Die letzte Zeugin_Rezi

Das Leben hat es mit Carla Lane nicht immer gut gemeint: Ihre Eltern sind bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen und haben Carla schon als kleines Mädchen als Vollwaise zurückgelassen, doch nun scheint sich das Leben für die junge Frau endgültig zum Guten gewendet haben. Carla ist inzwischen glücklich mit einem erfolgreichen Pianisten liiert und erwartet zudem ihr erstes Kind. Dann aber wird sie auf grausame Weise aus ihrer Idylle gerissen, als ihr Freund Jan nach einem Konzert bei einem Bombenanschlag mitten in New York ums Leben kommt. Carla ist geschockt und fällt in ein tiefes Loch, denn sie kann nicht glauben dass Jan gezielt zum Opfer eines Attentats wurde. Dann aber erfährt sie, dass ihr Freund all die Jahre ein Doppelleben geführt hat und während seiner Konzertreisen heimlich Kriegsverbrecher des ehemaligen Jugoslawien gejagt hat – eine Mission, die ihm nun vermutlich das Leben gekostet hat. Carla setzt fortan alles daran, die Drahtzieher hinter dem Mord zur Rechenschaft zu ziehen, wird dabei aber mit einer schrecklichen Wahrheit über ihr eigenes Leben konfrontiert…

Ein Thriller über die menschenverachtenden Gräueltaten der Jugoslawienkriege

„Die letzte Zeugin“, der neue Thriller des irischen Bestsellerautors Glenn Meade, beleuchtet ein besonders schreckliches Kapitel der jüngeren europäischen Vergangenheit: Die Jugoslawienkriege Anfang der 1990er-Jahre, die in vielen Balkanstaaten mehrere Hunderttausend Todesopfer gefordert und letztlich zum Zerfall des Staates geführt haben. Zu den wenigen Überlebenden der Gefangenenlager, deren grausame und menschenverachtende Zustände vergleichbar mit den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus waren, zählt auch die Hauptfigur in Meades Roman, die junge Anwältin Carla Lane – sie weiß es nur noch nicht. In dem Glauben aufgewachsen, dass ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind und sie deshalb bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist, erfährt sie erst nach dem gewaltsamen Tod ihres Lebensgefährten durch Tagebucheinträge ihrer Mutter von ihrer schrecklichen Vergangenheit. Und diese Berichte nehmen auch einen Großteil der ersten Hälfte von „Die letzte Zeugin“ ein und schildern die Ereignisse des Bosnienkrieges in all seiner Grausamkeit: Städte, die durch die blutigen Kämpfe vollkommen zerstört wurden; Familien, die durch mordende Soldaten auseinandergerissen wurden; Gefangenenlager, in denen Frauen und Kinder von Aufsehern vergewaltigt und ermordet wurden – Glenn Meade berichtet von diesen Gräueltaten auf sehr eindringliche Art und Weise, sodass die Tagebuchpassagen sehr nahe gehen und äußerst schockierend und bedrückend sind.

Packend, abwechslungsreich und spannend – nur leider alles anderes als glaubwürdig

Nach diesem Anfangsdrittel widmet sich die Geschichte dann der Gegenwart, in der Carla Lane die Mörder ihres Freundes und Vaters des ungeborenen Kindes ausfindig machen will und dabei auch immer mehr über ihre eigene Vergangenheit erfährt. Ihre Reise führt sie dabei von den USA in die Balkenstaaten, wo sie mühsam das Schicksal ihrer Familie aufarbeitet und dabei den Tätern immer näher kommt. Das ist alles packend und abwechslungsreich geschrieben und sorgt nicht nur durch die vielen Wendungen für ein durchgehend hohes Spannungsniveau. Glenn Meade verpackt hier historische Fakten geschickt in einen mitreißenden Unterhaltungsroman, der eigentlich nur ein Problem hat: Die Story ist bei genauerem Hinsehen absolut haarsträubend und nicht einmal ansatzweise glaubwürdig. Das beginnt bereits beim Ausgangsszenario der Geschichte: Da macht sich eine (schwangere!) Frau nach dem für sie traumatischen Anschlag auf ihren Freund, den sie selbst auch nicht unverletzt überstanden hat, auf, mal eben im Alleingang die schlimmsten Kriegsverbrecher des Balkankonflikts, die mehr als zwei Jahrzehnte ihrer gerechten Strafe entkommen sind, für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen und gibt sich dabei nicht damit zufrieden, diese Monster nur ausfindig zu machen und ausreichend Beweise für deren Verbrechen zu sammeln – nein, natürlich will sie die Peiniger ihrer Familie und Tausender anderer Menschen gleich der ultimativen Strafe zuführen und sie töten. Nebenbei sucht sie dabei auch noch nach Spuren, die ihr mehr über das Schicksal ihrer Familie verraten können. Eine solche Ein-Frau-Vendetta kann man vielleicht in einem 2-stündigen Hollywoodfilm bringen, wenn man sich aber vor Augen führt wie detailliert und realitätsnah Glenn Meade anfangs die Ereignisse der Jugoslawienkriege aufarbeitet, dann passt so eine absurde Story einfach nicht ins Bild.

Trotz teilweise absurder Story ein guter Thriller mit bedrückender Thematik

So unrealistisch der Plot aber auch ist und so oft man sich während des Hörens an den Kopf fassen möchte vor lauter haarsträubender Zufälle oder unglaubwürdiger Wendungen – er ist eben auch verflucht unterhaltsam und spannend, sodass man über diese Fehler tatsächlich ganz gut hinwegsehen kann. Die Story wird nie langweilig, bietet interessante Charaktere und verdient alleine schon aufgrund der erschütternden Thematik Aufmerksamkeit – ich selbst hätte es vor der Lektüre nicht für möglich gehalten, dass sich noch Ende des 20. Jahrhunderts solche menschenverachtenden Grausamkeiten in einem europäischen Land abgespielt haben. Deshalb gibt es von mir trotz der sehr weit ausgereizten erzählerischen Freiheiten für diesen Thriller dennoch eine mit den oben erwähnten Einschränkungen versehene Hör- bzw. Leseempfehlung. Der insgesamt gute Gesamteindruck wird auch von der Lesung von Hörbuch-Sprecher Detlef Bierstedt abgerundet, der gerade auch die schwierigen Szenen in den jugoslawischen Todeslagern einfühlsam vorträgt.

Die letzte Zeugin
  • Autor:
  • Sprecher: Detlef Bierstedt
  • Original Titel: The Last Witness
  • Länge: 14 Std. 13 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Audible GmbH
  • Erscheinungsdatum: 16. April 2015
  • Preis 24,95 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
7/10
Fazit:
Glenn Meade erzählt mit „Die letzte Zeugin“ eine spannende und erschütternde Geschichte über die schrecklichen Ereignisse des Balkenkonflikts der 1990er-Jahre, nimmt sich bei der unterhaltsamen Story aber ein paar Freiheiten zu viel, was stellenweise arg auf Kosten der Glaubwürdigkeit geht.

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