen etwas arg sprunghaft und vielleicht nicht immer ganz nachvollziehbar. Zudem lässt Thilliez auch gelegentlich noch eine spirituelle Ebene in seine Geschichte einfließen, die nicht so wirklich zum rationalen Ermittler passen will. Glücklicherweise übertreibt es der Autor aber mit diesen übersinnlichen Szenen nicht, sodass man über die manchmal etwas absurd wirkenden Momente so gerade noch hinwegsehen kann.

Unerwartet bildgewaltiger Schreibstil kontrastiert den brutalen Inhalt

Wodurch „Der rote Engel“ aber neben der extremen Brutalität auch noch auffällt, ist der bemerkenswerte Schreibstil. Denn trotz der vielen abstoßenden und schockierenden Szenen ist Thilliez‘ Ausdruckweise von unerwarteter Schönheit, die sich vor allem in einer sehr blumigen und bildhaften Sprache äußerst. Dieser fast schon poetische Stil steht in einem krassen Gegensatz zum knallharten Inhalt und sorgt so für einen interessanten Kontrast, der mir in dieser Form noch bei keinem Thriller aufgefallen ist. Dabei habe ich die vielen Metaphern und Ausschmückungen keinesfalls als schwülstig oder unangenehm empfunden, sondern war eher fasziniert, wie „schön“ man solch erschütternde Ereignisse schildern kann.

Sympathische aber wenig originelle Ermittlerfigur

Kurz noch ein paar Worte zur Hauptfigur: Kommissar Franck Sharko ist ein weiterer Vertreter des beliebten Ermittlertyps „einsamer Wolf mit kaputtem Privatleben“. Das ist natürlich vor allem auf das traumatische Erlebnis mit seiner Frau zurückzuführen, welches dafür gesorgt hat dass Sharko sich immer mehr zurückgezogen hat. Freunde hat er kaum, obwohl er die meiste Zeit des Buches eigentlich recht sympathisch wirkt. Allerdings schreckt auch er nicht davor zurück, mit seinen Ermittlungsmethoden die Grenzen der Legalität ein wenig „auszudehnen“. Da bekommen Verdächtige oder unkooperative Zeugen auch schon mal eine Tracht Prügel, um die Gesprächsbereitschaft ein wenig anzukurbeln. Als Höhepunkt gibt es dann noch eine eher lächerliche Gladiatorenszene, in der er einen Gangsterboss im Schwertkampf besiegen muss, um ihn anschließend befragen zu dürfen. Dass es der zwar nicht unsportliche aber in dieser Disziplin nichtsdestotrotz völlig ungeübte Sharko schafft, einen trainierten Gegner dann recht mühelos zu besiegen, sorgt beim Leser für ungläubiges Kopfschütteln – nicht die einzige Stelle, an der Franck Thilliez etwas zu dick aufgetragen hat.

Schlussfazit:
All die oben aufgeführten Punkte lassen „Der rote Engel“ womöglich schlechter erscheinen, als es das Buch eigentlich ist. Denn trotz mancher Unglaubwürdigkeit ist Franck Thilliez hier ein sehr fesselnder Thriller geglückt, der den Leser schnell mitreißt und nahezu gar keine Längen aufweist. Die Story ist geschickt konstruiert und überrascht durch so manche gelungene Wendung sowie die unerwartete Auflösung.

Französisch, blutig, spannend, gut

Allerdings ist das Buch sehr brutal und geht bei unangenehmen Szenen immer bis ins letzte Detail, zudem ist die harte SM-Thematik sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Umso überraschender ist da der angenehme und bildhafte Schreibstil Thilliez‘, der diese Buch zu einer interessanten Erfahrung macht. Wer sich also nicht so schnell schocken lässt und auch mit heftigen und blutigen Szenen klarkommt, dem könnte „Der rote Engel“ gefallen, denn Thilliez‘ reiht sich mit seinem Romandebüt mühelos ein in die Tradition hochkarätiger und düsterer französischer Thriller.

Meine Wertung: 8/10

Informationen:
„Der rote Engel“ von Franck Thilliez ist im Ullstein Taschenbuch Verlag erschienen und hat einen Umfang von 448 Seiten. Das Buch ist für 8,95 € als Taschenbuch erhältlich. Weitere Infos gibt es auf der Verlags-Homepage.

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