Es ist eher eine Seltenheit, dass es Kriminalromane aus dem asiatischen Raum rüber in die westlichen Bücherregale schaffen und wenn, dann sind es oft Werke japanischer Autoren wie Keigo Higashino oder Hideo Yokoyama, die es hierzulande zumindest annähernd in den Mainstream schaffen. Daher lässt es durchaus aufhorchen, wenn zur Abwechslung einmal ein Spannungsroman aus China eine deutsche Übersetzung erhält – wenn auch in diesem Fall nur über den Umweg aus dem Englischen und das auch erst ein gutes Jahrzehnt nach der Erstveröffentlichung. Besonders neugierig wird man dann aber, wenn es sich gleich um eine ganze Trilogie handelt, denn genau das ist dem chinesischen Autor Zhou Haohui mit seiner „18/4“-Reihe gelungen, die mit dem Roman „Der Hauptmann und der Mörder“ ihren Anfang findet.
Trilogie-Auftakt aus dem Reich der Mitte
Während die Serie im Original sowie in der englischen Übersetzung unter dem Titel „Todesanzeige“ läuft hat sich der Heyne Verlag für den deutschen Markt für das etwas kryptische „18/4“ entschieden – wohl nicht ganz ohne Hintergedanken, denn rätselhafte Zahlen haben ja schließlich schon bei Hideo Yokoyama gut funktioniert, wenn man z.B. an dessen Bestseller „64“ denkt. Nun ist der deutsche Titel zwar nicht unpassend, da „18/4“ der Name der in dieser Geschichte ermittelnden Sondereinheit ist, wie so oft beschreibt das Original es aber auch diesmal treffender, denn die titelgebenden Todesanzeigen sind das Markenzeichen des Serienkillers „Eumenides“, der in Zhou Haohuis Roman sein Unwesen treibt – und das bereits zum zweiten Mal.
Katz-und-Maus-Spiel eines Serienkillers
Denn bereits vor 18 Jahren hielt „Eumenides“ in der chinesischen Großstadt Chengdu die Polizei zum Narren und konnte nicht für seine Verbrechen belangt werden, nun ist der Mörder offenbar nach einer langen Pause zurückgekehrt. Besonders perfide an seiner Vorgehensweise ist die Tatsache, dass er seine Morde bereits im Vorfeld durch Todesanzeigen mit den Namen und Sterbedaten seiner Opfer ankündigt, „Eumenides“ aber dennoch seinen Jägern immer einen Schritt voraus ist und unbehelligt seine brutalen Taten ausüben kann – ein bisschen also wie das chinesische Pendant des berüchtigten Zodiac-Killers, der sich in den 1960er Jahren im amerikanischen San Francisco ein ähnliches Katz-und-Maus-Spiel mit Medien und Ermittlern lieferte. Allerdings tötet „Eumenides“ nicht rein willkürlich, sondern bestraft seine Opfer für Verfehlungen aus deren eigener Vergangenheit – vielleicht also doch eher ein chinesischer „Dexter“.
Aufgepasst und mitgedacht
Wie bei vielen importierten Romanen aus Asien ist auch bei „Der Hauptmann und der Mörder“ eine gewisse Einarbeitungszeit erforderlich, da die Namen von Personen und Orten für westliche Ohren nicht nur ungewohnt klingen, sondern sich in vielen Fällen in der deutschen Schreibweise sogar auch nur um einen einzigen Buchstaben unterscheiden, wenn z.B. von „Zeng“ und „Zheng“ oder „Zhou“ und „Zou“ die Rede ist. Mit ein wenig Konzentration sollte das aber keine größeren Schwierigkeiten bereiten und man kann sich ablenkungsfrei auf die Geschichte einlassen, die von Beginn an viel zu bieten hat.
Unaufgeregt zum Nervenkitzel
Zhou Haohui schreibt wie viele seiner asiatischen Kolleg:innen zwar insgesamt eher nüchtern und unaufgeregt, dennoch passiert auf den nur rund 360 Seiten so viel, dass man am besten kein Detail verpasst, um in diesem komplexen Story- und Figurengeflecht nicht den Überblick zu verlieren. Die Taktfrequenz der Morde ist hoch und auch wenn der Autor auf reißerische Einzelheiten meist verzichtet und sich die geschilderte Brutalität sehr in Grenzen hält, so gelingen ihm doch immer wieder wirksame Schockeffekte und ebenso gut platzierte Überraschungen, die das zuvor Gelesene in ein ganz anderes Licht stellen.
Raffiniert konstruierter und hochspannender Thriller
So wird einem nach der Lektüre vermutlich ganz schön der Kopf rauchen, denn trotz des hohen Unterhaltungsfaktors und der einfachen Sprache ist „Der Hauptmann und der Mörder“ keinesfalls anspruchslos und verlangt volle Aufmerksamkeit, für diesen Einsatz wird man aber auch mit einer raffinierten Geschichte belohnt, die garantiert noch ein wenig nachhallen wird. Lediglich wer sich intensive Einblicke in die chinesische Kultur erhofft, wird vermutlich ein wenig enttäuscht werden, denn vom eigentlichen Setting bekommt man bei all der Dramatik nicht so viel mit, wie man es sich vielleicht wünschen würde. Das mag sich aber noch ändern, denn mit „Der Pfad des Rächers“ und „Die blinde Tochter“ stehen ja bereits die folgende Bände der „18/4“-Trilogie in den Startlöchern. Erfreulich ist, dass alle drei Romane innerhalb von weniger als einem Jahr auf Deutsch veröffentlicht werden, sodass man weniger Gefahr läuft, in der Wartezeit große Erinnerungslücken bei dieser ereignisreichen Story aufzubauen.
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9/10