Tags: Chevy Stevens, Entführung, Immobilienmaklerin, Kanada, Opfer, Psychoterror, Spannung, Täter, Therapie, Vergewaltigung
Genre: Drama, Krimi, Thriller
Autor: Chevy Stevens
Umfang: 413 Seiten
Verlag: Fischer Verlage
Klappentext:
Was würdest du tun, wenn dich jemand am helllichten Tag entführt? Wenn du ihm vollkommen ausgeliefert bist? Wenn es aus dieser Hölle kein Entkommen gibt? Würdest du töten? Und wäre dann wirklich alles vorbei?
Ein Thriller wie ein Albtraum, der immer wieder neu beginnt.
„Düster, beunruhigend, atemberaubend und einfach absolut packend.“ Kathy Reichs
„Dieser außergewöhnliche Thriller wird Sie von der ersten Seite an in Bann halten und noch lange, nachdem Sie das Buch fertiggelesen haben.“ Karin Slaughter
Ein ganz normaler Tag, ein ganz normaler Kunde mit einem freundlichen Lächeln. Doch im nächsten Moment liegt die junge Maklerin Annie O’Sullivan betäubt und gefesselt in einem Lastwagen. Als sie erwacht, findet sie sich in einer abgelegenen, schallisolierten Blockhütte wieder. Ihr Entführer übt die absolute Kontrolle über sie aus. Ein endloser Albtraum beginnt, hinter dem ein noch schlimmerer auf sie wartet …
Zum Roman:
Annie O’Sullivan ist Immobilienmaklerin in der fiktiven Ortschaft Clayton Falls auf Vancouver Island (Kanada). Zu Beginn der Geschichte hält sie eine Open-House-Besichtigung ab, die jedoch alles andere als erfolgreich verläuft. Kurz vor Schluss taucht dann doch noch ein Interessent auf, der sich von Annie durch das Haus führen lässt. Doch als die Maklerin ihren vermeintlichen Kunden einen Moment aus den Augen lässt, wird sie von ihm überwältigt und gezwungen, in einen Lieferwagen einzusteigen. Der Entführer verschleppt sie in eine verlassene Holzhütte in den Bergen, weit entfernt von der rettenden Zivilisation.
In der Hütte hat der Fremde alles perfekt vorbereitet. Fenster, Türen und Schränke sind verschlossen, ein Entkommen scheint unmöglich. Zudem hat „Psycho“, wie Annie ihren Entführer für sich nennt, einen knallharten Regelkatalog ausgearbeitet, den sein Opfer strikt befolgen muss. Bei Gehorsam gibt es „Belohnungen“, Zuwiderhandlungen werden brutal bestraft. Jeden Abend wird Annie von ihrem Peiniger gebadet und herausgeputzt, um sich dann anschließend von ihm vergewaltigen lassen zu müssen. Verzweifelt versucht die Maklerin, ihrer Hölle zu entkommen, muss sich jedoch immer mehr mit ihrem grausamen Schicksal abfinden.
Interessant ist bei „Still Missing – Kein Entkommen“, dem Debütroman der Autorin Chevy Stevens, die ungewöhnliche Erzählweise. Die komplette Handlung wird nämlich rückblickend in Annies Therapiesitzungen geschildert, aus den Kapiteln werden somit „Sitzungen“. Dabei kommt jedoch nur die Patientin zu Wort, die Therapeutin sagt während des gesamten Buches kein einziges Wort. Dies wird von der Protagonistin auch gleich zu Beginn klargestellt, da sie auf Zwischenfragen keinerlei Wert legt und sie die Sitzungen entweder auf ihre Art abhalten will oder gar nicht.
