Tags: Bastei Lübbe, Bestimmung, Halluzinationen, Katastrophe, Neurowissenschaft, Selbstmord, Vergangenheit, Wissenschaft
Genre: Mystery, Thriller
Walter Ramirez ist seit 15 Jahren Officer der California Highway Patrol in San Francisco und jeden Tag aufs Neue stolz darauf, die prachtvolle Golden Gate Bridge zu seinem Revier zählen zu dürfen – auch wenn er in all den Jahren dort schon Zeuge von zahlreichen menschlichen Tragödien geworden ist, schließlich zählt die Brücke zu den beliebtesten Selbstmordplätzen der Welt. Als Ramirez eines frühen Morgens aber einer Gruppe fröhlicher junger Leute bei einem Spaziergang entdeckt, scheinen alle diese Dramen in weiter Ferne. Er kommt locker mit den Männern und Frauen ins Gespräch, die sich als junge Softwareentwickler vorstellen, die den entspannten Ausflug auf der noch verschlafen wirkenden Brücke als Teambuildingmaßnahme ansehen. Trotz der lockeren Stimmung hat der Officer bei dem Plausch jedoch ein seltsam ungutes Gefühl, das sich als berechtigt herausstellt, als die Leute wenig später über das Geländer der Brücke klettern – und einer nach dem anderen mit bizarr zufrieden wirkenden Gesichtsausdrücken in den Tod springen. Nicht nur Ramirez, sondern auch die Öffentlichkeit ist von dem Massenselbstmord geschockt, doch schon wenig später berichten die Medien von ähnlichen Ereignissen aus aller Welt…
Massenselbstmorde und seltsame Visionen sorgen weltweit für Verstörung
Eine junge Französin wird Zeugin, wie eine ungefähr gleichaltrige Frau von einer aufgebrachten Menschenmenge auf einen Marktplatz geführt und vor den Augen des gesamten Dorfes auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, und filmt die dramatischen Ereignisse mit ihrer Handykamera – was als Prolog ohnehin schon packend genug wäre, bekommt durch ein weiteres Detail eine noch verstörendere Note: Die Frau befindet sich im Jahr 1431 und das Mädchen, das in den Flammen einen qualvollen Tod stirbt, wird als Johanna von Orleans in die Geschichte eingehen. Dank dieses seltsamen, aber zugleich faszinierenden Auftakts braucht Christopher Galt in seinem Thriller „Testament“ nur wenige Seiten, um die Neugier seine Leser zu wecken und diese an die Geschichte zu fesseln. Was durch die kuriose Zeitreise zunächst an Andreas Eschbachs „Das Jesus-Video“ erinnert, entwickelt sich in den nächsten Kapitel zu einem subtilen Mystery-Grusel im Stil von M. Night Shyamalans „The Happening“: Überall auf der Welt begehen ganze Gruppen von Menschen aus heiterem Himmel Suizid und auf den Straßen häufen sich die Anblicke von verloren wirkenden Gestalten, die völlig apathisch ins Nichts starren.
Globale Verschwörung oder unerklärliches Naturphänomen?
Auch an dem renommierten Psychiater John Macbeth gehen diese beunruhigenden Phänomene nicht unbemerkt vorbei, im Gegenteil: Als erfahrener kognitiver Neurowissenschaftler, der im Rahmen eines bahnbrechenden dänischen Forschungsprojektes in San Francisco weilt, erregen die vermehrten Bewusstseinsveränderungen der Menschen und die damit verbundenen Halluzinationen sein großes Interesse und Macbeth versucht, der Ursache dieser Ereignisse auf den Grund zu gehen. Wer gerne Mystery-Thriller mit einem Hauch Verschwörungstheorien liest, für den entwickelt sich Christopher Galts Werk schnell zu einem wahren Fest: es werden auf wenigen Seiten ungemein viele Fragen aufgeworfen, eine rationale Erklärung für das Massenphänomen scheint völlig unmöglich und mit dem Einbezug weiterer klassischer Verschwörungsthriller-Elemente wie dem weißen Haus und fanatischen religiösen Gruppen sorgt der Autor dafür, dass man sich nach Lust und Laune den Kopf über die Ereignisse zerbrechen kann und wild über teuflische Pläne der einzelnen Parteien spekulieren kann.
Anspruchsvoller Mystery-Thriller mit faszinierenden Gedankenspielen
Trotz der auf den ersten Blick nach abgedroschenen Klischees klingenden Zutaten kommt „Testament“ aber auch mit einer Vielzahl erfrischender und origineller Ideen daher, die Galts Thriller dann doch merklich von der Masse ähnlicher Geschichten abheben. Der Autor legt einige ungemein faszinierende Gedankengänge dar und wirft Fragen auf, über die man vermutlich auch nach Beenden der Lektüre noch ein wenig sinnieren wird: Fragen über unsere gesamte menschliche Existenz, einen möglichen Konflikt des menschlichen Verstandes mit einer in naher Zukunft immer realitätsnäher werden künstlichen Intelligenz und über die ständige Rivalität von Wissenschaft und Glauben. Vor allem letzterer Aspekt erinnert gerade durch die in dem Buch präsent vertretenen radikalen religiösen Gruppen manchmal an „The Three“ (dt. „Die Drei“) von Sarah Lotz, ohne dabei auch nur im Ansatz wie ein billiger Abklatsch zu wirken. Im Mittelteil des Romans wirken manche Szenen zwar ein wenig befremdlich und skurril, doch Christopher Galt schafft es im Folgenden, Passagen wie z.B. auch die erwähnte Anfangsszene mit der filmisch dokumentierten Hinrichtung von Johanna von Orleans schlüssig zu erklären, sofern man bereit ist, sich auf die teilweise sehr komplexen Gedankenspiele des Autors einzulassen. Gerade auf den letzten 200 Seiten entwickelt „Testament“ dadurch eine enorme Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann – da verzeiht man auch gerne, dass manche wissenschaftliche Erklärung vielleicht ein wenig geschwollen rübergebracht wird. Das Ende ist dann im wahrsten Sinne „mind-blowing“ und ist in dieser Form zwar nicht völlig neu, passt aber hervorragend zum Rest der Geschichte und lässt einen beim Lesen erst einmal ein wenig sprachlos zurück. Für Fans von intelligenten wissenschaftlich-religiösen Mystery-Thriller gibt es von mir für Christopher Galts „Testament“ also eine klare Leseempfehlung!
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Charaktere: | |
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Atmosphäre: |
8/10
Pings:-
Galt, Christopher: Testament | Rezension : Die Leserin bloggt …