Tags: Arthur Conan Doyle, Baker Street Irregulars, Bram Stoker, London, Mord, Sherlock Holmes, Sherlockians
Genre: Historischer Roman, Krimi
Januar, 2010: Hunderte enthusiastische Sherlock-Holmes-Fans haben sich in New York versammelt, um dort in einem Hotel das jährliche Treffen der Baker Street Irregulars zu begehen – unter ihren auch der 29-jährige Harold White, der gerade erst als einer der jüngsten „Sherlockians“ überhaupt die Aufnahme in diese elitäre Gesellschaft geschafft hat. Gespannt fiebern die Mitglieder der Eröffnungsrede der Veranstaltung entgegen, denn Gerüchten zufolge soll dort der renommierte Holmes-Forscher Alex Cale mit einer spektakulären Enthüllung aufwarten: Angeblich ist es ihm gelungen, nach Jahrzehnten der Suche endlich das verschollene Tagebuch Arthur Conan Doyles aufzufinden, das verraten soll, aus welchen Motiven der Schriftsteller seinen im Schweizer Reichenbachfall tödlich verunglückten Helden Jahre nach dessen letztem Auftritt plötzlich wiederauferstehen hat lassen. Doch bevor Cale seinen Schatz der Öffentlichkeit präsentieren kann, wird er ermordet in seinem Hotelzimmer aufgefunden – und von dem Tagebuch fehlt jede Spur…
Wenn der Mord an einem Sherlock-Holmes-Enthusiasten zum Kriminalroman wird
Kurz nachdem der berühmte britische Schriftsteller und Sherlock-Holmes-Schöpfer Arthur Conan Doyle im Jahr 1930 verstarb, verschwanden einige Dokumente auf rätselhafte Weise aus dessen Nachlass: Briefe, unveröffentlichte und halbfertige Geschichten und eines seiner Tagebücher. Mehr als 70 Jahre rankten sich gerade um letzteres zahlreiche Legenden, bis der prominente Sherlock-Holmes-Forscher Richard Lancelyn Green im Jahr 2004 verkündete, den „Heiligen Gral der Holmes-Enthusiasten“ gefunden zu haben – und nur wenig später einem bis heute ungeklärtem Mord zum Opfer fiel. Um diese wahren Begebenheiten hat der Amerikaner Graham Moore seinen Roman „The Sherlockian“ aufgebaut, dessen Beginn mit dem Fall Richard Green auch bewusst deutliche Parallelen aufweist. Und so ernst die Umstände auch sein mögen: Wenn auf einem Kongress hartgesottener Sherlock-Holmes-Fans, die unabhängig vom Alter alle stilecht in Deerstalker-Mützen herumlaufen und den Meisterdetektiv als reale historische Person betrachten, plötzlich einer dieser „Sherlockians“ durch Fremdeinwirkung ums Leben kommt und die Todesumstände dann auch noch verblüffende Gemeinsamkeiten zu Doyles „Eine Studie in Scharlachrot“ aufweisen, so wirkt dies schon ein wenig skurril.
Ein Sherlock-Nerd in den Fußstapfen seines großen Vorbildes
Für einen dieser Sherlock-Nerds hat an dieser Stelle die große Stunde geschlagen: Harold White, ambitionierter und aufstrebender Jungstar der Szene, der sich mit einigen Veröffentlichungen in einschlägigen Publikationen bereits einen beachtlichen Ruf erarbeitet hat und anlässlich des Mordes die Chance gekommen sieht, in die Fußstapfen seines Vorbildes Sherlock Holmes zu treten und den Fall mit all seinen Kenntnissen der Doyle-Texte selbst aufklären zu können. Und wer auch nur ein bisschen eine gewisse Faszination für die Geschichten des berühmtesten Detektivs der Literaturgeschichte aufbringen kann, wird an Harolds Ermittlungen sicherlich seine Freude haben, denn Graham Moore ist hier wirklich mit viel Akribie und spürbarer Begeisterung für Doyles Werke vorgegangen. Überall im Roman finden sich zahlreiche Zitate und Anspielungen auf die Originaltexte und auch die Geschichte an sich entpuppt sich schnell als gelungene Hommage an Arthur Conan Doyle und seinen Helden.
Ein (teilweise historischer) Krimi mit prominenten Gaststars
Als besonderes Schmankerl gibt es darüber hinaus noch einen weiteren Handlungsstrang, in dem es darum geht, im Jahr 1901 eine rätselhafte Mordserie aufzuklären – und die Ermittler in diesem Fall sind niemand geringeres als „Dracula“-Autor Bram Stoker und Sir Arthur Conan Doyle höchstpersönlich, der erst wenige Jahre zuvor seine berühmteste Schöpfung zum Tode verurteilt hat, weil er ganz einfach wahnsinnig davon genervt war, dass Sherlock Holmes sein ganzes Leben vereinnahmt hatte und er nur noch auf diese eine Figur reduziert wurde – ein Schritt, der ihm im Übrigen eine große Welle der Empörung seitens der Londoner Bevölkerung eingebrockt hat. Und wie Harold White in der Gegenwarts-Handlung will auch Doyle die sich ihm durch Zufall bietende Gelegenheit nutzen, um zu beweisen dass auch er selbst das Zeug zu einem genialen Ermittler hat und Sherlock Holmes seine Kombinationsgabe einzig und allein dem Geist seines Schöpfers zu verdanken hat. Klingt ein bisschen nach ziemlich egozentrischen Protagonisten dieses Kriminalromans, doch Graham Moore erzählt die beiden Geschichten wirklich sehr charmant und mit dem an manchen Stellen nötigen Augenzwinkern – etwa wenn der große Arthur Conan Doyle auf offener Straße von einer alten Frau mit Handtasche geprügelt wird, weil diese den Tod Sherlock Holmes‘ nicht verkraften kann.
Liebevoll inszenierte Hommage an Arthur Conan Doyle und seinen Helden
„The Sherlockian“ bietet also fast ein Rundum-sorglos-Paket für Sherlock-Holmes-Fans, bei der die Faszination und der Respekt des Autors für die Werke Doyles auf jeder Seite zu spüren sind. Historische Fakten werden geschickt mit Mythen und Gerüchten verwoben und auch atmosphärisch gelingt es Moore sehr gut, das London des Jahres 1901 einzufangen. Dass die Kriminalfälle selbst dabei vielleicht nicht so außergewöhnlich sind, dass sich ein Sherlock Holmes daran die Zähne ausgebissen hätte, ist dabei mehr als verzeihlich – wann bekommt man schließlich schon mal die Gelegenheit, mit Schriftsteller-Legenden wie Arthur Conan Doyle und Bram Stoker auf Mörderjagd zu gehen? Wer also gerne mal zu den Geschichten des Meisterdetektivs greift, wird sicherlich auch an „The Sherlockian“ seine Freude haben. Ob der Roman jedoch auch Nicht-Enthusiasten begeistern kann und unabhängig des Holmes-Mythos funktioniert, müssen andere beurteilen – darauf ist das Buch aber ehrlich gesagt auch nicht ausgelegt.
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8/10