The Green Mile_Rezi

Paul Edgecombe ist Oberaufseher im Todestrakt des „Cold Mountain“-Gefängnisses und hat in seiner Karriere schon einige verurteilte Mörder über den aufgrund des grünen Bogenbelages „Grüne Meile“ genannten Gang zur Hinrichtung geführt. Auch wenn Paul im Gegensatz zu manchem Kollegen stets einen respektvollen Umgang mit den Todeskandidaten pflegt und Schikanierungen vermeidet, so haben ihm die Erlebnisse und Exekutionen doch nie Gewissensbisse bereitet oder gar seinen Beruf hinterfragen lassen. Das ändert sich jedoch, als eines Tages John Coffey, ein schwarzer Hüne, in Cold Mountain eingeliefert und unter Pauls Aufsicht gestellt wird. Coffey wurde wegen der Vergewaltigung und des Mordes an zwei 9-jährigen Mädchen zum Tode verurteilt, doch der Mann mit dem einschüchternden Äußeren erweist sich schnell als sanfter und geistig etwas zurückgebliebener Riese, dem man eine solche schreckliche Gewalttat kaum zutrauen würde. Als sich dann auch noch mysteriöse Vorfälle im Gefängnis häufen, wird nicht nur Paul Edgecombe klar, dass John Coffey kein gewöhnlicher Todeskandidat ist…

Die Romanvorlage zum Hollywoodfilm mit Tom Hanks und Michael C. Duncan

Wenn man den Titel „The Green Mile“ hört, denken die meisten wohl an den Film mit Tom Hanks und dem inzwischen leider schon verstorbenen Michael C. Duncan, der 2000 immerhin für vier Oscars nominiert wurde – unter anderem auch für das beste adaptierte Drehbuch, denn der Streifen beruht natürlich auf dem gleichnamigen Roman von Bestsellerautor Stephen King. Wie der große Meister selbst in seinem Vorwort ausführlich erklärt, entstand „The Green Mile“ 1996 zunächst als sechsteiliger Fortsetzungsroman, ganz in der Tradition eines seiner großen Vorbilder, dem britischen Schriftsteller Charles Dickens. Glücklicherweise wurden die einzelnen Teile später auch als vollständiger Roman veröffentlicht, denn hätte ich Kings Gefängnisstory nur stückweise gehört – ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich bis zum Ende durchgehalten hätte. Das liegt wieder einmal an der für Stephen King so typischen gemächlichen Einleitung, die in „The Green Mile“ fast die gesamte erste Hälfte des Buches umfasst. Dabei beginnt die Geschichte eigentlich unmittelbar mit der Ankunft des zum Tode verurteilten John Coffey im dem der Aufsicht des Erzählers Paul Edgecombe unterstehenden Todestrakt. Bis der sanfte Riese dann aber tatsächlich auch in den Mittelpunkt der Handlung gerät, vergehen aber noch einige Stunden.

Ein tierischer Hauptdarsteller mit Nervpotenzial

Bis dahin ist aber eine andere Figur der Star, die jedoch weder in einer der Zellen des „Cold Mountain“-Gefängnisses sitzt noch dem Team der Wärter angehört. Die Rede ist hier von einer kleinen Maus, die Insassen und Aufseher gleichermaßen auf Trab hält: Mr. Jingles alias Steamboat Willy. Nun mag so ein kleiner tierischer Kamerad ganz witzig sein und das doch eher bedrückende Geschehen in einem Trakt voller Todgeweihter ein wenig auflockern, wenn sich dann aber über Stunden hinweg fast alles um die täglichen Abenteuer einer Maus dreht, ist das für mich vor allem ermüdend und mit zunehmender Dauer der Geschichte sogar ziemlich nervtötend. Es ist zwar so, dass Mr. Jingles/Steamboat Willy eine für die Story nicht ganz unwichtige Rolle einnimmt, sie rechtfertigt für mich jedoch nur einfach nicht dieses stundenlange Vorgeplänkel, das keinen wirklichen Handlungsfluss aufkommen lässt und auch den anderen Charakteren viel Raum zur Entfaltung nimmt.

Grandiose zweite Hälfte mit sehr bewegender Schlussphase

Das ändert sich dann glücklicherweise ab ungefähr der Mitte des Romans. Stephen King verlagert den Fokus nun zunehmend auf das Mysterium John Coffee, dessen Vergangenheit und vor allem dessen besondere Gabe. Die Geschichte wird dadurch nicht nur deutlich interessanter, sondern auch wirklich mitreißend, was auch an manchen (ansonsten eher sparsam dosierten) Horror-Elementen liegt, wobei vor allem eine schreckliche Hinrichtungsszene nachhaltig verstören dürfte. „The Green Mile“ ist aber wahrlich kein Horrorroman, sondern vielmehr ein gerade im Schlussteil sehr bewegendes Drama, das beim Lesen bzw. Hören vor allem ein schier erdrückendes Gefühl der Hilflosigkeit erzeugt – man muss hier einfach machtlos miterleben, wie ein großes Unrecht geschieht, ohne eine Chance zu haben, das Unausweichliche abwenden zu können. In dieser Phase zeigt sich wieder, was für ein grandioser Geschichtenerzähler Stephen King ist und wie beeindruckend er seine Charaktere mit Leben füllen kann. Hier lohnt sich auch wieder einmal die Hörbuchfassung mit David Nathan, der aus der ohnehin schon packenden Vorlage ein ungemein intensives Kopfkino macht. Wäre da nicht die enorm langatmige Einleitungsphase gewesen – „The Green Mile“ wäre ohne Frage ein weiteres Meisterwerk Stephen Kings gewesen, so ist es eben „nur“ ein sehr guter und bewegender Roman, der dank der eindringlichen Schlussphase noch eine ganze Weile nachwirkt.

Faktenbox
  • Autor:
  • Sprecher: David Nathan
  • Original Titel: The Green Mile
  • Länge: 14 Std. 15 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Random House Audio, Deutschland
  • Erscheinungsdatum: 5. Dezember 2014
  • Preis 25,95 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
8/10
Fazit:
Stephen King erzählt mit „The Green Mile“ ein bewegendes und zum Ende hin regelrecht erschütterndes Gefängnisdrama, für das man aufgrund der langatmigen Einleitung aber zunächst eine Menge Geduld mitbringen muss.

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3 Antworten zu diesem Beitrag

  • Die erste Hälfte fand ich auch etwas langweilig, aber die Zweite hat sich gelohnt. Ich freue mich jetzt auf den (sehr langen) Film. Dann werde ich sehen, wie viele Details ich beim anhören verpasste. 😉

    Du wirst dich wahrscheinlich über mich lustig machen, aber ich mag David Nathans Aussprache von “Brutal.” Der Unterschied zwischen seiner Aussprache und der Amerikanischen ist klein, aber das Wort klingt irgendwie viel schöner auf Deutsch. (Das passt auch zu Brutals Persönlichkeit.)

    • Was war denn an David Nathans Aussprache da so besonders? Ich kann mich da (überraschenderweise :D) nicht mehr dran erinnern^^

      Hast du eigentlich auch schon „The Shawshank Redemption“ gesehen? Der basiert auch auf einer Stephen-King-Geschichte und ist zum einen ähnlich und zum anderen auch super! 😉

      • Endlich kann ich sagen, dass ich einen von dir empfohlenen Film schon gesehen habe! \o/ (Ich wusste aber nicht, dass der auf einer Stephen-King-Geschichte basiert.)