An der Ausgangssituation kann man bereits erahnen, dass Annie sich letztlich doch aus ihrem Martyrium befreien konnte, denn sonst würde sie wohl kaum nun bei einer Psychiaterin sitzen. Dies tut der Spannung überraschendeweise jedoch keinen Abbruch, denn der Roman besitzt eine klare Einteilung in zwei grundlegend verschiedene Hälften. Im ersten Teil berichtet Annie von ihrer Entführung und dem Leben mit ihrem Peiniger. Hier lässt sie kein noch so schmerzhaftes Detail aus. Die Schilderungen sind sehr verstörend und vermitteln gut die Hölle, durch die das Opfer gehen musste. So versucht der Fremde zum Beispiel jeden Abend, seine Gefangene zu vergewaltigen. Da Annie sich nach und nach aber immer mehr in ihr Schicksal ergibt, hat der „Psycho“ Schwierigkeiten mit der Potenz. Denn ihn erregt es nur, wenn sein Opfer sich auch wehrt. Folglich lässt er seinen Frust über die gescheiterten Missbrauchsversuche an Annie aus, bis diese sich entschließt, ihrem Entführer bei der Vergewaltigung zu „helfen“ und Widerstand vorzutäuschen, um den späteren Schlägen zu entgehen. Solche Passagen sind nahezu an der Tagesordnung und zeigen, dass dieser Roman nichts für schwache Nerven ist.
Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, gelingt es Annie aber wie anfangs vermutet doch noch, sich zu befreien und in die Zivilisation zurückzukehren. Da dies bereits zur Mitte des Buches passiert, war ich zunächst überrascht, hatte ich diese Wendung doch erst zum Schluss der Handlung erwartet. Wo andere Thriller aufhören, geht „Still Missing“ aber erst richtig los. Wieder zurück in Clayton Falls muss Annie versuchen, in ihr altes Leben zurückzukehren, was ihr nach den grausamen Erlebnissen in der Berghütte jedoch nur kaum bis gar nicht gelingt. Sie zieht sich völlig aus dem sozialen Alltag zurück, vergrault ihren Freund und ihre beste Freundin, und auch das Verhältnis zu ihrer Mutter ist noch angespannter als vor ihrer Entführung.
Gleichzeitig verfolgt der Leser die von Annie geschilderten Ermittlungen der Polizei, die nach der Identität und den Motiven des Täters sucht. Denn diese bleiben auch nach der geglückten Befreiung erst einmal unklar. Dabei ist es erstaunlich, dass die Autorin den Spannungsbogen immer noch hoch hält, obwohl die eigentliche Entführung längst vorbei ist. Vor allem die Suche nach dem „Warum“ gestaltet sich äußerst interessant und sorgt am Ende der Handlung für eine überraschende und schockierende Auflösung, wenn auch die Beweggründe der letztendlich Verantwortlichen hier nicht ganz überzeugend sind.
Erfreulicherweise kommt der Thriller ohne großes Blutvergießen aus, das Grauen spielt sich überwiegend auf der psychologischen Ebene ab. Dabei schafft es Chevy Stevens, dass die Handlungen und Gedanken der Hauptfigur stets nachvollziehbar bleiben. Zudem sind die Schilderungen Annies in den Therapiesitzungen immer wieder mit Sarkasmus und schwarzem Humor versehen, was die angespannte Situation von Zeit zu Zeit ein wenig auflockert.
Mein Fazit:
„Still Missing – Kein Entkommen“ ist ein ungewöhnlicher aber gelungener Psychothriller mit einer interessanten Erzählperspektive aus Sicht des Opfers sowie zwei grundverschiedenen Hälften. Die Charaktere, allen voran die Immobilienmaklerin und ihr Entführer, sind gut ausgearbeitet und überzeugen. Vor allem das Psychoduell zwischen den beiden erzeugt enorme (An-)Spannung und schafft eine sehr bedrohliche und unangenehme Atmosphäre. Das Spannungsniveau bleibt konstant hoch, der Schreibstil liest sich flüssig. Die finale Auflösung sorgt für eine unerwartete Wendung, ist in meinen Augen aber nicht ganz überzeugend. Trotzdem bleibt „Still Missing“ ein faszinierendes Buch, welches man nur schwer aus der Hand legen kann. Interessantes Detail am Rande: Die Autorin Chevy Stevens arbeitete früher selbst als Immobilienmaklerin und entwickelte bei ihren oft einsamen Open-House-Besichtigungen die Idee für ihren Debütroman, hier gibt es also eine Parallele zwischen Autorin und Hauptfigur.
Meine Wertung: 8/10
Informationen:
„Still Missing – Kein Entkommen“ von Chevy Stevens ist im Fischer Verlag erschienen und hat einen Umfang von 413 Seiten. Das Buch ist für 8,99 € als Taschenbuch im Handel erhältlich.