Für die sensationslüsterne Medienlandschaft ist eine Geiselnahme ohnehin schon ein gefundenes Fressen, welches durch die Decke schießende Einschaltquoten garantiert. Wenn sich die Ausnahmesituation dann aber noch in einem der angesagtesten und exklusivsten Restaurants von Los Angeles abspielt und die Geiseln fast ausnahmslos aus der Crème de la Crème Hollywoods stammen, so ist dieses Ereignis für die Programmchefs der Nachrichtenagenturen wohl wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag auf einmal. Genau diese Situation findet man in „Fürchte dich“ vor, dem Thriller des in Schottland geborenen Autors James Carol, der sich bereits mit seiner Reihe um den ehemaligen FBI-Profiler Jefferson Winter („Broken Dolls“, „Watch Me“ und „Prey“) im Spannungsgenre etabliert und nun unter dem Namen J.S. Carol auch einen eigenständigen Thriller herausgebracht hat.

Geiselnahme à la carte im Herzen Hollywoods

Schauplatz der Geschichte ist das „Alfie’s“, ein Edel-Italiener im Herzen Hollywoods, in dem sich Schauspieler, Models und Film-Produzenten sich Tag für Tag die Klinke in die Hand geben und schon Monate im Voraus um die begehrten Tisch-Reservierungen reißen. Zu den Stammgästen des Restaurants gehört auch die Medienberaterin Jody „JJ“ Johnson, die sich als erfolgreiche Problemlöserin in der Stadt der Engel einen Namen gemacht hat und immer wieder engagiert wird, um den Stars und Sternchen nach eher unrühmlichen Auftritten aus der Klemme zu helfen und den angekratzten Ruf wieder aufzupolieren. Die zweite Hauptfigur in „Fürchte dich“ ist der aufstrebende Jungschauspieler Alex King, der seit seinem letzten Action-Blockbuster als eine Art Nachwuchs-Bruce Willis gefeiert wird und einer langen und erfolgreichen Film-Karriere entgegenblicken darf – vorausgesetzt, er wird seinen neuerlichen Restaurantbesuch überhaupt überleben, denn als ein Geiselnehmer schwer bewaffnet das „Alfie’s“ stürmt und sich mit den Hollywood-Größen im Lokal verschanzt, beginnt für JJ, Alex und die weiteren Gäste ein grausames Spiel auf Leben und Tod.

Rasant & kompromisslos

„Fürchte dich“ ist mit gerade einmal 336 Seiten (oder 9 1/2 Hörbuch-Stunden) nicht gerade ein Thriller-Schwergewicht und so überrascht es wenig, dass J.S. Carol nach einer kurzen Einführung recht schnell zur Sache kommt und die Situation im Alfie’s schnell vom gemütlichen Mittagessen zur Hölle auf Erden eskaliert. Der Autor macht ebenso recht früh deutlich, dass er wenig Skrupel kennt und die Geiselnahme nicht gerade als gemütliche Diplomatie-Stunde eingestuft werden kann. Diese Kompromisslosigkeit setzt gleich zu Beginn ein erschreckendes Ausrufezeichen und zieht sich auch im weiteren Verlauf durch die insgesamt recht temporeiche Handlung.

Eine Ausnahmesituation, viele Blickwinkel

Spannend ist dabei auch der Wechsel der Perspektiven, denn während Medienprofi Jody Johnson sich im gleichen Raum mit dem Geiselnehmer befindet und dessen grausame Psychospielchen aus nächster Nähe miterlebt, verfolgt Action-Star Alex King das Geschehen durch einen glücklichen Zufall aus vermeintlich sicherer Entfernung in einem Versteck innerhalb des Restaurants. Carols Publikum darf jedoch auch einen Blick auf die Außenwelt werfen, die wie gebannt vor dem Alfie’s oder den TV-Geräten ausharrt und das Geiseldrama verfolgt. Dabei kommen durchaus unterschiedliche Motive zum Vorschein, denn während die einen besorgt um das Leben ihrer Familienangehörigen, Freunde oder Hollywood-Lieblinge fürchten, hat ein weitaus größerer Teil der Zuschauer einen einfachen, aber ziemlich schäbigen Grund für die Aufmerksamkeit: Sensationsgier. Passend dazu lässt der Autor seine Leser das Geschehen rund um das „Alfie’s“ auch durch die Augen der Medien verfolgen, die sich im Wettstreit um die besten TV-Bilder und die neuesten Informationen im Minutentakt zu überbieten versuchen – ob das Leben der Geiseln dabei durch exklusive Enthüllungen gefährdet werden könnte, spielt im Hinblick auf die Einschaltquoten eine eher untergeordnete Rolle.

Sensationsgier um jeden Preis?

„Fürchte dich“ ist ohne Zweifel packend und lebt vor allem von dem unberechenbaren Charakter des Geiselnehmers sowie der Suche nach den wahren Gründen für dessen schreckliche Tat. Dabei wird zwar immer wieder die Frage aufgeworfen, wie viel ein Menschenleben eigentlich wert ist und ob sich die Gnade des Täters mit einem prall gefüllten Bankkonto erkaufen lässt, allzu viel Tiefgang sollte man von diesem Thriller jedoch nicht erwarten, da der Fokus eindeutig auf kurzweiliger Unterhaltung liegt. Trotzdem lässt der Autor durchaus eine gewisse Sozial- und Medienkritik durchklingen und man wird beim Lesen des Buches wohl des Öfteren von dem skrupellosen Vorgehen der Reporter angewidert sein – nur um sich dann im gleichen Augenblick zu fragen, ob man in einer ähnlichen Situation nicht selbst vor dem Fernseher sitzen und auf möglichst spektakuläre Bilder hoffen würde.

Keine Sympathieträger, keine echte Bindung

Carols Roman hat jedoch einen recht großen Knackpunkt, und dieser betrifft die Charaktere. Es wäre unschön zu sagen, dass es aufgrund der vielen stinkreichen und erfolgsverwöhnten Protagonisten schwierig ist, Mitgefühl für das Schicksal der Geiseln zu entwickeln, nichtsdestotrotz fehlt es der Geschichte aber schlicht und einfach an Sympathieträgern, mit denen man mitfiebert und um deren Leben man bangt. Jody „JJ“ Johnson und Alex King kommen dafür noch am ehesten in Frage, da erstere aber mit ihrem Problemlöser-Job selbst ein Teil des schmutzigen Mediengeschäfts ist und letzterer in der Realität von einem Actionheld wie John McClane ungefähr so weit entfernt ist wie Justin Bieber und eher durch feigen Egoismus statt mutiges Handeln auffällt, ist es – so hart es auch klingen mag – letzten Endes eigentlich relativ egal wer lebt und wer stirbt, da man ohnehin keine wirkliche Bindung zu den Protagonisten aufgebaut hat.

Spannendes Geiseldrama mit leider etwas gleichgültigem Ausgang

Somit ist „Fürchte dich“ insgesamt zwar ein ziemlich kurzweiliger Thriller, der mit seiner Kompromisslosigkeit durchaus für den ein oder anderen Schockeffekt sorgen kann und bis zur nicht sonderlich spektakulären, aber insgesamt doch zufriedenstellenden Auflösung gut unterhält und in seinen besten Momenten durch die immer wieder durchklingende Medienkritik auch zum Nachdenken anregt, die eher langweiligen und zum Teil sogar recht unsympathischen Charaktere verhindern jedoch eine allzu starke emotionale Verwicklung in die Geschichte und damit im Endeffekt auch den ganz großen Nervenkitzel. Eine positive Bemerkung aber noch zum Schluss: Hörbuch-Sprecher Thomas Arnold, der mir zuvor trotz jahrelanger Hörbuch-Erfahrung völlig unbekannt war, liefert eine tolle und lebhafte Lesung ab, auch wenn er für so einen zynischen Stoff fast schon ein wenig zu nett klingt.

Fürchte dich
  • Autor:
  • Sprecher: Thomas Arnold
  • Original Titel: The Killing Game
  • Länge: 9 Std. 40 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Audible GmbH
  • Erscheinungsdatum: 14. Januar 2016
  • Preis 16,71 € (9,99 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
7/10
Fazit:
J.S. Carol liefert mit "Fürchte dich" einen spannenden Thriller rund um eine dramatische Geiselnahme in Hollywood, der seine Stärken in der Kompromisslosigkeit der Geschichte sowie der immer wieder durchklingenden Medienkritik hat, durch die recht blassen Charaktere aber nicht unbedingt zum Mitfiebern einlädt.

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2 Antworten zu diesem Beitrag

  • Huhu lieber Sebastian!
    Wie immer eine sehr gelungene Rezension. Ich meine mich erinnern zu können, dass ich die Charaktere damals auch sehr farblos fand, dass mich das allerdings nur wenig gestört hat. Denn Carol hat hier eigentlich eine Geschichte geschrieben, die weniger von den Charakteren als mehr von der Action und der Handlung lebt. So habe ich das empfunden.
    Etwas irritiert war ich von dem Umstand, dass der gleiche Autor auch die Jeffrey Winter-Reihe geschrieben haben soll. Die Bücher sind dermaßen unterschiedlich, das ich es kaum glauben konnte. Ging es Dir genauso?

    Alles Liebe, Nelly

    • Ich verbinde mit dem Autor jetzt nicht unbedingt einen bestimmten Stil, von daher ist mir der Unterschied jetzt nicht so dramatisch aufgefallen. Mir hat von der Jefferson-Winter-Reihe aber bisher eigentlich auch nur der dritte Band gefallen, die ersten beiden fand ich eher mäßig – eben auch weil ich die Charaktere als ziemlich blass empfunden habe, von daher passt es ja wieder 😀

      Trotzdem fand ich „Fürchte dich“ insgesamt sehr kurzweilig, mir war halt nur ziemlich egal wer in der Geschichte draufgeht und wer nicht XD